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"Wir mussten den Mitgliedern zu viel Geld abnehmen"

ck/dpa
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Der Beitragssatz soll von 15,5 auf 14,6 Prozent sinken. Brauchen die Kassen mehr Geld, können sie prozentuale Zusatzbeiträge erheben. Das werden die Kassen auch auf breiter Front tun, prognostiziert TK-Chef Jens Baas im Interview.

Ab 2015 sollen die Kassen prozentuale Zusatzbeiträge abhängig vom Einkommen erheben können. Wird auch die Techniker Krankenkasse diese Zusatzbeiträge erheben? 

Baas: Mit dem von 15,5 auf 14,6 Prozent gesenkten Beitragssatz werden die meisten Krankenkassen nicht auskommen. Vielleicht gibt es Kassen, die ihre Rücklagen so weit abbauen, dass sie noch mal ein oder zwei Jahre keinen Zusatzbeitrag erheben, das wird aber die Ausnahme sein.

Es ist nicht unrealistisch, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag bei 1,2 Prozent liegen wird. Die Techniker Krankenkasse wird aber deutlich darunter liegen. 

Experten haben geschätzt, dass der Zusatzbeitrag bei einigen Kassen bei bis zu zwei Prozent liegen könnte ... 

Das halte ich für durchaus realistisch. Aber wer nicht zufrieden ist, hat die Auswahl zwischen derzeit rund 130 Kassen. Wir sind in einem extrem harten Wettbewerb. 

Ist der einkommensabhängige Zusatzbeitrag nicht ungerecht? Die Techniker Krankenkasse hat viele Mitglieder mit gutem Einkommen ... 

Man muss aufpassen, wie man diesen Zusatzbeitrag konkret ausgestaltet. Wenn eine Kasse mit einer relativ hohen Grundlohnsumme wie wir zum Beispiel 0,9 Prozent Zusatzbeitrag nähme, dann bekäme sie ja mehr Geld von ihren Mitgliedern als eine Krankenkasse, deren Mitglieder niedrigere Einkommen haben. Das wäre in der Tat ungerecht.

Deswegen glauben wir, dass man mit einem durchschnittlichen Grundlohn in der gesamten gesetzlichen Krankenversicherung rechnen muss. Das wird in Berlin auch gerade diskutiert. Es darf keine unfairen Verwerfungen geben. 

Glauben Sie überhaupt, dass die jetzt von Schwarz-Rot geplante Reform die Kassenfinanzen stabil halten kann? 

Sie kann sie nicht stabil halten. Wir hatten in den letzten zwei bis drei Jahren stabile Finanzen nur deshalb, weil wir - ehrlich gesagt - den Mitgliedern zu viel Geld abnehmen mussten. Denn der Beitragssatz war ja gesetzlich festgeschrieben.

Es hat sich an den grundlegenden Problemen im Gesundheitswesen nichts geändert. Die Ausgaben steigen schneller als die Einnahmen. Die Kurven werden sich wieder schneiden. Im nächsten Jahr werden die Ausgaben schon wieder höher als die Einnahmen sein. 

Was muss man machen, um die Ausgaben zu reduzieren? 

Man muss eine ehrliche Diskussion führen. Wir haben in der Krankenversicherung kein ausgeprägtes Demografieproblem. Das haben wir in der Pflege. In der Krankenversicherung ist die allgemeine Kostensteigerung das Problem. Wenn ich nur rechnen würde, dass die Menschen älter werden, dann würde der Beitragssatz bis 2050 auf etwa 19,5 Prozent steigen. Das wäre ein überschaubares Problem.

Wenn man aber den medizinischen Fortschritt und die realen allgemeinen Kostensteigerungen nimmt, dann würde der Beitragssatz 2050 theoretisch bei etwa 50 Prozent liegen. Das ist natürlich nicht akzeptabel. 

Was sind die Kostentreiber? 

In allen Bereichen der Gesundheitsversorgung - Kliniken, Medikamente, ärztliche Behandlung - haben wir Kostensteigerungen von etwa fünf Prozent pro Jahr. Wenn man nicht rechtzeitig gegensteuert, käme es zu Rationierungen. Dann bekäme ich ab 60 keine Hüfte mehr oder dürfte nicht mehr zur Dialyse, wenn ich nicht mehr arbeite. Das würde ich für extrem unmoralisch halten. Im englischen Gesundheitssystem fängt man schon damit an. 

Wie kann man dem entgegensteuern? 

Wir müssen viel mehr auf das Thema Qualität setzen. Das ist im Ansatz auch im Koalitionsvertrag enthalten. Wir müssen viel mehr in die Lage versetzt werden, Qualität zu messen. Medizinische Qualität ist aber nicht einfach zu definieren und zu messen. Messen erfordert Daten, und Daten erfordern Transparenz. Transparenz ist allerdings ein Wort, das im Gesundheitswesen niemand gern hört. 

Gesundheitsminister Gröhe will ein Qualitätsinstitut gründen. Ist das der richtige Weg? 

Da man Daten aus verschiedenen Quellen zusammenführen muss, ist es sinnvoll, ein Institut zu haben, das den Gesamtüberblick hat. Ich glaube aber, so ein Qualitätsinstrument sollten Ärzte entwickeln, nicht der Staat oder die Kassen. 

Kann man überhaupt die Qualität einer Behandlung messen, wenn die Menschen unterschiedlich krank sind und die Ausgangsbasis bei jedem Patienten immer anders ist? 

Natürlich kann man messen, welche Krankenhäuser besser sind und welche unterdurchschnittliche Qualität erbringen. Natürlich kann man zum Beispiel sehen, dass es Krankenhäuser gibt, in denen die Infektionsraten höher sind als in anderen. 

Wie lange würde der Aufbau eines solchen Qualitätsinstituts dauern? 

Ich glaube, wir reden hier von Jahren. Aber man muss da mal einsteigen. Es ist machbar, dass man in einer Legislaturperiode erste Erfolge haben kann. Aber das ganze System nach Qualität auszurichten, da redet man von einem viel längeren Zeitraum. 

Der Chirurg Jens Baas (Jahrgang 1967) ist seit Mitte 2012 Vorstandschef der Techniker Krankenkasse. Er studierte in Heidelberg und an der University of Minnesota (USA) und arbeitete als Arzt in den chirurgischen Universitätskliniken Heidelberg und Münster. Seit 1999 arbeitete er bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, wo er 2007 Partner und Geschäftsführer wurde.

Das Interview führte Dorothea Hülsmeier, dpa.

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