Zahnextraktion ohne Indikation kann gefährliche Körperverletzung sein
Da mit der Zange erhebliche Verletzungen ausgeübt werden können, ist das medizinische Instrument als „gefährliches Werkzeug“ einzustufen, so dass bei dessen rechtswidrigem Einsatz eine gefährliche Körperverletzung infrage kommt, urteilten die Richter.
Angeklagt war der Zahnarzt in 29 Fällen
Im konkreten Fall hatte die Staatsanwaltschaft Pforzheim einem Zahnarzt vorgeworfen, zwischen dem 20. Juli 2020 und dem 6. Juni 2014 in 33 Fällen bei Patientinnen und Patienten ohne medizinische Indikation mehrere Zähne extrahiert zu haben. Das Zähneziehen wurde von dem Zahnmediziner als zwingend empfohlen. Über bestehende Behandlungsalternativen zum Zahnerhalt wurden die Patienten nicht aufgeklärt. Laut Staatsanwaltschaft hatte der Zahnarzt darauf spekuliert, in Zukunft seine Patienten mit „einträglichem Zahnersatz“ versorgen zu können.
Das Landgericht Karlsruhe ließ die Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens nur in 29 Fällen wegen einfacher vorsätzlicher Körperverletzung zu. Die verbliebenen Fälle seien damit nach Ablauf von fünf Jahren verjährt.
Gefährliche Körperverletzung verjährt erst nach zehn Jahren
Die Staatsanwaltschaft ging dagegen von gefährlicher Körperverletzung aus, da der Zahnarzt die Patienten mit einem „gefährlichen Werkzeug“, der Extraktionszange ohne ausreichenden Grund behandelt hatte. Bei gefährlicher Körperverletzung verjährt die Tat erst nach zehn Jahren. Das Gesetz sieht hierfür eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren, in minderschweren Fälle von drei Monaten bis fünf Jahren vor.
Das OLG stimmte der Auffassung der Staatsanwaltschaft zu und entschied, dass die Anklage in allen Fällen zugelassen und auch hierzu das Hauptverfahren gegen den Zahnarzt eröffnet werden muss. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seien medizinische Instrumente zwar nicht als „gefährliche Werkzeuge“ einzustufen. Sie würden danach nicht „gleich einer Waffe zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken eingesetzt“, so das Gericht.
Es kommt auf die Eignung des Gegenstands an, Verletzungen beizubringen
Doch nach einer Gesetzesänderung komme es nun darauf an, „ob der Gegenstand aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Verwendung im objektiven Fall dazu geeignet ist, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen“, so das OLG. Dies sei bei der Zahnextraktionszange der Fall. Werde das Instrument vorsätzlich ohne medizinische Indikation eingesetzt, führe der Eingriff zu einem Zahnverlust und einer offenen Wunde im Mundraum. Nach Abklingen der Narkose sei der Patient regelmäßig von nicht unerheblichen Schmerzen betroffen. Dies gelte insbesondere dann, wenn - wie hier - nacheinander mehrere Zähne entfernt werden.
Oberlandesgericht (OLG) KarlsruheAz.: 1 Ws 47/22Beschluss vom 16. März 2022