Elsevier und Springer Nature

Zeitschriften ziehen Hunderte betrügerische Veröffentlichungen zurück

mg
Gesellschaft
Wie das Magazin Nature berichtet, müssen namhafte Fachverlage Hunderte von Artikeln zurückziehen, da sie offensichtlich Opfer eines Betrügernetzwerks geworden sind. Experten vermuten, dass das Problem wächst.

Laut eines Sprechers von Springer Nature habe eine Untersuchung „absichtliche Versuche aufgedeckt, den vertrauensbasierten Redaktionsprozess zu untergraben und den Veröffentlichungsdatensatz zu manipulieren”. Um ihre minderwertigen Artikel zu publizieren, nutzen die Betrüger nach bisherigem Kenntnisstand ausschließlich Sonderhefte der jetzt betroffenen Verlage.

Betrüger gaben sich als bekannte Wissenschaftler aus

Bereits 2016 berichtete die Website Retraction Watch , die seit 2010 eine Liste zurückgezogener wissenschaftlicher Artikel pflegt, Betrüger hätten sich als bekannte Wissenschaftler ausgegeben, um das Scientific World Journal dazu zu bringen, sie als Gastherausgeber einer Sonderausgabe über Metaheuristik zu ernennen. Eine spätere Untersuchung ergab, dass mehrere Peer-Review-Berichte für in der Sonderausgabe veröffentlichte Artikel von kompromittierten E-Mail-Konten anderer Forscher stammten.

Im Dezember 2020 schrieb dann das Journal of Nanoparticle Research, es sei „von einem ausgeklügelten und organisierten Netzwerk auf neue Weise angegriffen worden” . Eine Gruppe von anscheinend herausragenden Informatikern und Ingenieuren bekannter Institutionen in Deutschland und Großbritannien schrieb an die Herausgeber der Zeitschrift und schlug im September 2019 eine Sonderausgabe über die Rolle der Nanotechnologie im Gesundheitswesen vor. Die Redaktion nahm den Vorschlag an, legte einen Sonderheft-Eintrag in seinem Redaktionssystem an gab drei Mitgliedern der Gruppe Zugriff, um Manuskripte bearbeiten zu können.

Die Hacker nutzten E-Mail-Adressen namhafter Forscher

Monate später bemerkten einige Mitglieder der Redaktion, heißt es in Nature weiter, dass die meisten der für das Sonderheft eingereichten Manuskripte von schlechter Qualität waren oder nicht zum Thema passten. Sie leiteten daraufhin eine Untersuchung ein, aber bis dahin waren bereits 19 der 80 Einreichungen angenommen oder veröffentlicht worden. Diese Artikel sind inzwischen zurückgezogen worden.

„Wir haben sofort eine interne Untersuchung aller Einsendungen eingeleitet und direkt festgestellt, dass die vermeintlich renommierten Wissenschaftler, die das Sonderheft vorgeschlagen hatten, damit nichts zu tun hatten”, heißt es in dem Schreiben des Journals of Nanoparticle Research.

Die organisierte Gruppe nutzte demnach die Namen dieser Personen sowie ihre E-Mail-Adressen, um den Peer-Review-Prozess zu hacken und zu manipulieren. Dazu kauften sie im August 2019 einige den vermeintlichen Universitätsadressen sehr ähnliche (und mittlerweile wieder abgelaufene) Domainnamen. Diese lauteten dann „univ“ statt „uni“ in einem E-Mail-Suffix oder „-ac.uk“ statt „.ac.uk“ in einem anderen Fall.

Die Motive der Betrüger sind unklar, zumal die Inhalte der Artikel offensichtlich minderwertig sind. Nature zitiert Guillaume Cabanac, einen Informatiker der Universität Toulouse in Frankreich, der daran gearbeitet hat, wissenschaftlichen Unsinn in Sonderthemen aufzudecken. Er vermutet, dass der steigende Druck manche Forscher in die Arme illegaler Dienstleister treibt. Denn selbst wenn die Artikel eindeutig Unsinn sind, könnten die Veröffentlichungen in namhaften Publikationen es einigen Forschern ermöglichen, „eine Green Card zu erhalten, um in der Wissenschaft zu bleiben”, sagt er.

eine besondere Form des "Scamming"

Die Einschätzung von Ivan Oransky, Journalist und einer der Leiter von Retraction Watch, stützt diese Vermutung, warnt aber im selben Atemzug die möglichen Auftraggeber. Nicht einmal die Titel der Artikel suggerierten einen professionellen wissenschaftlichen Artikel und brächten den Autoren somit auch keine Reputation. Womöglich handele es sich um eine besondere Form des „Scamming”, also einen Vorschussbetrug, bei dem in diesem Fall Wissenschaftler mit Publikationswunsch zur Zahlung eines Vorschusses verleitet werden sollen, ohne eine echten Gegenwert dafür zu bekommen.

Künftig sollen zusätzliche Kontrollen und auch Tools auf Basis von Künstliche Intelligenz derartige Betrugsversuche erkennen und verhindern. Nature zufolge rechnen Experten aber damit, dass bis dahin noch mehr betroffene Artikel zurückgezogen werden müssen.

Scamming – jetzt auch in der Wissenschaft?

Scamming – jetzt auch in der Wissenschaft?

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.