SARS-Cov-2-Infektionen

Das Problem ist die Dunkelziffer

Kerstin Albrecht
Gesellschaft
Göttinger Forscher haben in einer neuen internationalen Studie die Dunkelziffer des Virus errechnet: In Deutschland wurden demnach bis zum 17. März nur 15 Prozent aller SARS-Cov-2-Infektionen erkannt.

„Die Fallzahlen, die uns täglich in den Nachrichten berichtet werden, haben nichts mit dem tatsächlichen Infektionsgeschehen zu tun“, resümieren Prof. Dr. Sebastian Vollmer, Lehrstuhl für Entwicklungsökonomie in Göttingen, und sein Kollege Dr. Christian Bommer.

Die wahre Zahl an Infizierten liege um ein Vielfaches höher

Sie weisen darauf hin, dass die Gesundheitssysteme bisher nicht gut genug darin waren, neuartige Corona-Infektionen zu erkennen. Die wahre Zahl an Infizierten liege um ein Vielfaches höher. Politische Entscheidungen wie Kontaktsperren oder Reisebeschränkungen sollten daher nicht auf Basis der bislang veröffentlichten Fallzahlen getroffen werden.

Ein Grund für die Abweichung zwischen den gemeldeten und den korrekten Infektionszahlen sei, dass es weltweit noch keine Studien gebe, in der Testungen innerhalb einer repräsentativen Stichprobe gemacht worden seien. In Deutschland zum Beispiel testeten Ärzte bislang nur Menschen, die aus Risikogebieten zurückkommen, Kontakt zu einem Infizierten hatten oder starke Symptome aufweisen, die zum Corona-Virus passen. Genau eine solche repräsentative Stichprobe bräuchte es allerdings, um zu verstehen, welcher Anteil an Covid-19-Erkrankten tatsächlich verstirbt.

Die Rolle der Diamant Princess und der Wuhan-Rückkehrer

Vollmer verweist jedoch auf zwei Datensätze, die auf natürliche Weise entstanden sind und näherungsweise als repräsentativ angesehen werden können: Zum einen testeten Mediziner alle Passagiere des Kreuzfahrtschiffs „Diamant Princess“, zum anderen alle AusländerInnen, die von Wuhan nach Hause geflogen wurden, nachdem dort die Epidemie ausgebrochen war.

Ein internationales Forscherteam nahm sich der letztgenannten Daten an und kombinierte sie mit denen vom chinesischen Festland. Daraus schätzten die Wissenschaftler altersspezifische Infektionssterblichkeitsraten [Verity et al. 2020]. Diese kürzlich publizierte Daten dienten Bommer und Vollmer als Grundlage, um die zu erwartenden Mortalitätsraten für weitere 40 der am meisten von der neuartigen Infektion betroffenen Länder – darunter Deutschland – zu errechnen. Unterschiede in der Altersverteilung gegenüber China korrigierten sie mihilfe von Bevölkerungsdaten der UN [United Nations, World Population Prospects 2019].

Die erwartete Mortalität Deutschland: 1,3 Prozent

Für Italien errechneten sie eine erwartete Mortalität der Covid-19-Erkrankung von 1,4 Prozent, für Deutschland von 1,3 Prozent, für die USA etwa ein Prozent. Für die meisten Entwicklungsländer erwarten sie ein halbes Prozent oder weniger als Mortalitätsrate. Die erwartete Mortalitätsrate ist in Italien und Deutschland aufgrund der abweichenden Altersstruktur höher als in den USA oder in vielen Entwicklungsländern.

Durchschnittlich vergehen laut der Studie von Verity et al. 18 Tage von dem Auftreten erster Symptome bis zum Tod aufgrund von Covid-19. Von den ersten Symptomen bis zum bestätigten Testergebnis einer SARS-Cov-2-Infektion könnten durchschnittlich drei bis vier Tage vergehen, nahmen die Göttinger Wissenschaftler an.

„Die Todeszahlen von heute sollten Aufschluss über die Infektionszahlen von vor etwa zwei Wochen geben“, erläutert Vollmer. Diese müssten den vom Robert Koch-Institut oder der Johns-Hopkins-Universität kommunizierten Infektionszahlen entsprechen, wenn nahezu alle Infizierte identifiziert würden. Offensichtlich werde allerdings nur ein Bruchteil erkannt.

Südkorea hat die Hälfte der Infektionen erkannt, wir 15 Prozent

„Im Durchschnitt über alle Länder der Welt hinweg sechs Prozent; Südkorea hat die Hälfte seiner Infektionen erkannt, Deutschland 15 Prozent, die USA und Großbritannien weniger als zwei Prozent“, sagt Vollmer. Doch könne niemand derzeit seriös die Anzahl der mit dem neuartigen Corona-Virus-Infizierten exakt errechnen. Alle derzeitigen Schätzungen beruhten auf Annahmen, deren Richtigkeit sich erst noch herausstellen müsse.

Hintergrund

Hintergrund

C. Bommer & S. Vollmer: “Average detection rate of SARS-CoV-2 infections is estimated around six percent“

„Wollen wir zu unserem normalen Leben zurückkehren, müssen wir besser darin werden, Infektionen frühzeitig zu erkennen und die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen“, so Vollmer, „andernfalls ist ein neuer Ausbruch womöglich nur eine Frage der Zeit.“

C. Bommer & S. Vollmer: “Average detection rate of SARS-CoV-2 infections is estimated around six percent“,http://www.uni-goettingen.de/en/606540.html

Literatur

Literatur

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