Ein Zahnarzt in Indien (4)

Hans-Joachim Dubau
Gesellschaft
Ein Elefantenritt, waghalsige Autofahrten, gutes Essen und ein scheußliches Hotelzimmer - meine Zeit in Indien ist ein Abenteuer. Auch die Zahnheilkunde wird hier gänzlich anders praktiziert als bei uns in Deutschland.

Noch ganz benommen - und eingenommen - von den Eindrücken der vergangenen Stunden in der kleinen Zahnarztpraxis drängeln wir uns in dem kleinen Pkw des indischen Producers durch die belebte Stadt, um die Mittagspause in einem kleinen Restaurant zu verbringen.

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Es geht nur sehr langsam voran - trotzdem kommen meine Gedanken nicht hinterher. Da sehen wir auf der anderen Straßenseite eine lange Menschenschlange: bunt, laut, musizierend. Silberne Pferdekutschen, Kamele und Elefanten sind dabei, hunderte geschmückte Frauen und trommelnde, trompetende Männer, die Rhythmen produzieren, denen selbst ich folgen kann, die mich mitnehmen wollen.

Aus sicherer Entfernung im Auto sitzend, versuche ich das bunte Treiben zu beobachten, während ich mich frage, ob und welchen Anlass es wohl für diese beeindruckende "Aufführung" geben könnte. "Raus! Raus! Raus!" ruft auf einmal jemand laut im Auto, "Hannes! Los, raus!" Mir wird ein Mikro angesteckt - ich weiß überhaupt nicht, was los ist.

Die Autotür fliegt auf, das Kamerateam schwirrt aus, ich werde einigermaßen sanft, aber bestimmt Richtung Umzug gestupst und soll mich unter die Menge mischen. Das Kamerateam scheint raketenschnell einen gemeinsamen Plan entwickelt zu haben, jeder ist beschäftigt, und ich lasse notgedrungen alles auf mich zukommen.

Der Elefantenritt: Das Glück der Erde liegt nicht auf dem Rücken der Dickhäuter

Stolze Frauen in tollen Gewändern ziehen an mir vorbei. Eine Gruppe älterer Männer marschiert Trompete spielend hinterher. Es folgt eine Gruppe mit einem Elefanten. Das mächtige Tier erreicht meine Höhe, der "Dompteur" bedeutet, ich solle zu ihm kommen - wahrscheinlich weil ich aussehe, als hätte ich noch nie einen geschminkten, geschmückten Elefanten aus der Nähe gesehen, geschweige denn, angefasst. Womit er nicht Unrecht hat ...

Er zeigt mir, wie ich den Elefanten streicheln kann, das Tier scheint mir wohlgesonnen zu sein. Ich muss an die Zeig-bloß-keine-Furcht- und an die Tiere-können-Angst-riechen-Regel denken und fange an zu schwitzen.

Als ich dann hinauf klettern soll, um auf seinem Rücken Platz zu nehmen, ziere ich mich ein wenig, finde es aber dann doch unhöflich, abzulehnen. Für die Kamera ein willkommenes Motiv, wobei mich schon beim Aufstieg ein ungutes Gefühl beschleicht.

Der traurige Blick des großen Tiers verfolgt mich und ich fühle mich nicht gut dabei. Nach ein paar Schritten zusammen mit einer eine Elefantenmaske tragenden Person darf ich wieder hinunter klettern. Ich bedanke mich brav mit zitternden Knien bei dem traurigen Dickhäuter und seinem "Herrchen" und schaue ihnen noch eine Zeit nach.

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In der Menschenmenge mit den tanzenden Frauen, den Trommeln und Trompeten fühle ich mich wieder etwas wohler, kann langsam meine Gedanken abwenden und mich dem Farben- und Klangrausch hingeben. Gänsehaut überkommt mich, während ich versuche, diese ganzen Eindrücke zu verarbeiten und einzuordnen. Erst später sollte ich mehr über die Bedeutung der Elefantenmaske erfahren ...

Noch lange nach der Begegnung mit dem Elefanten mache ich mir Gedanken über die Tierhaltung, die in Indien eine ganz andere ist als bei uns. Sicher werden die Tiere gut behandelt, jedoch wünsche ich ihnen ein Leben in Freiheit statt geschminkt in einer lärmenden Menschenmenge mitzutrotten und sich von Touristen anfassen zu lassen und als Reittier zur Verfügung zu stehen.

Zudem ist das Zähmen der Elefanten langwierig und grausam, wobei der Ausspruch "Zuckerbrot und Peitsche" gut zutrifft, denn der Dressierende muss den gefesselten Elefanten über Wochen hinweg zum "Einbrechen" bringen, aber gleichzeitig mithilfe von Musik, Nahrung und beruhigenden Worten sein Vertrauen gewinnen.

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Indisch essen ohne Einhand-Eleganz

Mit einem Ärmelzupfen wird mir die anstehende Weiterfahrt zum Pausenrestaurant signalisiert. Das WDR-Team ist ganz aufgedreht, die Gesichter sind rot und verschwitzt, die Stimmung ist angenehm aufgeregt. In dem einfachen Restaurant direkt an der staubigen, lauten Hauptstraße geht es recht entspannt zu. Es wird über das Vorangegangene diskutiert: War es eine Demo, eine Kundgebung, eine Prozession?

Der Producer erklärt uns, es sei eine Prozession zu Ehren des Elefantengottes Ganesha. Der Elefantengott ist der wohl am meisten geliebte Gott in der hinduistischen Religion. Er ist ein typischer Volksgott, der als Gott der Weisheit, der Überbringer des Glücks und der Beseitiger aller Hindernisse gesehen wird. Vor Beginn einer Reise, eines Rituals oder eines wichtigen Unternehmens wird immer zuerst Ganesha angerufen und verehrt. Er gilt weiterhin als Schutzherr der Wissenschaften, der Schriften und der Ausbildung.

Dargestellt wird er als dickbäuchiger Gott mit minimal vier Armen, meist auf seinem Reittier, einer Ratte (in Indien zählt die Ratte ebenfalls zu den heiligen Tieren), sitzend. Ganesha wird auch oft tanzend dargestellt. Eine Schlange ist sein Gürtel. Sein gewaltiger Bauch symbolisiert das Universum.  Mit seiner freundlichen, sehr weltlichen Erscheinung verkörpert er das Paradoxon: irdische Genüsse stehen tiefgreifender Einsicht keinesfalls im Weg.

Das Essen wird bestellt. Aufgrund der Warnungen vorher achte ich darauf, nicht ganz so scharf zu essen. Überall wird quasi mit den Händen gegessen beziehungsweise mit einer Hand, sofern man es beherrscht. Das Fladenbrot wird erst mit drei Fingern gerissen, dann ein wenig zusammengenommen und so zum essbaren Löffel umfunktioniert. Sieht sehr elegant aus, wenn man es denn kann. Ich esse dann doch meistens mit einem Löffel, weil ich nicht die Einhand-Eleganz besitze und auch weil ich nicht alles mit Brot essen, sondern auch Reis zu den verschiedenen Currys genießen mag. Wir tauschen unsere Essen hin und her, es ist unglaublich schmackhaft und vielfältig. Vor allem, da keiner von uns weiß, was er da bestellt hat.

Unser Mann aus Indien versucht auf unsere Fragen bezüglich der Essenszubereitung einzugehen: Traditionell werden die Speisen auf einem Thali serviert. Das ist ein Metalltablett mit mehreren Schüsseln oder Fächern, um die einzelnen Currys und Beilagen voneinander getrennt aufzutischen. Ein typisches nordindisches Gericht besteht dabei meist aus Chapatis oder Rotis - einseitig gebackene Teigfladen -, die für jede Mahlzeit frisch zubereitet werden und als Grundbestandteil der hiesigen Küche gelten. Dazu wird häufig Reis gereicht, es gibt aber durchaus auch Kartoffeln, darüber hinaus und eine variierende Auswahl von Hülsenfrüchten, Gemüse (frittiert, gekocht), verschiedene Currys, Chutneys und Eingelegtes. Alles sehr gut und variantenreich gewürzt. Zum Kochen wird gerne Milch, Butter, Buttermilch verwendet, entstanden durch den Wassermangel früherer Zeiten.

Sehr beliebt in der nordindischen Küche ist auch der Joghurt. Unter Zugabe von Milch, Wasser, Gewürzen und eventuell Mango wird er gerne als Lassi getrunken. Viele Reiseführer warnen allerdings vor Lassi, weil das darin enthaltene stark keimbelastete Wassers zu ordentlichen Durchfallerkrankungen führen kann.

Nun bin ich ja von meinem Hausapotheker gut mit Medikamenten eingedeckt worden, so dass ich beschließe, zu einem späteren Zeitpunkt den Selbstversuch zu wagen, statt schon am zweiten Tag einen Totalausfall zu riskieren. Also fiel der Genuss des extrem schmackhaft aussehenden Getränkes erst einmal weg. Abgepacktes Wasser ist stattdessen die Alternative.

Wir fragen, ob unser Essen ohne Fleisch ist. Er schaut, als verstehe er die Frage nicht, will wissen, ob wir denn Fleisch essen wollen. Es geht ein wenig hin und her, bis wir klären können, dass ein grundsätzliches Missverständnis zwischen uns steht: Sehr interessant ist der Umstand, über den keiner von uns nachgedacht hat. In Deutschland sind die Vegetarier noch in der Minderheit, in Indien hingegen ist klar, dass die Restaurants rein vegetarisch sind, es sei denn, man geht gezielt in ein Fleischrestaurant, die - zumindest in Jaipur - deutlich in der Unterzahl sind. Man muss schon suchen, um so ein Restaurant zu entdecken.

Die meisten Hindus leben rein vegetarisch, es ist jedoch kein Dogma. Tabu für alle Hindus ist jedoch der Verzehr von Rindfleisch. Und unvorstellbar für alle ist die Zubereitung von Fleisch und vegetarischen Gerichten in einer Küche. So etwas gibt es hier nicht. Ich bin mal wieder beeindruckt und finde es auch logisch, bin erstaunt, dass ich noch nie über so etwas nachgedacht habe. 

Hotelbezug: Mein filmreifes Zimmer

Nach dem Essen soll ich - bevor die Abendschicht bei dem Kollegen Mathur beginnt - noch mein Hotelzimmer beziehen. Das kleine Hotel liegt nahe dem Wohnhaus des Kollegen, das von dort fußläufig zu erreichen ist, so dass ich meinen "Arbeitsweg" selber organisieren kann. Vinay Mathur und ich wollen eine Fahrgemeinschaft bilden. Auch das sollte anders kommen.

Mein neues Zimmerchen ist filmreif. Die Kamera läuft und nimmt meinen Erstbezug auf.  Es ist das krasse Gegenteil des Zimmers im Hilton, wobei ich ja eigentlich froh bin, die feine Lokalität zu verlassen und in einfachere Gefilde komme, die mehr zu mir passen und in denen ich mich wohlfühlen kann. Nun sprüht das Zimmerchen aber nicht gerade vor Wohlfühlatmosphäre. Es ist laut, heiß, karg, schmuddelig.

Als das Licht angedreht wird, flüchten zwei Kakerlaken vom Nachttisch. Das Badezimmer ist ein dunkles Verlies, hat aber eine richtige Toilette und direkten Zugang zum Nachbarzimmer, das auch belegt zu sein scheint. Laut ist es also nicht nur von der Straße her. Ich habe übrigens nie erfahren, wie viele Menschen im Nachbarzimmer untergebracht waren und "mein Bad" benutzt haben. Gut, so viel Zeit wollte ich eh nicht dort verbringen, hoffe nur auf ein paar ungestörte Minuten beim Toilettengang und beim Duschen.

Die stickige und muffige Luft steht im gut erhitzten Raum und wird durch den großen Deckenventilator etwas durcheinander gewirbelt, wodurch auch das Zeitungspapier, mit dem das Fenster - warum auch immer - abgeklebt ist, anfängt zu flattern. Trotzdem würde ich mich jetzt gerne einfach aufs Bett werfen und für mich sein. Ich bin schon geschafft: vom Tag, vom Reden und von den Eindrücken.

Aber es ist ja erst Nachmittag. So kann ich leider nur meine Sachen im Zimmer abstellen, auch weil die Zeit zu rennen scheint und wir pünktlich zur Abendschicht erscheinen wollen. Ab jetzt ist für den Rest des Tages kamerafrei und ich kann mich ganz auf den Kollegen einstellen.

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Eine Abendschicht beim Kollegen

Wir müssen uns wieder durch die halbe Stadt zur Praxis drängeln, was mich wieder einige graue Haare kostet, für die aktiven Verkehrsteilnehmer hingegen eine ganz entspannte Angelegenheit zu sein scheint.

Die Abendschicht beim Kollegen Mathur verläuft ruhig und unblutig. Hauptsächlich werden Rezepte für Antibiotika ausgestellt oder mögliche Therapien besprochen, die aber aller Wahrscheinlichkeit nicht stattfinden werden, wie mir der Kollege verrät. Seine Patienten kennen so gut wie keine Termine und schon gar keine Behandlungen, die nicht aus unmittelbaren Notfällen heraus durchgeführt werden.

Was ich sehr schade für beide Seiten finde, denn er gibt sich bei jedem Patienten Mühe. Erklärt die Notwendigkeit weiterführender Therapien und macht Sonderkonditionen. So bietet er "eingehende Untersuchungen" nahezu kostenfrei an, um beiden Seiten diese zu ermöglichen. Bislang leider ohne Erfolg.

Jaipur wird von der Dunkelheit eingeholt, was dem lauten und bunten Treiben auf den Straßen jedoch keinen Abbruch tut. Ich empfinde diese Abendstimmung als sehr angenehm. Gegen 20 Uhr ist Feierabend, das Team holt mich zum gemeinsamen Essen ab und wir besprechen kurz den Ablauf des morgigen Tages: Im Laufe des späten Vormittags wollen wir uns in der Praxis Mathur treffen, dort ein wenig drehen und danach zu seiner Familie, wo wir zum Essen eingeladen sind.

Zum Glück scheint der gemeine Zahnarzt in Indien kein Frühaufsteher zu sein: Die reguläre Sprechstunde beginnt um 11 Uhr. Sanjeev, der Fahrer, fährt mich zu dem Hotel zurück, ich freue mich auf das Bett und auf Schlaf, muss mich allerdings vorher noch kurz um das Videotagebuch kümmern. Es sollte eine lange Nacht werden im wohl lautesten Hotel der Welt ... 

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