Angst vor Coronavirus

Patienten sagen Zahnarzttermine ab

silv
Gesellschaft
Mundschutz? Ausverkauft. Desinfektionsmittel? Ebenso. Niemand weiß, wann Nachschub eintrifft. Die Lager der Dentaldepots sind leer. Die ersten Patienten sagen aus Angst vor dem Coronavirus ihren Zahnarzttermin ab.

Dr. Burghardt Zimny betreibt in Berlin eine Praxis mit 40 Angestellten. Er sagt: „Mundschutzmasken und Desinfektionsmittel reichen bei uns noch für 100 Tage.“ Was danach passieren könnte, möchte er sich lieber nicht ausmalen. „Wir haben bei sämtlichen Dentaldepots angerufen: Niemand hat mehr Ware. Der Markt ist leergefegt.“

Und keiner kann derzeit sagen, wann es wieder Ware geben wird. Im Klinikum Leverkusen haben Unbekannte gerade mehrere Packungen Mundschutz und Flaschen mit Desinfektionsmitteln gestohlen. Die Behälter wurden teilweise gewaltsam aus der Wahndhalterung gerissen. Das Klinikum will die Fälle ahnden. 

30 Prozent der Patienten sagen ihre Termine ab 

Rund 30 Prozent der Patienten von Zimny haben in den vergangenen Tagen ihre Termine abgesagt. So hoch sei die Absagequote noch nie gewesen. „Es ist normal, dass zu dieser Jahreszeit Patienten auch mal absagen. Aber so viele waren es noch nie“, sagt der Wilmersdorfer Implantologe. Die Begründung der meisten lautet "Erkältung" - nur wenige geben zu, dass sie Angst vor dem Coronavirus haben. Patienten können ihre Termine absagen – aber was macht das Praxisteam?

Mit Kollegen tauscht er sich täglich aus, ortet die aktuelle Lage. „Ob Corona gefährlicher ist als Influenza, werden wir letztendlich erst in zwei bis drei Jahren wissen, wenn es verlässliche Zahlen gibt.“

Jede Maske ist ein Stückchen Garantie für die Zukunft

Seine Mitarbeiter gehen derzeit sparsam mit den schwindenden Ressourcen um. „Normalerweise wechseln wir den Mundschutz auch mal während der Behandlung, im Augenblick machen wir das nur, wenn es absolut nötig ist.“ Jede Maske ist ein Stückchen Garantie für die Zukunft der Praxis.

Schließlich ist das Worst Case-Szenario in deutschen Zahnarztpraxen aktuell ein Patient, bei dem sich hinterher herausstellt, dass er mit dem Coronavirus infiziert ist. „Dann würde das Gesundheitsamt die Praxis schließen“, befürchtet Zimny. So manche Praxis würde dadurch finanziell ins Trudeln geraten.

Nach zwei bis drei Monaten geht der Praxis die Puste aus

„Ich habe 40 Mitarbeiter“, erklärt Zimny, „ich habe sogar eine Versicherung, die mich gegen Seuchen und Quarantäne absichert." Er rechnet vor: „Diese Summe ist rein theoretisch schon im ersten Monat einer Schließung aufgebraucht. Was danach kommt, weiß ich nicht. Länger als zwei bis drei Monate kann eine Praxis so etwas nicht durchhalten. Danach geht uns die Puste aus.“ Selbst wenn bei einer vorübergehenden Schließung die Gehälter vom Amt übernommen werden, wird es finanziell irgendwann eng.

Zimny und sein Team setzen derzeit auf Optimismus und darauf, dass das Leben weitergehen muss. „Wir haben keine übermäßige Angst, aber wir schützen uns.“ Gleich am Eingang steht ein Tisch mit Desinfektionsmittel, die Patienten werden gebeten, sich die Hände zu desinfizieren.  

Die Stimmungslage? Querbeet - von besorgt bis völlig panisch!

In den Zahnärztekammern der Länder verzeichnet man in den vergangenen Tagen eine deutliche Zunahme von Anrufen besorgter Zahnärzte. „Wir werden regelrecht überrollt“, sagt Andrea Mader von der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg. In der Faschingswoche ging es los. „Wir haben ein Merkblatt für unsere Website erarbeitet, das immer aktualisiert wird, wenn es neue Informationen gibt." Die Stimmungslage der Zahnärzte sei „querbeet – von besorgt bis völlig panisch".

Die Kammer setzt auf Beruhigung: „Wir geben die neuesten Informationen an Anrufer weiter und versuchen, zu beruhigen“, sagt Mader. Auch die Zahnärztekammer Hamburg verzeichnet eine Zunahme von Anrufen besorgter Mitglieder. „Die Neugierde auf Informationen ist größer als zu normalen Zeiten, mehr als die Informationen, die das RKI herausgibt, können wir allerdings auch nicht verkünden“, sagt Pressesprecher Arne Schlichting.

Gibt es bei der Zahnärztekammer Bremen normalerweise nur vereinzelte Anrufe, gehen seit einer Woche sehr viele ein. „Wir haben die Praxen per Mailverteiler informiert, auf unserer Homepage Informations-Links zusammengefasst“, sagt Mitarbeiterin Renate Friedrich. „Wir denken, dass das ausreicht, letztendlich ist das Gesundheitsamt der Ansprechpartner für Praxen, wenn tatsächlich ein Coronavirus-Fall auftritt.“

Das größte Problem der Anrufer sei momentan der fehlende Mundschutz. „Das Problem ist, dass die Dentaldepots leergefegt sind. Wir geben die RKI-Auskunft weiter, dass er Mundschutz mehrfach verwendbar ist.“ Auch die Lohnfortzahlung im Fall von Quarantäne beschäftigt die Zahnärzte. Friedrich arbeitet seit 1977 im Gesundheitswesen: „Einen vergleichbaren Fall in dieser Größenordnung habe ich noch nie erlebt.“ 

Seit Wochen redet der Apotheker sich den Mund fusselig

Dirk Vongehr betreibt in Köln die „Paradies-Apotheke“ und erlebt die Panikkäufe jeden Tag. „Wir hatten noch nie so viel zu tun, haben rund 40 Prozent mehr Kunden als zu normalen Zeiten“, sagt er. Hamsterkäufe verurteilt er: „Wenn sich alle daran gehalten hätten, nur in haushaltsüblichen Mengen zu kaufen, dann gäbe es auch noch etwas.“ 

Wann neue Ware kommt, kann er seinen Kunden nicht sagen. „Handschuhe haben wir noch, Mundschutz und Sterillium nicht mehr.“ Seit Wochen reden seine Mitarbeiter und er sich den Mund fusselig – erfolglos. „Wir erklären unseren Kunden unermüdlich, dass Mundschutz nichts hilft. Damit kann man nur andere schützen, wenn man selbst erkrankt ist. Eine Ansteckung kann man damit nicht vermeiden.“ Die Kunden kauften trotzdem Mundschutz-Masken in großen Mengen, jetzt sind die Regale leer.

In den Dentaldepots sind die Mitarbeiter im Dauerstress. Thomas Simonis, Bereichsleiter Unternehmenskommunikation bei NWD in Münster, sagt: „Wir haben nichts mehr vorrätig.“ Rundrufe aus Praxen sind mittlerweile Alltag, aber sinnlos. „Wir beziehen alle unsere Ware von denselben Herstellern.“ Eine Prognose wagt derzeit niemand. „Wir können nicht sagen, wann es wieder Ware geben wird“, so Simonis.

"Wir bitten um Ihr Verständnis und Ihre Geduld!"

Anruf bei Gerl Dental in Köln. Mundschutz, Handschuhe – ausverkauft. Versuche, online zu bestellen, sind schon seit einigen Tagen sinnlos. Auf der Website des Gießener Dentaldepots Peppler werden die Kunden in Sachen Coronavirus folgendermaßen informiert: „Der Ausbruch und der Anstieg der Infektionsfälle der Lungenkrankheit COVID-19, ausgelöst durch das neuartige Coronavirus namens SARS-CoV-2 haben inzwischen weltweit Auswirkungen. Die Bevölkerung ist alarmiert und es werden vermehrt Vorsichtsmaßnahmen getroffen. In China werden Städte, besonders um die Provinz Hubei, abgeriegelt und von der Außenwelt abgeschnitten. Die Produktionen stehen still, während der Bedarf an PSA-Artikeln, vor allem Mundschutze, immer weiter steigt. Die chinesische Regierung hat sich dazu entschieden Ware vorerst zurückzuhalten, da sie vor Ort dringender benötigt wird. Dies bedeutet für uns, dass unsere Mundschutze zurzeit nur für unsere Mundschutz-Abrufkunden zur Verfügung stehen. Wir bitten um Ihr Verständnis und Ihre Geduld.“  

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