TK fordert neue Organisation der Pflege

ck/pm
Gesellschaft
Die Datenlage zur gesundheitlichen Situation von Pflege-Angehörigen ist bisher dünn. Die Techniker Krankenkasse (TK) befragte jetzt mehr als 1.000 Betroffene zu Befinden und Belastungen. Ergebnis: Die Pflege stresst, und der familiäre Zusammenhalt nimmt ab.

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa interviewte im Auftrag der TK insgesamt 1.007 Pflegende persönlich. Und kam zu diesen Ergebnissen: Sechs von zehn Befragten geben an, dass die Pflege sie viel von ihrer eigenen Kraft kostet - je höher die Pflegestufe, desto größer die Belastung. In Pflegestufe drei ist sie fast doppelt so groß wie in Stufe null. Ständig in Bereitschaft zu sein, strengt 55 Prozent der Befragten sehr an.

Die Hälfte der Pflegenden fühlt sich oft körperlich erschöpft, gut ein Drittel hin- und hergerissen zwischen den Anforderungen der Pflege und denen der Umgebung, zum Beispiel Job oder Familie. Drei von zehn Befragten geben sogar an, die Pflegesituation greife die eigene Gesundheit an.

Nur wenige Pflegende schätzen ihren Gesundheitszustand positiv ein: Während im Bevölkerungsquerschnitt sechs von zehn Befragten ihre Gesundheit als gut oder sehr gut beurteilen, ist dies bei den pflegenden Angehörigen nicht einmal die Hälfte (45 Prozent). Unter den Angehörigen, die den Pflegebedürftigen ganz allein betreuen, geben sogar nur etwas mehr als ein Drittel an, ihr Gesundheitszustand sei gut oder sehr gut. Immerhin: Jeder Vierte pflegt allein.

Pflegen aus Pflichtgefühl

Fast die Hälfte der Pflegenden übernimmt die Aufgabe nach eigener Aussage aus Pflichtgefühl und Familienzusammenhalt. Die Studie zeigt jedoch, dass dieser soziale Kitt zunehmend bröckelt. Familiärer Zusammenhalt spielt umso weniger eine Rolle, desto jünger die Befragten sind.

Während bei den Über-65-Jährigen insgesamt 61 Prozent familiäres Pflichtgefühl als Hauptgrund angeben, sind es bei den 50- bis 65-Jährigen nur noch 45, bei den 18- bis 49-Jährigen sogar nur noch 38 Prozent.

"Das Pflegepotenzial von Familien wird kleiner"

"Das Pflegepotenzial von Familien wird kleiner", erklärt TK-Chef Jens Baas die Entwicklung. "Erwerbstätigkeit hat einen anderen Stellenwert als in der Babyboomer-Generation. Pflege in Vollzeit wird künftig kaum mehr möglich sein."

Das heißt: Die moderne Arbeitswelt fordert Mobilität. Eltern und Kinder wohnen deutlich seltener am gleichen Ort. Einstellungen zum Thema Familie sind im Wandel, Single-Haushalte nehmen zu. Speziell in ländlichen Regionen erzeugt die Abwanderung Handlungsbedarf.

Die Schwiegertochter als Pflegezentrum ist ein Auslaufmodell.+"

"Für die Zukunft müssen wir andere Antworten finden. Wir müssen Pflege anders als heute organisieren", erklärt Baas. "Die informelle Pflege von Angehörigen ist künftig in diesem Umfang nicht mehr leistbar. Die Schwiegertochter als Pflegezentrum ist ein Auslaufmodell."

Er schlägt vor: ein träger- und sektorenübergreifendes Hilfs- und Betreuungsnetzwerk, das einen deutlichen Fokus auf die Zuhause-Versorgung legt. Baas: "Wir müssen die informellen Leistungen der Angehörigen in professionelle Netzwerke überführen und Angebote integrieren, die es auch jetzt schon gibt. Unsere Studie zeigt, dass gerade Unterstützungsleistungen der Pflegeversicherung zwar bekannt sind, aber trotzdem wenig genutzt werden."

Fokus auf die Zuhause-Versorgung legen

Am stärksten nutzen die Pflegenden noch den ambulanten Pflegedienst: Fast 60 Prozent geben dies in der Befragung an. Hingegen ist die Nachtpflege zwar bei drei Viertel der Pflegenden bekannt, wird aber trotzdem nur von sieben Prozent der Befragten genutzt.

Angehörige kennen die Angebote kaum

Mit Beratungsangeboten sind Pflegende demnach insgesamt weniger vertraut. Nur die Hälfte kennt die Möglichkeit der individuellen Pflegeschulung zu Hause, nicht einmal 60 Prozent die Pflegekurse in der Gruppe. Baas: "Hier sehe ich ganz klar einen Auftrag an uns als Kasse. Pflegende müssen gut informiert sein, insbesondere wenn sie ganz plötzlich in eine Pflegesituation kommen." Die Studie zeige, dass sie dann deutlich belasteter sind als wenn sie mit der Zeit in die Pflegesituation hineinwachsen.

Mehr als 2,5 Millionen Menschen sind pflegebedürftig. Modellrechnungen gehen davon aus, dass es bis 2030 in Deutschland sogar rund 3,4 Millionen sein werden. Sieben von zehn Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt. Die große Mehrheit von ihnen, zwei Drittel, werden ausschließlich durch Angehörige betreut. Kurzum: Pflegende Angehörige sind unverzichtbar für die Versorgung.

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