Vollzeitjob Pflege

ck/dpa
Gesellschaft
Das Wort Feierabend gibt es für Hildegard Ciccia seit Jahren nicht mehr. Keine Nacht kann sie durchschlafen. Die 60 Jahre alte Monheimerin hat einen der härtesten Rund-um-die-Uhr-Jobs: Sie pflegt ihren 71-jährigen demenzkranken Ehemann.

Sie sagt ihm morgens, welcher Tag es ist und was er essen und trinken soll. "Ich muss ständig hinter ihm her sein", sagt Ciccia. Er lasse den Herd an, das Bügeleisen. "Er hat keinen Tag- und Nachtrhythmus, ist ständig auf Achse."

Ständig auf Achse

Einmal entwischte ihr Mann um zwei Uhr morgens aus dem Haus und ging zum Gemüseladen, um Äpfel zu kaufen. Die Händler brachten ihn zurück nach Hause. Zum Glück kennt man sich in der kleinen Stadt bei Köln. Ihre Freunde hat Ciccia verloren, denn sie kann schon lange nicht mehr abends ausgehen. "Es zerfällt alles." 

Eine Auszeit für die Angehörigen

Entlastung für pflegende Angehörige wie Hildegard Ciccia soll ein Pilotprojekt der Krankenkasse Barmer GEK und des NRW-Gesundheitsministeriums bringen. In einem viertägigen Seminar in einem Hotel im westfälischen Bad Sassendorf sollen Angehörige zur Ruhe kommen, von Psychologen beraten werden und an Workshops zur kräfteschonenden Bewältigung der Pflege oder der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf teilnehmen. Ziel des Projekts "Pause" ist, den Menschen eine Auszeit zu ermöglichen und ihnen bei der Rückkehr in den Pflegealltag zu helfen. 

"Wir müssen nicht nur an das Wohl der Pflegebedürftigen denken, sondern auch an die pflegenden Familienangehörigen", sagte der Barmer-Landesgeschäftsführer Heiner Beckmann am Donnerstag in Düsseldorf. "Sie haben mehr als einen Vollzeitjob." 

Das Pilotprojekt wird mit jeweils 200.000 Euro von der Barmer GEK und dem Gesundheitsministerium gefördert. Teilnehmer müssen einen Eigenanteil von 149 Euro aufbringen. Die Kasse hilft bei der Suche nach geeigneten Pflegediensten während der Abwesenheit. Zwar könne mit den Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung die Betreuung während der Abwesenheit organisiert werden. "Aber vielen fällt es schwer, eine Auszeit zu nehmen und Pflegebedürftige allein zu lassen", sagte die Pflegewissenschaftlerin Juliane Diekmann. 

Still, leise und unsichtbar

Damit die Teilnehmer nach der Rückkehr nicht in ein seelisches Loch fallen, soll es eine "mehrstufige Nachsorge" geben. So werden die Teilnehmer ermutigt, Selbsthilfegruppen zu gründen. Schon während des Seminars sollen sie Menschen aus der Nähe ihres Wohnorts kennenlernen, die in der gleichen belastenden Lage sind. 

Pflegende Angehörige drohten aus der Gesellschaft zu verschwinden, sagt Georg Oberkötter vom Referat für Pflege im NRW-Gesundheitsministerium. "Sie sind still, leise und unsichtbar." Aber sie dürften "nicht als Anhängsel der Pflegebedürftigen definiert werden".

Mehr als zwei Drittel der rund 2,5 Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause versorgt. Fast drei Viertel der pflegenden Angehörigen sind Frauen.

Eine bezahlte Pause

Bis 2016 werden sechs Seminare für insgesamt 500 gesetzlich versicherte pflegende Angehörige angeboten. Die Erkenntnisse werden bis 2016 mit Experten der Sporthochschule Köln ausgewertet. Der Abschlussbericht soll zeigen, ob Entlastungsseminare wie "Pause" bundesweit in die Regelversorgung der Kassen aufgenommen werden könnten.

von Dorothea Hülsmeier, dpa

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