Drei Dentalprodukte betroffen

Zahl der Produkte mit Mikroplastik steigt weiter

mg
Gesellschaft
Paradox: So wie das Bewusstsein für die Umweltschädlichkeit von Mikroplastik rasant wächst , steigt die Zahl der betroffenen Produkte in Deutschland. Mitte 2014 waren es 400, heute 863 - drei davon aus dem Dentalmarkt.

Der Begriff Mikroplastik bezeichnet Kunststoffpartikel, die kleiner als 5 Millimeter sind. Unterschieden wird in primäres Mikroplastik, das in Kleinstform Produkten zugesetzt oder frei wird, und sekundäres Mikroplastik, das aus größerem Plastikmüll durch Sonneneinstrahlung, Strömungen und Gezeiten erst im Meer zerkleinert wurde.

Primäres Mikroplastik wird aktuell vielfältigen Kosmetika als Peeling- oder Putzkörper, Trübungsmittel oder optisches Accessoire zugesetzt. Die Weltnaturschutzunion IUCN schätzt in ihrem 2017 erschienenen Bericht " Primary Microplastics in the oceans ", dass jährlich mindestens 800.000 Tonnen primäres Mikroplastik in die Meere gelangt. Zwei Prozent - das sind mindestens 16.000 Tonnen - entfallen dabei jährlich auf Mikroplastik aus Kosmetikprodukten.

Die jüngste Entwicklung zeigt den Rückschritt im Dentalmarkt: Nachdem mehrere Zahnpastahersteller reagierten , gab es mehrere Jahre keine Dentalprodukte mit Mikroplastik. Das änderte sich mit der Einführung des Zahnfleischpflegegels Parodont Ende 2017.

In der neuesten Auflage des Einkaufsratgebers des Naturschutzverbandes BUND "Mikroplastik - Die unsichtbare Gefahr" werden zudem die beiden Haftcremes "Professionell Haftcreme Med + Kamille" und "Die Blauen Super Haftcreme" des Hersteller Kukident aufgeführt.

Umweltministerium: "Wir befinden uns mitten im Ausstiegsprozess"

Für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) ist es kein Widerspruch, dass die Zahl der vom BUND gelisteten Produkten steigt, obwohl die Industrie bereits 2013 im "Kosmetikdialog" mit der Bundesregierung eine freiwillige Selbstverpflichtung einging, auf Mikroplastik zu verzichten: "Beim Dialog geht es um feste Mikroteilchen aus Kunststoff, nicht um sogenannte flüssige Kunststoffteilchen", erklärt das Ministerium. Dieser Komplettausstieg aus der Verwendung von festem Mikroplastik müsse bis 2020 erfolgen.

Der dafür nötige Umstellungsprozess habe bereits begonnen, informiert das BMUB weiter. Zahnpasten in neuer Produktion und Peelingprodukte seien bereits frei von Mikroplastikpartikeln. "In diesem Bereich wurde der Einsatz von Mikroplastik von 2012 bis 2015 bereits von 4.360 Tonnen auf 700 Tonnen gesenkt. Auch in weiteren bereits auf dem Markt befindlichen Produkten werden bereits alternative Beigaben, zum Beispiel Walnussmehl, Zellulose oder Holzmehl, verwendet", heißt es.

In einem zweiten Schritt wolle man nun über weitere Produkte sprechen, die einen geringeren Anteil von Mikroplastik besitzen: Haarfestiger, Shampoos oder Rasierschaum zum Beispiel. "Von einem Scheitern (...) kann also keine Rede sein", positioniert sich das BUMB. "Im Gegenteil. Wir befinden uns mitten im Ausstiegsprozess."

Die Branche befinde sich in der Bringschuld, ihre Ausstiegsschritte innerhalb des Dialogverfahrens nachvollziehbar zu erläutern, zudem werde der Ausstieg vom Umweltbundesamt wissenschaftlich überwacht, heißt es, und: "Sollte die Selbstverpflichtung nicht zu dem vereinbarten Ergebnis führen, würden wir seitens des BMUB andere Maßnahmen erwägen."

Unsere Nachfrage, ob derartige Maßnahmen bereits vereinbart worden sind - und welche Sanktionsmaßnahmen dem BUMB bei Nichteinhaltung durch die Industrie zur Vefügung stehen, blieb unbeantwortet. Das gilt auch für die Frage, ob das Minsterium den Komplettausstieg in den kommenden 19 Monaten überhaupt für machbar hält.

Greenpeace: "Ein Freifahrtschein für die Kosmetikbranche"

Die grüne Bundestagsfraktion hält Mikroplastik in Kosmetik indes komplett für entbehrlich und fordert, es wie in den USA, Kanada, Neuseeland, Großbritannien und Schweden zu verbieten. Auch Greenpeace kritisierte bereits 2016 die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Hersteller als "reines Gerede", da diese flüssiges, wachsartiges, pastöses oder pulvriges Mikroplastik nicht berücksichtigen.

"Der Kosmetikdialog zu Mikroplastik ist nicht mehr als eine Scheinlösung", urteilt Dr. Sandra Schöttner, Meeresbiologin bei Greenpeace. Es sei vielmehr "ein willkommener Freifahrtschein für die Branche, zukünftig werbewirksam Kosmetik- und Reinigungsprodukte als mikroplastikfrei zu bezeichnen, die es de facto nicht sind."

Beim Ministerium hofft man scheinbar auf die Marktmacht der Verbraucher: "Für gute Alternativen zu mikroplastikhaltigen Alltagsprodukten sorgt das BMUB übrigens auch mit dem Umweltzeichen Blauer Engel", erklärt das BUMB ungefragt: "Duschgels, Waschmittel oder Seifen mit dem Blauen Engel müssen immer frei von Mikroplastik sein. Die Kosmetikbranche schafft damit selbst eigene gute Beispiele und Prototypen."

Anmerkungen:Das BUMB informiert, dass es in der EU derzeit Diskussionen über ein Mikroplastik-Verbot gebe. "Wenn die EU-Kommission ein europaweites Verbot von Mikroplastik vorschlüge, würde Bundesumweltministerin Barbara Hendricks das unterstützen." Noch sei jedoch völlig offen, ob, wann und in welchem Umfang ein europaweites Verbot greifen würde. Zu erwarten wäre, dass Meinungsbildung, Abstimmungen und Übergangsfristen einige Jahre in Anspruch nehmen.

Die Beovita Vital GmbH - Herstellerin des dritten betroffenen Produkts - reagierte offiziell bislang nicht auf eine Anfrage der zm zum verwendeten Mikroplastik. Geschäftsführer Dr. Ismail Özkanli erklärte telefonisch lediglich, an einer Rezeptur ohne Polyethylene werde gearbeitet.

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