Ethikrat gibt Empfehlungen zur Coronakrise

pr/pm
Der Deutsche Ethikrat befürwortet die zur Eindämmung der Infektionen ergriffenen Maßnahmen. Ganz wichtig sei die Vermeidung von Triage-Situationen, in denen Ärzte gezwungen werden, zu entscheiden, wer gerettet wird.

Die Ad-hoc-Empfehlung "Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise" soll Orientierungshilfe leisten und die angesichts der Coronakrise im Gesundheitssystem drohenden dramatischen Handlungs- und Entscheidungssituationen ethisch unterstützen.

Erforderlich ist eine gerechte Abwägung konkurrierender moralischer Güter

Der ethische Kernkonflikt bestehe darin, dass ein dauerhaft hochwertiges, leistungsfähiges Gesundheitssystem gesichert werden müsse und zugleich schwerwiegende Nebenfolgen für Bevölkerung und Gesellschaft möglichst gering zu halten seien, teilt der Ethikrat mit.

Wörtlich heißt es dort: „Das erfordert eine gerechte Abwägung konkurrierender moralischer Güter, die auch Grundprinzipien von Solidarität und Verantwortung einbezieht und sorgfältig prüft, in welchem Ausmaß und wie lange eine Gesellschaft starke Einschränkungen ihres Alltagslebens verkraften kann.“

Konkret empfiehlt der Ethikrat für die nächste Zeit folgende Einzelmaßnahmen

  • Weiteres Aufstocken und Stabilisieren der Kapazitäten des Gesundheitssystems

  • Einführung eines flächendeckenden Systems zur Erfassung und optimierten Nutzung von Intensivkapazitäten

  • Abbau bürokratischer Hürden und bessere Vernetzung im Gesundheitssystem und mit anderen relevanten Gesellschaftsbereichen

  • weiterer Ausbau von Testkapazitäten

  • weitere kontinuierliche Datensammlung zu individueller und Gruppenimmunität und zu Verläufen von Covid-19

  • breite Förderung/Unterstützung von Forschung an Impfstoffen und Therapeutika sowie Vorbereitung von Förderstrukturen für deren massenhafte Produktion und Einführung

  • Unterstützung von interdisziplinärer Forschung zu sozialen, psychologischen und anderen Effekten der Maßnahmen im Rahmen der Covid-19-Pandemie

  • Entwicklung von effektiven und erträglichen Schutz- und Isolationsstrategien für Risikogruppen

  • eine fundierte Strategie für die transparente und regelmäßige Kommunikation zu ergriffenen Maßnahmen und zur politischen Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit Covid-19

  • ein Überdenken der Angemessenheit föderaler Lösungen im Katastrophenfall sowie konkrete Berechnungen der zu erwartenden Kosten durch ergriffene Maßnahmen und Alternativszenarien

Die Corona-Krise sei die Stunde der legitimierten Politik, führt der Ethikrat aus. Er will Politik und Gesellschaft dafür sensibilisieren, die verschiedenen Konfliktszenarien als normative Probleme zu verstehen. Ihre Lösung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

PolitischeEntscheidungen dürfen nicht an die Wissenschaft delegiert werden

Es widerspreche dem Grundgedanken demokratischer Legitimation, politische Entscheidungen an die Wissenschaft zu delegieren und von ihr eindeutige Handlungsanweisungen für das politische System zu verlangen. Gerade schmerzhafte Entscheidungen müssen von den Organen getroffen werden, die hierfür durch das Volk mandatiert sind und dementsprechend auch in politischer Verantwortung stehen.

Ganz wichtig ist für den Ethikrat die weitgehende Vermeidung von Triage-Situationen, in denen Ärzte gezwungen werden, zu entscheiden, wer vorrangig intensivmedizinische Versorgung erhalten und wer nachrangig behandelt werden soll.

Der Staat darf nicht vorschreiben, welches Leben in einer Konfliktsituation zu retten ist

„Der Staat darf menschliches Leben nicht bewerten und deshalb auch nicht vorschreiben, welches Leben in einer Konfliktsituation zu retten ist,“ schreibt der Ethikrat dazu weiter. Die Verantwortung, in Situationen katastrophaler Knappheit medizinischer Ressourcen über Leben und Tod zu entscheiden, sollte keinesfalls allein den einzelnen Ärztinnen und Ärzten aufgebürdet werden.

Es bedürfe vielmehr einheitlicher Handlungsmaximen für den klinischen Ernstfall nach wohlüberlegten, begründeten und transparenten Kriterien. Der Ethikrat verweist hier auf erste Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften.

Zugleich müssten die aktuellen freiheitsbeschränkenden Infektionsschutzmaßnahmen fortlaufend kritisch evaluiert werden. Zwar müsse derzeit im Mittelpunkt stehen, die Ausbreitung des Coronavirus erheblich zu verlangsamen. Dabei sei jedoch auch jetzt schon die Frage in den Blick zu nehmen, wie eine geordnete Rückkehr zu einem einigermaßen „normalen“ gesellschaftlichen und privaten Leben sowie zu regulären wirtschaftlichen Aktivitäten erfolgen könne, um die ökonomischen, kulturellen, politischen und psychosozialen Schäden möglichst gering zu halten.

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