Deutscher Ärztetag

Fernbehandlung aufgehoben – Votum für Patientenakte – Aussetzung für TI-Anbindung

pr/pm
Am Wochenende ist der 121. Deutsche Ärztetag zu Ende gegangen. 250 Delegierte aus ganz Deutschland hatten vom 8. bis 11. Mai eine Vielzahl von gesundheits-, sozial- und berufspolitischen Themen beraten. Hier ein Überblick über die wichtigsten Beschlüsse.

Lockerung des Fernbehandlungsverbots

Beschlossen wurde eine Neufassung des § 7 Absatz 4 der ärztlichen (Muster-)Berufsordnung. Damit wurde der berufsrechtliche Weg für die ausschließliche Fernbehandlung von Patienten geebnet. Die Neuregelung entspricht den Forderungen des letztjährigen Deutschen Ärztetages, einerseits die Behandlung und Beratung aus der Ferne unter bestimmten Anforderungen zu ermöglichen und andererseits den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt weiterhin in den Vordergrund zu stellen. Eine ausschließliche Fernbehandlung liegt dann vor, wenn eine ärztliche Beratung oder Behandlung stattfindet, ohne dass zumindest ein persönlicher physischer Kontakt zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat.

Der geänderte § 7 Absatz 4 der (Muster-)Berufsordnung lautet:

„Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“

Der nächste Schritt ist die Übernahme dieser Regelung in die rechtsverbindlichen Berufsordnungen der Landesärztekammern.

Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)

Die Delegierten erteilten der Bundesärztekammer (BÄK) den Auftrag, die weit fortgeschrittenen Arbeiten an dem Entwurf zur Novellierung der GOÄ fortzuführen. Dies soll in enger Abstimmung mit den Landesärztekammern und unter Einbindung der Berufsverbände und Fachgesellschaften erfolgen. Aktuell wird der mit 130 ärztlichen Verbänden und wissenschaftlichen-medizinischen Fachgesellschaften sowie dem Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) erarbeitete GOÄ-Entwurf der Leistungslegendierungen einer betriebswirtschaftlich nachvollziehbaren Kalkulation unterzogen. Die BÄK ist jetzt beauftragt, diesen Prozess unter Berücksichtigung der Eingaben der eingebundenen Verbände und Fachgesellschaften fortzuführen.

Die Delegierten lehnten die von Teilen der Politik erwogene einheitliche Gebührenordnung als Zusammenführung von GOÄ und Einheitlichem Bewertungsmaßstab (EBM) ab. In jedem Falle sei auszuschließen, dass die GOÄ mit dem vorgeblichen Ziel einer Vereinheitlichung der ärztlichen Vergütungssysteme eine Anpassung an den EBM erfährt.

In diesem Zusammenhang hob der Ärztetag hervor, dass gemäß Beschlusslage des letztjährigen Ärztetages eine mit den Kostenträgern der PKV und der Beihilfe konsentierte Amtliche Gebührenordnung für Ärzte nur dann als Vorlage für eine Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit eingereicht werden dürfe, sofern das duale Versicherungssystem in Deutschland erhalten bleibt und keine einheitliche Gebührenordnung entwickelt wird. Da aber mit der Beantwortung dieser Fragen erst nach der Verkündung von ersten Ergebnissen der durch die Große Koalition einzusetzenden wissenschaftlichen Kommission zu rechnen ist, könne ohne Zeitdruck an einer neuen GOÄ weitergearbeitet werden.

In einer Entschließung forderten die Delegierten das Bundesgesundheitsministerium (BMG) dazu auf, die Bundesärztekammer mit ihrer medizinisch-wissenschaftlichen Kompetenz sowie ihrem betriebswirtschaftlichen Know-how in Gebührenordnungsfragen direkt und unmittelbar an der wissenschaftlichen Kommission zu beteiligen. Die Einrichtung dieser Kommission darf aber nicht dazu führen, dass sich die Inkraftsetzung der verabschiedungsreifen GOÄ weiter verzögert. 

Versicherten sollen Rechtsanspruch auf elektronische Patientenakte erhalten:

Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens soll der Gesetzgeber mit einem zweiten E-Health-Gesetz nachsteuern. Das Gesetz soll eine Reihe von Punkten adressieren, darunter den Anspruch der GKV-Versicherten auf die diskriminierungsfreie Wahl einer elektronischen Patientenakte gegenüber seiner Krankenkasse. Der Ärztetag forderte den Gesetzgeber auf, parallele Entwicklungen von elektronischen Gesundheitsaktensystemen der Krankenkassen und damit Wildwuchs und Insellösungen zu unterbinden.

Ferner forderte der Ärztetag die Etablierung einer dauerhaften Erprobungsregion für die elektronische Gesundheitskarte durch die gematik. Der Ärztetag kritisierte, dass die gematik derzeit nach dem sogenannten Marktmodell Anwendungen der eGK einführt. Das bedeutet, dass jeder Anbieter eines Konnektors selbst eine Testregion auswählen und ausstatten muss, um dort sein Produkt zu testen und eine Zulassung zu erhalten.

Dieses Vorgehen sei ineffizient und zeitraubend. Eine dauerhaft etablierte Testregion wäre ein geeignetes Setting, um neue Anwendungen mit neuen Komponenten schneller zu erproben. Notwendig sei auch die Sicherung der Qualität von Softwaresystemen. So solle der Gesetzgeber eine gesetzliche Grundlage schaffen, um Praxisverwaltungs-, Apotheken- und Krankenhausinformationssysteme einem Zertifizierungsverfahren zu unterziehen. Die Erprobung muss durch ärztliche Expertise, zum Beispiel in Form ärztlicher Beiräte begleitet werden, forderte der Ärztetag.

Außerdem sprachen sich die Delegierten für positive Anreize statt Sanktionen aus. Die im ersten E-Health-Gesetz verankerten Sanktionsandrohungen für die Gesellschafter der gematik führten zu Fehlanreizen, weil nicht mehr die Qualität im Vordergrund stehe, sondern die Vermeidung von Sanktionen.

Aussetzung der dysfunktionalen Telematikinfrastrukturanbindung

Der Ärztetag fordert die Politik auf, die verpflichtende Anbindung der Arztpraxen und medizinischen Versorgungszentren (MVZ) an die Telematikinfrastruktur (TI) zum Ende des Jahres 2018 auszusetzen. Ebenso ist die Strafandrohung von Honorarabzügen zurückzuziehen.

Als Gründe werden angeführt:

  • Inzwischen treten erhebliche Probleme bei zahlreichen Praxen auf, die sich an die TI angeschlossen haben. Es kommt zu wiederholten oder dauerhaften Systemausfällen, besonders beim Konnektor. Gesundheitskarten können mitunter nicht eingelesen werden, Paxisabläufe werden behindert. Dies ergibt sich auch aus dem Evaluationsgutachten der gematik zum Test des Online-Rollouts.

  • Es ist absehbar, dass die Industrie bis Ende 2018 weder eine zuverlässige Funktionsfähigkeit gewährleisten kann noch in der Lage ist, alle potenziellen Teilnehmer anzuschließen.

  • Die Finanzierung der Installation ist nicht gesichert. Die Kosten liegen inzwischen deutlich über den Erstattungsbeträgen.

  • Für Kliniken gibt es bis heute keine Finanzierungsvereinbarung mit den Krankenkassen.

  • Es gibt immer noch ein Marktmonopol bei den Konnektoranbietern - ein wirksamer Preiswettbewerb ist nicht erkennbar.

  • Eine Praxistauglichkeit der TI im Echtbetrieb ist bisher nicht ausreichend nachgewiesen – unter anderem die Ergebnisse des Evaluationsgutachtens zum Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) weisen auf das Gegenteil hin.

  • Es gibt erhebliche Zweifel, dass die jetzt konzipierte TI mit der am 25.05.2018 in Kraft tretenden EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) konform ist. Hier gibt es bereits zahlreiche Anfragen von Ärzten an Datenschutzbeauftragte in Behörden und Ländern. Besonders relevant ist die Frage der Datenschutz- Folgenabschätzung (DSFA) gemäß Artikel 35 DSGVO .

Psychische Erkrankungen stärker in den Blick nehmen

In einer Entschließung forderte das Ärzteparlament den Gesetzgeber sowie die Institutionen der Selbstverwaltung auf, sich stärker für die besonderen Bedürfnisse und Interessen von Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen einzusetzen. Um Stigmatisierung entgegenzuwirken, forderten die Delegierten die Bundesregierung sowie die Landesregierungen auf, Gesetzesvorhaben zu stoppen, die eine gesonderte Speicherung der Daten psychisch Kranker zum Inhalt haben.

Neuausrichtung der Notfallversorgung

Die Delegierten forderten eine umfassende Neuausrichtung der vielerorts völlig überlasteten Notfallaufnahmen in Deutschland. Notwendig seien unter anderem mehr Personal, eine bessere Vernetzung der Versorgungsbereiche sowie deren sektorenübergreifende und extrabudgetäre Finanzierung. Außerdem müsse die Bevölkerung besser über die Versorgungsstrukturen in der Notfallversorgung sowie über deren Nutzung aufgeklärt werden.

Der Ärztetag warnte, dass die ungesteuerte Inanspruchnahme der Notfallambulanzen in den Kliniken die ohnehin immense Arbeitsbelastung der dort tätigen Ärzte verschärfe. Daher müssten ambulante Notfallpatienten in hierfür vorgesehenen Portal- und Notfallpraxen behandelt werden. Die bereits in Ansätzen regional praktizierte unmittelbare und räumliche Zusammenarbeit von Vertragsärzten in solchen Portalpraxen mit Klinikärzten in Notfallzentren müsse weiterentwickelt werden.

Die Abgeordneten sprachen sich für die Möglichkeit einer ambulanten Notfallversorgung auch während der vertragsärztlichen Sprechstundenzeiten durch Notdienstpraxen der Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen von Modellprojekten aus. Kritisch sieht der Ärztetag das kürzlich beschlossene Konzept des Gemeinsamen Bundesausschusses für ein gestuftes System von Notfallstrukturen an Krankenhäusern, das auf Grundlage definierter Kriterien für die Notfallversorgung Vergütungszuschläge und -abschläge vorsieht.

Gleichwertiger Ausbildungsstandard für Ärzte aus Drittstaaten

Der Gesetzgeber wird aufgefordert zu regeln, dass alle Ärzte mit absolvierter ärztlicher Ausbildung aus Drittstaaten durch eine Prüfung einen Kenntnisstand nachweisen, über den auch Mediziner verfügen, die in Deutschland die ärztliche Ausbildung absolviert haben. Der Nachweis, dass entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten vorliegen, könne durch das erfolgreiche Ablegen einer bundesweit einheitlichen Prüfung analog dem 3. Abschnitt der Ärztlichen Prüfung gewährleistet werden, so der Ärztetag. Bislang wird über den Approbationsantrag vielfach allein anhand der Aktenlage entschieden. Entscheidend für die Gleichwertigkeit sind dabei Diplome und Zeugnisse. Bei fehlender Gleichwertigkeit kann auch Berufserfahrung herangezogen werden. Die Kenntnisprüfung zur Erteilung der Approbation muss nach dem Willen des Ärztetages umfassendes und für den medizinischen Alltag relevantes medizinisches Wissen abprüfen und unter Aspekten der Patientensicherheit konzipiert sein. Zudem müssten gute Fähigkeiten der sprachlichen Kommunikation (Niveau C1) nachgewiesen werden.

Mehr Medizinstudienplätze

Angemahnt wird eine schnelle Reform des Medizinstudiums. Vor dem Hintergrund des grassierenden Ärztemangels forderten die Delegierten die Bundesländer auf, die finanziellen Mittel für eine Erhöhung der Zahl der Studienplätze in der Humanmedizin um bundesweit mindestens zehn Prozent bereitzustellen.

Weiteren Änderungsbedarf sehen die Delegierten bei den Auswahlverfahren zum Medizinstudium. Sie forderten Bund und Länder auf, bei der nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von Anfang des Jahres notwendigen Neuregelung der Zulassung zum Medizinstudium die berufliche Vorprägung der Bewerber besonders in den Blick zu nehmen. Es sollte ein bundesweit einheitliches Verfahren eingeführt werden, in das die Abiturnote sowie die Ergebnisse eines einheitlichen schriftlichen Tests und eines standardisierten Assesmentverfahrens zu je einem Drittel einfließen.

Schwangerschaftsabbruch gemäß §219a: Werbeverbot beibehalten und Beratungsangebote stärken

Gefordert wird eine Stärkung der neutralen Information, der individuellen Beratung und der Hilfeleistung für Frauen in Konfliktsituationen. Ärzte in Praxen und Kliniken benötigten Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, sich Zeit für die individuelle Beratung ratsuchender Frauen zu nehmen, heißt es in einer Entschließung. Darüber hinaus seien die in Deutschland entwickelten Strukturen mit qualifizierten Beratungsstellen und Hilfsangeboten weiter zu fördern und wo erforderlich auszubauen. Der Entscheidung der Frau über den Abbruch müsse eine ergebnisoffene und unabhängige Beratung vorausgehen, die von geeigneten Hilfsangeboten begleitet werde.

Behandlungsspektrum von Heilpraktikern einschränken

Die Delegierten begrüßen das Ansinnen von Union und SPD, das zulässige Behandlungsspektrum von Heilpraktikern auf den Prüfstand zu stellen. Die Bundesregierung solle dieses Vorhaben zügig angehen und dabei den ärztlichen Sachverstand einbeziehen. Besonders dringlich sei es, Heilpraktiker von invasiven Maßnahmen wie chirurgischen Eingriffen, Injektionen und Infusionen auszuschließen.

Gleiches gelte für die Behandlung von Krebserkrankungen. „Die moderne, evidenzbasierte Medizin stellt – anders als dies vor Jahrzehnten bei Erlass des Heilpraktikergesetzes der Fall war – für viele Krebserkrankungen wirksame Behandlungsmöglichkeiten bereit. Der Erfolg dieser Behandlungen hängt oft entscheidend von einem rechtzeitigen Behandlungsbeginn ab“, begründet der Ärztetag seine Forderung. Es könne nicht länger zugelassen werden, dass auf Basis einer Heilpraktikererlaubnis der rechtzeitige Beginn einer wirksamen Behandlung verzögert oder verhindert werde.

Alle Beschlüsse finden Sie hier

Der nächste Deutsche Ärztetag findet vom 28. bis 31. Mai 2019 in Münster statt.

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