Aligner-Start-ups DrSmile & Co.

„Überall finden sich Anhaltspunkte, dass die Behandlung mangelhaft ist”

mg
Wie viele Patienten durch Aligner-Start-ups geschädigt wurden, weiß niemand. Rechtsanwalt Stephan Gierthmühlen weiß jedoch, wie viele juristische Unterstützung suchen und warum sie gute Erfolgschancen haben.

Herr Gierthmühlen, sie vertreten juristisch mehrere Patienten, die von kommerziellen Aligneranbietern wie DrSmile und PlusDental potenziell geschädigt wurden. Um wie viele Fälle handelt es sich konkret?Stephan Gierthmühlen:

Ich vertrete eine zweistellige Anzahl von Patienten.

Welche Schäden haben diese Patienten durch die Anbieter potenziell erlitten?

Wir sehen hier Patienten, bei denen es durch die Behandlung zu Defekten am Zahnhalteapparat gekommen sind. Die Okklusionseinstellungen sind teilweise so, dass die Patienten nach der Behandlung nicht mehr richtig abbeißen können. Da müssen dann Kieferorthopäden nachbessern.


Welche Anhaltspunkte für Versäumnisse der Anbieter gibt es?

An erster Stelle steht die in meinen Augen grob standardunterschreitende Anfangsdiagnostik. Ein Röntgenbild habe ich in den mir bekannten Behandlungsunterlagen noch nicht gesehen, ebenso wenig die Dokumentation einer strukturierten klinischen Untersuchung oder Anamneseerhebung. Wenn nicht vernünftig untersucht wird, überrascht es auch nicht, dass die Diagnose nicht richtiggestellt wird und zum Beispiel skelettale Fehlstellungen übersehen werden.

Der zweite große Bereich ist die nicht ausreichende Überwachung der Behandlung. In einem Fall hat der Anbieter nicht einmal mitbekommen, dass die Patientin – glücklicherweise – die Behandlung gar nicht begonnen hatte, da die Aligner nicht passten. Aber auch bei konkreten Problemen, mit denen sich die Patienten an die Unternehmen wenden, wird mitunter nicht reagiert. Man sollte sich an der Stelle nicht von der Einbindung von Partnerzahnärzten blenden lassen. Deren Tätigkeit beschränkt sich oft darauf, im Auftrag des Unternehmens einen Scan oder Bilder zu machen. In der Rolle des Behandlers sind sie aber, teilweise auch nach eigener Wahrnehmung, nicht.

Eigentlich immer mangelhaft ist auch die Aufklärung. Die Aufklärung muss ja bekanntlich mündlich durch einen approbierten Zahnarzt erfolgen. Über die geplante Maßnahme kann aber letztlich erst dann aufgeklärt werden, wenn die Befunde erhoben und zumindest ein rudimentäres Therapiekonzept vorliegt. Da der Behandlungsplan – wenn man ihn denn so nennen kann – per E-Mail kommt und die Behandlung dann mit den zugeschickten Schienen beginnt, ist ein Gespräch über die geplante Therapie gar nicht vorgesehen. Die Patienten wissen meist weder wer sie eigentlich behandelt, noch, welche Alternativen und welche Risiken es gibt. Auch über die im Anschluss erforderlichen Retentionsmaßnahmen sind die Patienten häufig vollkommen überrascht.

Was fordern Ihre Mandanten von den Anbietern?

Grundsätzlich kommt die Rückforderung der gezahlten Vergütung, die Forderung von Schmerzensgeld aber auch die Übernahme der Nachbehandlungskosten und weitere Schadensersatzpositionen in Betracht. Was genau gefordert wird, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab.

Wie bewerten Sie die Erfolgsaussichten?

Aufklärungs- und Behandlungsfehler sind nach meiner Bewertung sehr gut festzustellen. Die Erfolgsaussichten sind also dem Grunde nach gut. Wie hoch Zahlungen am Ende sein werden, hängt wieder vom Einzelfall und der Beweisbarkeit von kausalen Schäden ab.

Haben Sie einen Überblick, wie viele Klagen gegen Anbieter wie DrSmile und PlusDental in Deutschland derzeit anhängig sind?

Zur Anzahl der Klagen in Deutschland insgesamt habe ich keine belastbaren Zahlen. Wir haben allerdings vor einigen Wochen mit dem Verein Medizinrechtsanwälte e. V. eine Beratungsangebot geschaffen, in dessen Rahmen sich bereits mehr etwa 40 Patienten anwaltlichen Rat eingeholt haben. Ich weiß auch von Patienten, die mit anderen Anwaltskollegen gegen die Aligner-Anbieter vorgehen. Auch diese Anwaltskollegen unterstütze ich natürlich.

Gibt es schon erste Urteile?

Urteile sind mir noch nicht bekannt. In einigen Verfahren warten wir nun auf die Sachverständigengutachten. Mehrere Verfahren sind auch schon beendet, nachdem der beklagte Zahnschienenanbieter die Klage anerkannt hat.

Liegen Ihnen – etwa in Ihrer Funktion als Geschäftsführer des Berufsverbands der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) – Informationen dazu vor, wie viele Geschädigte es in ganz Deutschland aktuell geben könnte?

Zur Zahl der Geschädigten habe ich keine belastbaren Zahlen. Ich finde es allerdings beängstigend, dass aus so vielen Ecken Belege dafür kommen, wie diese Unternehmen arbeiten. Ob es nun die Redaktionen des NDR, der SWR, dort offen un‘ ehrlich, Sat.1 oder die Printmedien wie etwa die Welt sind. Überall finden sich Anhaltspunkte dafür, dass entweder gar kein Zahnarzt den Patienten sieht oder die Behandlung mangelhaft ist. Ich würde einfach mal eine Gegenfrage stellen: Wie viele Geschädigte sind durch Zahlung und Verschwiegenheitsverpflichtungen mundtot gemacht worden?

Wie bewerten Sie, dass der aus den USA stammende Anbieter SmileDirectClub sein Neukundengeschäft in Deutschland eingestellt hat?

Das ist ganz klar ein Gewinn für den Patientenschutz. Es zeigt aber auch ganz deutlich, dass das Modell der Aligneranbieter eben nicht langfristig funktionieren kann. Die Aktivität in Deutschland wurde eingestellt, um sich auf „Länder mit dem größten Potenzial für kurzfristige Rentabilität” konzentrieren zu können. Der SmileDirectClub hatte, dies darf man nicht vergessen, bis zum Ende des dritten Quartals 2021 einen Nettoverlust von 240 Millionen Dollar eingefahren. Mit Verlusten steht der SmileDirectClub aber nicht allein da. Die Sunshine Smile GmbH, also die Trägergesellschaft von PlusDental hat zum Beispiel im letzten veröffentlichten Jahresabschluss einen Fehlbetrag von 8,65 Millionen Euro ausgewiesen – und im letzten Jahr eine Massenentlassung durchgeführt. Das Unternehmen SmileMeUp und andere Anbieter sind bereits insolvent.

Sieht man sich an, dass für jeden Kunden mehrere hundert Euro Marketing-Aufwand – bei DrSmile sind es wohl zwischen 500 und 700 Euro pro „Abschluss” - betrieben werden müssen und macht man sich weiter klar, dass die GOZ solche Kosten nicht abbildet, wird eines schnell deutlich: Das Geschäftsmodell kann nicht aufgehen, wenn die Kunden der Unternehmen tatsächlich wie Patienten von Zahnärzten behandelt würden. Eine ordnungsgemäße Diagnostik und Therapie dürfte nicht in die betriebswirtschaftliche Kalkulation passen.

Die Fragen stellte Marius Gießmann.

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