Interview mit Carolina Ganß

Drittmittel: Fluch oder Segen?

Hanna Hergt
Zahnmedizin
Die Zuckerindustrie beeinflusst die Präventionsforschung. Fluch oder Segen? Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin, Prof. Dr. Carolina Ganß hält nichts von solchen Verallgemeinerungen.

Die Zuckerindustrie finanziert laut Verbraucherschützern Studien, die einen Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Schäden und Zuckerkonsum infrage stellen. Welche Rolle spielt die Zuckerindustrie in der zahnmedizinischen Forschung?

Prof. Dr. Carolina Ganß

: Wir sehen gegenwärtig nicht, dass die Zuckerindustrie die zahnmedizinische Forschung im europäischen Kontext nennenswert beeinflusst. Die Industrie für Mundpflegemittel engagiert sich weitaus stärker, indem sie etwa Projekte und Gesellschaften finanziell unterstützt oder fördert. Aber man muss das differenziert betrachten: Wenn es keine industriegeförderte Forschung in der Medizin gäbe, sähe es trübe aus. Natürlich hat die Industrie auch ihre Interessen, aber auf der anderen Seite trägt sie zur Forschungslandschaft bei.

Es ist immer eine Gratwanderung, unabhängig mit Industriemitteln zu forschen oder sich beeinflussen zu lassen. Aber diese Zusammenarbeiten generell für schlecht zu erklären, finde ich nicht angemessen. Zudem gibt es heute auch Kontrollmechanismen, die Bestechungspolitik der Firmen einzudämmen oder klinische Studien über Registeranmeldungen zu prüfen. Das Problembewusstsein hat zugenommen.

Die Zuckerindustrie hat mit ihrer Lobbyarbeit eine Ampel für Lebensmittel verhindert - und ihr eigenes, weitaus undurchsichtigeres, Modell der Nährwertkennzeichnung durchgesetzt. Ist nun die Politik in der Pflicht, etwa gesüßte Lebensmittel zu besteuern?

Mir geht das zu weit. Es ist immer schwierig, tatsächlich abzugrenzen, welches Getränk ungesund und besteuerungswürdig ist oder welches man als geschmackstragendes Produkt zu sich nehmen kann. Das Problem ist eher, dass wir eine Kultur haben, in der wir schnell noch irgendwie etwas essen und weniger selber kochen wollen, das lösen solche regulatorischen Instrumente nicht. Diese werden dann doch umgangen und durch neue Vermarktungsstrategien oder Produktkonstellationen konterkariert. 

Zigaretten beispielsweise sind durch die Besteuerung ziemlich teuer. Der hohe Preis hat aber lange Zeit nicht dazu geführt, dass die Leute weniger rauchen. Erst bestimmte Maßnahmen, etwa im öffentlichen Raum nicht mehr zu rauchen, und Aufklärungskampagnen haben den Nikotinkonsum eingedämmt. So ähnlich sehe ich das bei der Ernährung. Es bringt mehr, die Bevölkerung darüber aufzuklären, warum es gesünder ist, Speisen selbst zuzubereiten als Fertignahrungsmittel zu essen.

"Der Zusammenhang zwischen Ernährung und Karies ist kaum fundiert untersucht "

Unter Zahnmedizinern wird auch der Kapillareffekt diskutiert: So sollen insbesondere süße Getränke in den Zahnzwischenräumen Schäden anrichten. Wie gut ist dieser Zusammenhang erforscht?

Man muss leider feststellen, dass der Zusammenhang zwischen Ernährung und Karies in der Literatur kaum fundiert untersucht ist. So ist wissenschaftlich etwa nicht belegt, dass ein gesteigerter Konsum gesüßter Getränke mehr Karies auslöst. Es ist immer ein Zusammenspiel zwischen Ernährungsgewohnheiten, Mundhygiene und Fluoriden, was das Ganze so komplex macht. Es ist wichtig, insgesamt weniger Zucker und Süßes über den Tag verteilt zu essen, bei gleichzeitig ausreichender Mundhygiene und Fluoridierung. Die Leute brauchen globalere Empfehlungen, die sie auch umsetzen können.

Die Zuckerlobby arbeitet gerne mit dem Argument, dass Zucker den Zähnen bei ausreichender Fluoridierung und guter Zahnpflege nicht zusetze. Tatsächlich sind die Karieserkrankungen rückläufig, obwohl der Zuckerkonsum ungebrochen ist. Was bedeutet dies für die Präventionsarbeit?

Wir beobachten ein Problem der Polarisierung. So haben Menschen, die neu zu uns nach Deutschland kommen und einen anderen Präventionshintergrund haben, verstärkt Karies. Und ältere Menschen leiden immer häufiger unter Wurzelkaries, ein Phänomen, das relativ unerforscht ist. Hier greifen auch unsere etablierten Präventionsmaßnahmen für die Schmelzkaries nicht wirklich.

Die Zunahme der Wurzelkaries wird eines der Zukunftsprobleme in der Prävention sein. Denn die Wurzeloberflächen brauchen erheblich mehr Fluoridmengen, um vor Karies geschützt zu sein. Daher spielt die Ernährungssituation gerade bei älteren Menschen eine wichtige Rolle. Es sollte ein besonderes Ziel sein, bei diesen Leuten auf den Zuckerkonsum einzuwirken. 

Gibt es besondere Ansätze der Prävention in dieser Altersgruppe?

Bei älteren Patienten muss speziell die Mundhygiene trainiert werden, die Zahnzwischenräume sind vergrößert, der Zahnersatz ist oft nicht mehr einfach zu pflegen. Einschränkungen in Motorik oder Sehen erfordern in der zahnmedizinischen Praxis spezielle Empfehlungen. Zusätzlich brauchen ältere Menschen auch höhere Fluoridmengen, etwa eine höherkonzentrierte Fluoridzahnpasta. 

Ob Übergewicht oder Diabetes: Auch in der Medizin rücken mögliche Folgen des Zuckerkonsums in den Fokus. Gibt es in der Zahnmedizin Ansätze, mit den medizinischen Disziplinen zusammenzuarbeiten?

Wir haben leider zurzeit eher ein Einzelkämpfertum. Die Kariesprävention mit ihren drei Säulen ist bereits sehr entwickelt und epidemiologisch verfolgt, die Erfolge sind national und international ablesbar. Jetzt brauchen wir eine querschnittsmäßige Entwicklung, nicht nur interdisziplinär, also zum Beispiel zusammen mit Parodontologen oder Alterszahnheilkundlern, sondern auch mit Sozialwissenschaftlern, Psychologen Gesundheitsökonomen und allen, die sich mit ernährungsbedingten Krankheiten beschäftigen. Das ist ein ganz wichtiges Zukunftsziel der Präventivzahnmedizin. 

Als Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin bin ich froh über alle, die auch auf uns zukommen. Ziel sollte sein, dass die Menschen insgesamt gesünder leben. Aber oft sind die Empfehlungen der einzelnen Fächer nicht kongruent. Während beispielsweise die Ernährungsmediziner dazu raten, möglichst fünfmal am Tag Obst zu verzehren, sehen wir, dass die hohen Säureanteile in diesen Lebensmitteln möglicherweise den Zähnen schaden.

Auch die Empfehlung, viel zu trinken, ist aus unserer Sicht problematisch. Das führt dazu, dass die Jugendlichen in der Schule permanent an ihren Flaschen nippen. Auch unsere Studenten haben eine ganze Sammlung von Flaschen vor den Seminarräumen. Das ist bei Wasser kein Problem, aber eben bei gesüßten und säurehaltigen Getränken.

Die Fragen stellte Hanna Hergt, Volkswirtin und Fachautorin

.

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.