Interview mit BZÄK-Präsidium

„Die Kammer ist ein wichtiger Baustein gelebter Demokratie“

Die Herausforderungen der Zahnärzteschaft für die kommenden Jahre sind immens: Auf der Agenda stehen die Zukunft der Selbstverwaltung, die zunehmende Digitalisierung oder Handlungsbedarfe aus der DMS V-Studie für den Versorgungsalltag. Dabei darf eines nicht zu kurz kommen: die Belange der Kollegen und der Patienten. Das BZÄK-Präsidium zeigt zum Ende seiner Legislaturperiode (am 18./19.11. auf dem Deutschen Zahnärztetag sind Neuwahlen) im zm-Interview auf, was auf den Berufsstand zukommt – und welche Konzepte die BZÄK dazu entwickelt hat.

Herr Dr. Engel, welche Rolle spielt in Zukunft – nach dem Selbstverwaltungsstärkungsgesetz – noch die zahnärztliche Selbstverwaltung?

Dr. Peter Engel:Eigentlich müsste uns der Name des Gesetzes freudig stimmen, aber weit gefehlt: Das Gesetz zielt auf eine massive Schwächung der Selbstverwaltung in der GKV. Auch wenn den Kammern die berufliche Selbstverwaltung auch weiterhin obliegt, sehen wir mit Sorge, dass der Staat im SGB V immer mehr die Fachaufsicht übernimmt. Selbstverwaltung – ob in Kammern oder in der GKV – ist ein wichtiger Baustein einer lebendigen Demokratie. Sie ermöglicht nicht nur eigenverantwortliche Mit-Gestaltung nach dem Subsidiaritätsprinzip, sondern legt die Verwaltung in die Hände der geborenen Fachleute. Die schleichende Entmündigung der Selbstverwaltung durch immer mehr Kontrolle können wir nicht gutheißen.

Sehen Sie weitere Gefahren für die freie zahnärztliche Berufsausübung – und wo?

Engel:Die Freiberuflichkeit wird zudem durch arztgruppengleiche Medizinische Versorgungszentren (MVZ) infrage gestellt, die zum Teil durch Fremdkapital finanziert werden. Diese fabrikähnlichen Gebilde mit ihrer zahnärztlichen Fließbandarbeit sind rein gewinnorientiert. Eine solche Praxissteuerung ist aber keine Maxime (zahn-)ärztlichen Handelns. So wird unter Aufgabe der fachlichen Weisungsgebundenheit des Zahnarztes der Weg in die Discountmedizin geebnet.

Und was halten Sie von den Tendenzen zur Bürgerversicherung?

Engel:Sie ist eine weitere Gefahr, und zwar für unser gesamtes Gesundheitswesen und damit für den zahnärztlichen Berufsstand wie auch für die Patienten. Ein Systemwandel hin zur Bürgerversicherung würde das Erfolgsmodell des deutschen Gesundheitswesens in seinen Grundfesten erschüttern. Dabei ist das duale Krankenversicherungssystem der Garant für unser Weltklasse- Gesundheitswesen gerade auch in der Zahnmedizin, wie uns die Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie gerade eindeutig belegt hat. Die PKV braucht unzweifelhaft Reformen, aber Gleichmacherei hilft dabei nicht. Und auf eine weitere Gefahr will ich in diesem Zusammenhang hinweisen: So wird von diversen ideologisch beeinflussten Kritikern auch noch das duale Ausbildungssystem infrage gestellt, dem die OECD eine hohe Effektivität bescheinigt hat.

Herr Prof. Benz, der Normenkontrollrat (NKR) hat den Bürokratieaufwand in Praxen gemessen und Schritte zum künftigen Bürokratieabbau aufgezeigt. Was heißt das für den Alltag in der Zahnarztpraxis und die Aus- wirkungen auf den Praxisablauf?

Prof. Christoph Benz:Der NKR hat aufgezeigt, mit wie viel Arbeitszeit Praxen durch Bürokratie belastet werden. Eine Vollzeitstelle pro Praxis ist damit zu 40 Prozent ausgelastet. In Relation zur Mitarbeiterzahl in den Praxen ist das natürlich eine beachtliche Zahl. Jetzt gibt es damit endlich einen Beleg für das vorhandene Bauchgefühl vieler Kollegen und für die Kritik an der stetig wachsenden Bürokratielast. Die Länderkammern und die BZÄK können mit diesen Zahlen bewaffnet gut in die öffentlichen politischen Diskussionen gehen.

Und was kann die berufliche Selbstverwaltung hier tun?

Benz:Sie muss mitdenken, wenn es um die Umsetzung neuer Strukturen und deren Machbarkeit geht. Es darf nicht noch mehr Bürokratie geben. Bei Punkten wie Bürokratielast durch Hygienevorgaben, Röntgenvorgaben oder Ähnliches sind die Länder gefragt, das kann nicht auf Bundesebene geregelt werden.

Herr Prof. Oesterreich, ein Blick in den Versorgungsalltag: Die DMS V hat gezeigt, dass die Präventionsbemühungen der Zahnärzte große Erfolge für die Mundgesundheit in der Bevölkerung erzielt haben. Wie geht es jetzt aus Sicht der BZÄK weiter?

Prof. Dietmar Oesterreich:Die Erfolge der Prävention in der Zahnmedizin zeigen sich über alle Bevölkerungsgruppen hinweg. Da es sich in unserem Fachbereich aber vornehmlich um chronische Erkrankungen handelt, muss dieses Engagement fortgesetzt und verstetigt werden. So dürfen wir uns nicht auf den Erfolgen ausruhen und der Gesundheitspolitik darf nicht der Eindruck vermittelt werden, man könne die Leistungen in der Zahnmedizin zurückfahren und diese als Spardose für das Gesundheitswesen verwenden.

Die DMS V zeigt neben den Erfolgen, auch gleichzeitig Problembereiche auf. Und wo liegen die?

Oesterreich:Die Herausforderungen für die zukünftige zahnmedizinische Versorgung liegen im Wesentlichen in drei Kernbereichen:1. Die Polarisierung des Erkrankungsrisikos in sozial schwachen Bevölkerungsgruppen.2. Menschen mit Pflegebedarf haben eine deutlich schlechtere Mundgesundheit3. Die Verhaltensabhängigkeit bei der Parodontitis erscheint größer als bisher angenommen.

Und gibt es aus Sicht der BZÄK Lösungsansätze für diese Problemlagen?

Oesterreich:Die Herstellung von Chancengleichheit im Gesundheitswesen ist eine der zentralen Aufgaben auch für die Zahnmedizin. So müssen Menschen in sozial schwachen und bildungsfernen Schichten, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund verstärkt über die niederschwelligen Zugangsmöglichkeiten zur gesundheitlichen Betreuung aufgeklärt werden. Gleichzeitig engagieren wir uns bei bevölkerungsweiten und gruppenprophylaktischen Maßnahmen.

Gerade der sogenannte Setting-Ansatz in Kitas und Schulen hat sich im Rahmen der Gruppenprophylaxe sehr bewährt. Nun gilt es, unter dem Eindruck des neu geschaffenen § 20a SGB V „Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten“ die erfolgreich eingeführten Maßnahmen der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe zu erhalten, aber auch mit neuen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung Synergien herzustellen. Dabei müssen wir die Krankenkassen und die Kinderärzte davon überzeugen, dass es nicht zu konkurrierenden Angeboten oder sogar zu die Gruppenprophylaxe ersetzenden Maßnahmen kommt.

Herr Dr. Engel, ein Blick auf ein anderes Themenfeld: Wie sieht es mit den Einflüssen auf das Gesundheitswesen aus Europa aus?

Engel:Hier droht vor allem unter dem Schlagwort „Deregulierung“ ein ordnungspolitischer Kahlschlag: Aus EU-Sicht stellt nationales Berufsrecht per se ein Wettbewerbshindernis dar. Ähnlich sieht Brüssel auch die Pflichtmitgliedschaft in Vereinigungen und Kammern. Dass diese Art der „Regulierung“ einen Sinn hat – Stichwort Patientenschutz und Qualitätssicherung –, ist in Brüssel entweder noch nicht angekommen oder wird schlichtweg verworfen. Weitere Gefahren drohen durch Fremdkapitalisierung, durch neue Rechtsformen oder das Verbot von Mindestgebührenordnungen.

Was sollte man nach Meinung der BZÄK hier tun?

Engel:Wir klinken uns massiv und auf allen Ebenen in die aktuellen Diskussionen sowohl in Brüssel als auch in Berlin ein. Gemeinsam mit unseren Mitstreitern müssen wir gerade in den anstehenden Wahlkampfzeiten den Politiker und der Gesellschaft intern und öffentlich unmissverständlich klarmachen, welche Folgen die erwähnten Einschnitte und Entwicklungen haben. Hier ist auch der BFB als Vertreter aller Freien Berufe gefordert. Wir sind froh und stolz, dass die BZÄK maßgeblich mithelfen durfte, den BFB wieder auf politische stabile Beine zu stellen. Für ein intaktes Arzt-Patienten-Verhältnis, für den Erhalt funktionierender Strukturen, die zu den besten Versorgungsstrukturen der Welt gehören – dafür lohnt es sich, zu kämpfen.

Welche Relevanz haben denn all diese politischen Entwicklungen für die Zahnarztpraxis?

Engel:Junge Kolleginnen und Kollegen gehen auf eigene Verantwortung in die Niederlassung, dazu brauchen sie Planungssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen. Diese muss der Staat auch zukünftig sicherstellen, wenn weiterhin eine verlässliche medizinische Versorgung gewährleistet werden soll. Viele gerade junge Kollegen scheuen die hohen Kosten des Einstiegs für teure Geräte, Personal und Räumlichkeiten und die damit verbundenen Folgekosten. Das alles muss sich betriebswirtschaftlich amortisieren. Mit GKV-Erträgen alleine ist eine gute Praxisfinanzierung immer schwieriger möglich. Wir brauchen eben das duale Versicherungssystem, um unseren Patienten Innovationen zukommen zu lassen.

Apropos junge Kollegen. Herr Prof. Benz, welche Impulse kann die BZÄK jungen Zahnärzten für die Zukunft mit auf den Weg geben?

Benz:Als junger Mensch sollte man daran denken, dass das Angestelltenverhältnis interessant sein kann, dass es dafür dann aber auch Chefinnen und Chefs in freier Niederlassung geben muss. Junge Zahnärzte sollten sich die Vorteile und Chancen vor Augen führen, die ihnen eine freie Niederlassung bietet.

Hier haben die Kammern und KZVen die passenden Fortbildungen über den effizienten Einsatz der Investitionen und die Beherrschung der Kosten. Es braucht nicht immer gleich die teuerste Praxisausstattung beim Start zu sein. Es gibt auch andere günstigere Möglichkeiten, zum Beispiel die Praxisübernahme.

Wohin geht der Trend bei den jungen Leuten?

Benz:Die Generation-Y-Studie des IDZ zeigt ganz deutlich: Das Interesse an Praxisgründungen verschiebt sich auf später, weil der Zahnarzt-Nachwuchs nach dem Studium erst einmal ins Angestelltenverhältnis gehen kann. Wenn aber alle Zahnärzte angestellt wären, würde sich das Berufsbild ändern: Der Zahnarzt wäre kein Freier Beruf im eigentlichen Sinne mehr, und unsere Kolleginnen und Kollegen verlieren ihre Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und Gestaltung.

Wir sprachen bereits von der DMS V, Herr Prof. Oesterreich: Was gibt es sonst noch für praktische Botschaften aus der Studie für den Zahnarzt?

Oesterreich:Gut ist, dass immer mehr Patienten zur Kontrolle und immer weniger mit akuten Beschwerden zum Zahnarzt kommen. Die Patienten sind stärker selbst motiviert, für ihre eigene Mundgesundheit etwas zu tun. Die professionelle Zahnreinigung und damit die Aufklärung zur Mundhygiene werden häufig in Anspruch genommen. Kurzum, das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Mundgesundheit ist deutlich gestiegen.

Dies ist eine der wesentlichen Erklärungen für die Senkung der Parodontitisprävalenzen und zeigt sehr viel stärker als bisher angenommen: Es kommt auf das Verhalten des Patienten an.

Dieses Verhalten des Patienten gilt es durch eine spezielle gesundheitspsychologische Gesprächsführung positiv zu beeinflussen. Sprechende Zahnmedizin wird noch wichtiger. Die BZÄK hat beschlossen, eine bevölkerungsweite Kampagne zur stärkeren Krankheitswahrnehmung der Parodontitis durchzuführen. Dies nutzt letztendlich gerade bei der Früherkennung jeder Praxis.

Und ein zweiter Rat: Richten Sie Ihre Praxis auf den demografischen Wandel der Bevölkerung aus. Praxisstrukturen, aber auch die soziale und kommunikative Kompetenz unserer Teams sind dabei zukünftig noch stärker gefordert.

Jetzt kommt also die Rolle der Teams mit ins Spiel. Die BZÄK hat zum Thema Delegation und Substitution ja klare Positionen formuliert. Wie sollte der Zahnarzt in seinem Praxisalltag diese Prinzipien umsetzen?

Oesterreich:Unsere Position lautet ganz klar: Delegation ja, Substitution nein. Es gibt eine klare Grenzziehung, wie sie das Zahnheilkundegesetz definiert. Der Zahnarzt trägt die Verantwortung und entscheidet. Zur Umsetzung braucht er ein motiviertes Team. Bei den beschriebenen Herausforderungen gibt es zahlreiche Einatzgebiete für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Unsere Aufgabe ist es, attraktive Rahmenbedingungen für unser Praxispersonal zu schaffen. Dazu gibt es ein ganzes Maßnahmenbündel. Wertschätzung und Würdigung der geleisteten Arbeit der ZFA ist dabei von besonderer Bedeutung. Schließlich stehen wir im Wettbewerb mit vielen anderen Ausbildungsberufen.

Können Sie da auch mit Zahlen dienen?

Oesterreich:Wir haben mit knapp 13.000 neuen Azubis in diesem Jahr die beste Ausbildungsleistung seit über 12 Jahren. Das zeigt, dass die Maßnahmen der (Landes-)Zahnärztekammern zur Fachkräfte- sicherung bereits greifen. Zum Zurücklehnen gibt es aber keinen Grund, denn der Fachkräftebedarf wird sich in allen Berufen noch weiter verschärfen. Für uns bleibt die Fachkräftesicherung auch weiterhin eine wesentliche Aufgabe.

Von den Fachkräften zurück zu den Belangen des Zahnarztes: Herr Dr. Engel, die GOÄ-Novellierung geht – wie es heißt – sachbezogen weiter. Wie bewerten Sie den aktuellen Sachstand?

Engel:Wir kritisieren nach wie vor den Entwurf, der Paragrafenteil hat mit einer herkömmlichen privaten Gebührenordnung nicht mehr viel zu tun. Auf der Bundesversammlung werden sich die BZÄK-Delegierten positionieren und Empfehlungen für die zukünftige Vorgehensweise erarbeiten.

Was fordern die Zahnärzte für ihre Belange zur Weiterentwicklung von GOÄ und GOZ?

Engel:Wir müssen klären, wie es mit den GOÄ-Positionen in der GOZ weitergeht. Zu diskutieren sind Modelle, ob alle zahnärztlich relevanten GOÄ-Positionen in die GOZ kommen sollten oder die GOÄ für Zahnärzte geöffnet bleibt. Dies wäre für Oralchirurgen und MKG-Chirurgen von Bedeutung. Wichtig ist, dass wir keine Schritte einleiten, die die Zahnmedizin von der Medizin entkoppeln, wir sind Teil der Medizin. Wichtig ist aber vor allem, dass wir die aus unserer Sicht bedrohlichen ordnungspolitischen Veränderungen verhindern oder zumindest abmildern. Stichworte hier sind Öffnungsklausel und Steigerungssätze.

Verglichen mit den Prozessen bei der GOÄ-Reform ist die Zahnärzteschaft mit der GOZ-Novelle ganz gut bedient. Was fordern Sie künftig – und welche Rolle spielt die HOZ?

Engel:Nein, ganz gut bedient ist keinesfalls richtig. Wir müssen den Gesetzgeber erinnern, eine regelmäßige Anpassung vorzunehmen. Wir können zwar froh sein, die GOZ überhaupt novelliert bekommen zu haben – obwohl sie in entscheidenden Aspekten mit Nachteilen verbunden ist. Wichtig sind ein Inflationsausgleich und eine regelmäßige Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere an die Jahr für Jahr festzustellende Personal- und Sachkosten-Explosion.

Die HOZ gilt es weiterzuentwickeln und auf den neuesten Stand zu bringen, um eine seriöse Gebührenordnung aus dem Berufsstand für den Berufsstand zur Hand zu haben, die uns bei unseren Forderungen unterstützt. Nur mit Daten und Fakten können wir die minderwertige GOZ-Entwicklung beweisen.

Herr Dr. Engel, ein anders großes, gesellschaftspolitisches Thema ist die Digitalisierung: Rationalisierung via Digitalisierung – das wäre doch eine Maßgabe, auch wegen einer möglichen Kosten-Degression im Gesundheitswesen, oder?

Engel:Im Gegenteil. Umbrüche kommen zwar auch durch die Digitalisierung, durch vermehrte Kommunikation mit dem Patienten, durch rasante technische Entwicklungen. Doch das verursacht mitunter gewaltige Kosten, die wiederum zusätzlich erwirtschaftet werden müssen. Gerade die jungen Kollegen müssen bei der Praxisgründung abwägen, wie sie das alles stemmen können.

Und, Herr Prof. Benz, welche Auswirkungen haben Big Data und die Digitalisierung auf die Praxen und das Gesundheitswesen allgemein?

Benz:Die BZÄK hat sich auf ihrer Klausur- tagung 2015 schon früh dieser wichtigen zukünftigen Kammeraufgabe angenommen. Es ist schon die Erfahrung vieler Kollegen, bei der Praxis-EDV nicht zu übertreiben. Mehr digitale Technik bringt gerne auch überproportional mehr Probleme.

Sonst gibt es keine Probleme mit der Digitalisierung?

Benz:Und ob! Problematisch wird die Digitalisierung beim Umgang mit sensiblen Daten, die in unseren entwickelten Gesellschaften freigiebig verteilt werden. Es geht vor allem darum, kritisch zu analysieren, wie Versicherungen Daten sammeln, Profile erstellen und Risiken einschätzen können. Nehmen Sie das Beispiel: Aus einer Zahnbürste gekoppelt mit einer App könnten

Daten an die Krankenversicherung zum Putzverhalten weitergegeben werden. Das wäre dann eine eklatante Einmischung in das Zahnarzt-Patienten-Verhältnis. Wir Zahnärzte müssen die Patienten vor den mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen einhergehenden Gefahren warnen. Die Kammern müssen auf die Politik einwirken, dass das so wichtige Vertrauensverhältnis Zahnarzt/Patient durch diese Entwicklungen nicht gestört wird.

Welche Aufgabe kann die BZÄK hier übernehmen?

Benz: Die BZÄK wird einen Ethikrat gründen, der mit Ratschlägen und Botschaften an die Öffentlichkeit gehen wird. Er wird dabei wissenschaftliche Kriterien bei der Sammlung von Daten einfordern. Mein Appell an den Zahnarzt in der Praxis: Sprechen Sie mit dem Patienten über Gefahren der Digitalisierung und sensibilisieren Sie ihn!

Herr Prof. Oesterreich, erstmals wurden in der DMS V auch Menschen mit Pflegebedarf untersucht. Welche Schlussfolgerungen zieht die BZÄK aus den Ergebnissen?

Oestereich:Menschen mit Pflegebedarf haben eine deutlich schlechtere Mundgesundheit als der Rest der Bevölkerung. Mit dem sogenannten AuB-Konzept haben KZBV und BZÄK rechtzeitig die notwendigen Grundlagen für die politischen Schritte vorgelegt. Die Rahmenbedingungen für die aufsuchende Betreuung dieser Patienten haben sich verbessert. Zahlreiche Modellprojekte zeigen, wie dies in der Praxis umsetzbar ist. Nun gilt es, die Pflegekräfte und pflegenden Angehörigen in die Erhaltung der Mundgesundheit einzubinden.

Und wie wollen Sie das erreichen?

Oesterreich:Die BZÄK hat unter anderem dafür gemeinsam mit dem Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) zwölf YouTube-Filme rund um das Thema Mundhygiene, Ernährung und Mundgesundheit für diese Patienten entwickelt. Damit kann nicht nur der Zahnarzt die Angehörigen beraten, sondern auch die Pflegekräfte erhalten wichtige Informationen für den Pflegealltag.

Gleichzeitig hat der Gesetzgeber den Anspruch auf zusätzliche präventive Leistungen für Menschen mit Pflegebedarf beschlossen. Damit kann viel für die Erhaltung der Mundgesundheit und Lebensqualität dieser Patienten getan werden.

Also rundum zufrieden?

Oesterreich:Nie, wenn es um die Prävention geht. Zahlreiche Rahmendingungen müssen noch in den Gremien des G-BA entschieden werden. Nach wie vor fehlen noch gesetzliche Regelungen für die besondere Rolle von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen, beispielsweise beim Zahnersatz oder der parodontologischen Therapie.

Auch gilt es, die Rahmenbedingungen für die besondere Betreuung von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Nach wie vor gibt es große Probleme bei der Versorgung von Menschen mit Behinderung in ITN. Schließlich müssen wir das Themenfeld der Mundgesundheit verstärkt bereits in die Ausbildung der Pflegeberufe einbinden. Nicht zuletzt müssen wir Zahnärzte uns und unsere Teams über die Aus- und Fortbildung fit für das Thema AuB machen.

Neben AuB bleiben die Behandlung und Therapie der frühkindlichen Karies eine Herausforderung im Versorgungsalltag. Welche Hilfestellungen findet der Zahnarzt bei der BZÄK?

Oesterreich: Bei den 12-Jährigen sind wir Weltmeister, bei den Kleinkindern dagegen nach wie vor Mittelklasse. Bisher waren die Zahnärzte hier außen vor. Jetzt ist es gelungen auf Grundlage eines gemeinsamen Konzeptes von KZBV und BZÄK „Frühkindliche Karies vermieden“ diese Präventions- lücke zu schließen. In den ärztlichen Kinderrichtlinien ist nunmehr verankert, künftig vom sechsten Lebensmonat an, insgesamt sechs Verweise vom Kinderarzt beziehungsweise Hausarzt zum Zahnarzt im sogenannten Gelben Kinderuntersuchungsheft zu verankern und die zahnärztliche Untersuchung zu dokumentieren.

Die entsprechenden Anpassungen im EBM und BEMA sind in Arbeit. Flankierend zu diesen Entwicklungen haben KZBV und BZÄK einen ECC-Ratgeber für die zahnärztliche Praxis erarbeitet und online zur Verfügung gestellt. Der Ratgeber gibt praktische Handlungsempfehlungen und Tipps zur Betreuung der unter dreijährigen Patienten in der Praxis.

Herr Dr. Engel, wie geht es eigentlich mit der Approbationsordnung weiter?

Engel:Wir rechnen mit dem Referentenentwurf noch in diesem Herbst und werden dann öffentlich Stellung nehmen. Unsere Vorstellungen haben wir rechtzeitig und mit Nachdruck eingebracht. Haben Sie Verständnis, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt der Entwurfserstellung den regierungsinternen Meinungsbildungsprozess nicht unnötig und nicht ungehörig stören möchten.

Herr Prof. Benz, zum Schluss provokant gefragt: Ist der freiberufliche Zahnarzt heute ein Auslaufmodell?

Benz:Natürlich nicht. Unser beruflicher Nachwuchs sollte aber genau abwägen, bevor er sich längerfristig im Angestellten- status bindet, wo hierzulande noch Chancen und weiße Flecken sind. So bietet auch der ländliche Raum Vorteile: Der niedergelassene Zahnarzt ist näher an den Patienten, kennt sie besser, er ist stressfreier, weil er nicht dem Konkurrenzdruck wie in der Stadt ausgeliefert ist.

Wichtig ist für jeden Newcomer unseres Berufsstands, dass er die für sich persönlich passenden Lebensräume findet. Die Kammern und KZVen können helfen und sind die besten Ansprechpartner!

Und, Herr Prof. Oesterreich, haben Sie zum Abschluss noch einen Tipp für Zahnärzte, der zum Erfolgsgaranten der Praxis wird?

Oesterreich:Prävention muss oberstes Prinzip für jede Praxis sein. Der Patient erwartet zu Recht, dass sich der Zahnarzt zuerst um den Erhalt seiner Mundgesundheit kümmert.

Dies geht nur mit einem motivierten Team, das die Patienten zum Co-Produzenten ihrer oralen Gesundheit macht.

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