S1-Handlungsempfehlung „Kompositrestaurationen im Seitenzahnbereich“

Erfolgreich einsetzbar – klinisch bewährt

Die Leitlinie geht der Fragestellung nach, in welchen klinischen Situationen direkte Kompositrestaurationen für die kaulasttragende Seitenzahnversorgung Anwendung finden können und wie deren Haltbarkeit einzuschätzen ist. Dieser Beitrag liefert die Essenz der Empfehlungen.

Zum Hintergrund:

Zahnfarbene Kompositrestaurationen werden seit mehr als zwei Jahrzehnten in umfangreichem Maß auch im kaulasttragenden Seitenzahnbereich erfolgreich eingesetzt. Vor dem Hintergrund der Neu- und Weiterentwicklung der Werkstoffe hat sich der Indikationsbereich für Kompositrestaurationen im Seitenzahnbereich stetig erweitert. Während indirekte Restaurationen (Inlays, Teilkronen, Kronen) hauptsächlich bei ausgedehnteren beziehungsweise schwer zugänglichen Defekten empfohlen werden, zeigen direkte Restaurationen vor allem bei kleinen und bei mittleren Läsionen sowie bei minimalinvasiven Therapieansätzen Vorteile. Dabei können an einem Zahn auch mehrere Kompositrestaurationen zur Anwendung kommen, um beispielsweise eine höher invasive, indirekte Restauration zu vermeiden.

Direkte Restaurationen aus Kompositen werden unter anderem aufgrund des weiten Anwendungsspektrums, der Zahnhartsubstanzschonung, der Reparaturfähigkeit, der hohen Lebensdauer sowie dem zeit- und kostengünstigeren Verfahren gegenüber indirekten Restaurationen bevorzugt. Minimalinvasive Vorgehensweisen und erweiterte Indikationen für Komposite als „Restaurationsmaterial erster Wahl“ im Seitenzahnbereich werden auch auf europäischer Ebene von der Academy of Operative Dentistry European Section (AODES) empfohlen.

Kompositmaterialgruppen

Ziele der kontinuierlichen Weiterentwicklung von Kompositmaterialien zur Anwendung im kaulasttragenden Seitenzahngebiet sind eine Reduktion von Polymerisationsschrumpfung und  Polymerisationsschrumpfungsstress, eine Erhöhung der Biegefestigkeit, die Verbesserung der  Abrasionsresistenz sowie eine Reduktion von Zeitaufwand und Techniksensibilität in Hinblick auf die inkrementelle Schichttechnik bei der Applikation. Dies wird erreicht durch Modifikationen im Bereich der Monomerzusammensetzung (Kompositmatrix), der Initiatorsysteme sowie der Füllkörper. Die Kompositmaterialien können nach folgenden unterschiedlichen Kriterien unterteilt werden:

• Matrixzusammensetzung (Monomeren)

• Füllkörper

• Viskosität

• Transluzenz/Opazität

• Aushärtungsmodus/Initiatoren

• Durchhärtungstiefe

Biokompatibilität

Eine ungenügende Monomer-Polymer-Konversion bedingt eine Freisetzung von Monomeren aus der Kompositmatrix. Diese können auf Gewebe wirken. Tierexperimentelle Studien zeigen jedoch, dass die systemische Toxizität von Monomeren als äußerst gering einzuschätzen ist. Allerdings wurden allergische Reaktionen gegen dentale Komposite und Monomere vor allem beim zahnärztlichen Personal beobachtet, in Einzelfällen auch bei Patienten.

Als lokale Wirkung kann nicht polymerisiertes Adhäsiv – pulpanah oder als Überkappungsmaterial aufgetragen – in vivo Entzündungen von Pulpagewebe oder toxische Reaktionen bis hin zu Nekrosen verursachen. Die Bildung von Tertiärdentin ist gestört. Jedoch wurden in Anwesenheit von Dentin nur in wenigen Fällen leichte Entzündungsreaktionen beobachtet.

Eine Randspaltbildung zwischen Zahn und Restauration begünstigt die Entwicklung eines pathogenen mikrobiellen Biofilms als eine häufige Ursache für Sekundärkaries am Füllungsrand.

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Werkstoffkundliche Eigenschaften

Art und Volumenanteil der Füllkörper in dentalen Kompositmaterialien beeinflussen deren physikalische Eigenschaften wie Elastizitätsmodul, Biegefestigkeit, Abrasionsfestigkeit sowie Polymerisationsschrumpfung und -stress. Kleine Füllkörper erhöhen die Abrasionsfestigkeit, größere Füllkörper erhöhen die Biege- und Frakturfestigkeit. Mikrofüllerkomposite weisen die geringste Biegefestigkeit unter allen Kompositgruppen auf. Es wird empfohlen, diese wegen der erhöhten Frakturgefahr nicht für die Restauration von Klasse-II- und Klasse-IV-Kavitäten zu verwenden.

Fließfähige Kompositmaterialien haben materialbedingt einen geringeren Füllkörpergehalt und damit ein signifikant geringeres Elastizitätsmodul als höher visköse Komposite. Sie sind als alleiniges Restaurationsmaterial für ausgedehnte Seitenzahnkavitäten nicht geeignet. Sie werden zur dichten Versiegelung des zervikalen Kavitätenbodens als erste dünne Schicht (Lining) mit separater Aushärtung verwendet oder – unpolymerisiert – in Verbindung mit einer ersten Schicht höher viskösen Komposits im Rahmen der Schneepflug-Technik (snowplough-technique), um einen kontinuierlichen Übergang zur Zahnhartsubstanz an schwer zugänglichen Stellen zu erreichen.

Bulkfill-Komposite

Bulkfill-Komposite sollen dazu beitragen, die zeitaufwendige und techniksensitive Mehrschichttechnik zu vereinfachen. Man unterscheidet fließfähige und modellierbare Materialien. Die fließfähigen Bulkfill-Komposite sind nicht für eine alleinige Anwendung gedacht, sie benötigen eine etwa 2mm dicke Deckschicht, bestehend aus einem hochgefüllten Restaurationskomposit.

Die Bulkfill-Komposite zeichnen sich durch eine erhöhte Durchhärtungstiefe von mindestens 4 mm und einen reduzierten Polymerisationsschrumpfungsstress aus. Die erhöhte Durchhärtungstiefe wird durch eine Erhöhung der Transluzenz erreicht, was im Einzelfall die Ästhetik beeinflussen kann.

Insgesamt ist zu beachten, dass sich Bulkfill-Komposite innerhalb der Materialgruppe hinsichtlich ihrer Eigenschaften unterscheiden. Dem ist bei der klinischen Anwendung Rechnung zu tragen  (Polymerisationsdauer, Schichten bei Kavitätentiefen größer 4 mm). Zu Bulkfill-Kompositen liegen zurzeit klinische Studien von nur wenigen Materialien mit bis zu fünf Jahren Nachuntersuchungszeit vor.

Selbst-adhäsive Komposite

Selbst-adhäsive Komposite sollen die adhäsive Kompositfüllungstechnik durch Verzicht auf eine separate Vorbehandlung mit einem Adhäsivsystem weiter vereinfachen. Sie sind derzeit aufgrund der Datenlage als permanentes Füllungsmaterial für Restaurationen im kaulasttragenden Seitenzahnbereich nicht geeignet.

Adhäsivsysteme

Kompositmaterialien sollen nur in Kombination mit Adhäsivsystemen angewendet werden. Bei den Adhäsivsystemen werden die klassischen EtchRinse-Systeme (stets mit Phosphorsäure-Ätzung), die Self-Etch-Systeme (ohne Phosphorsäure-Ätzung) und die Universal-Adhäsive unterschieden. Letztere können indikationsabhängig im EtchRinse-Modus und im Self-Etch-Modus appliziert werden.

Langzeitstudien haben gezeigt, dass die Erfolgsquoten bei EtchRinse-Systemen und selbst-ätzenden Adhäsiven ähnlich sind. Die Verwendung selbst-ätzender Adhäsive führt zu höheren Anteilen von Randverfärbungen im Schmelz. Im sichtbaren Bereich wird daher die selektive Schmelzätzung mit Phosphorsäure empfohlen. Die Empfehlung gilt auch für Universaladhäsive. In der Gruppe der Adhäsivsysteme gibt es Unterschiede in der Anzahl der Applikationsschritte und in der Darreichungsform (Anzahl der Flaschen) sowie eine große Bandbreite in den Erfolgsquoten. Die Adhäsive und deren korrekte Anwendung haben einen entscheidenden Einfluss auf die Lebensdauer von Kompositrestaurationen.

Indikationen

Nach dem aktuellen Stand der Literatur werden für direkte Kompositrestaurationen im kaulasttragenden Seitenzahnbereich folgende Indikationsempfehlungen abgegeben:

• Primärrestauration

• Klasse-I- und Klasse-II-Kavitäten einschließlich Höckerersatz (ein oder mehrere Höcker)

• Sekundärrestauration

• Versorgung wurzelkanalbehandelter Zähne (ein oder zweiflächige Defekte), bei ausgeprägterem Substanzverlust (mod) ist eine Höckerüberkuppelung angezeigt

• Reparaturrestaurationen

• Aufbaufüllungen

Weitere Indikationen, für die bislang nur wenige Publikationen vorliegen:

•  Anhebung tiefliegender Kavitätenränder für indirekte Restaurationen (margin elevation technique) oder R2-Technik bei direkten Versorgungen

•  Schließen von Lücken durch approximale Zahnverbreiterungen/Formänderungen

Die Indikation der direkten Kompositrestauration wurde erweitert und deckt heute weitgehend den Indikationsbereich von Inlays ab. Insbesondere bei initialen und unterminierenden Läsionen weisen Komposite durch minimalinvasive Vorgehensweisen Vorteile aufund sind in dieser Indikation anderen Materialien einschließlich Amalgam überlegen. Über die Eignung bei neueren Indikationen (wie Anhebung des approximalen Kastenbodens (margin elevation) oder Zahnverbreiterungen) existiert nur begrenzte Evidenz. Bislang sollte bei solchen Anwendungen eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung mit entsprechender Aufklärung vorgenommen werden.

###more### ###title### Einschränkungen in der Anwendung ###title### ###more###

Einschränkungen in der Anwendung

Bei folgenden Situationen ist die Indikation mit Einschränkungen zu sehen und eine individuelle Risikoabschätzung notwendig:

•  Zahnbezogene Variable: Zugänglichkeit, marginale Abdichtung, Möglichkeit der Schaffung suffizienter Approximalkontakte

•  Funktionsbezogene Variable seitens des Patienten: starke Parafunktionen (mit ausgeprägter Facettenbildung und fehlender okklusaler Abstützung am Zahnschmelz)

•  Verhaltensbezogene Variable seitens des Patienten: eingeschränkte Mundhygiene approximal, hohes Kariesrisiko

Kontraindikationen

Kompositrestaurationen sind kontraindiziert

• bei fehlender Möglichkeit adäquater Kontaminationskontrolle (Blut, Speichel und mehr)

• bei Patienten mit klinisch relevanten Unverträglichkeiten gegenüber Inhaltsstoffen von Kompositen oder Adhäsiven

Verarbeitung

Die Verarbeitung von Kompositen ist technik- und zeitintensiv. Neben der Materialapplikation (adhäsive Vorbehandlung und Kompositinsertion in Schichttechnik als Goldstandard) gebührt der Polymerisation der Materialien besondere Aufmerksamkeit. Die Polymerisation lichthärtender Kompositmaterialien wird maßgeblich von der Art des verwendeten Produkts, von der Leistung der Polymerisationslampe sowie vom Abstand des Lichtaustrittsfensters zum Kompositmaterial und vom Winkel der austretenden Strahlung beeinflusst.

Belichtungszeiten unter zehn Sekunden werden auch bei hoher Intensität kritisch gesehen, da sie bei den meisten derzeitigen Produkten zu einer inhomogenen Polymerisation sowie zu stärkeren Schrumpfungsspannungen und Randimperfektionen führen können. Verschiedene Studien zeigen, dass die Umsetzung einer adäquaten Lichtpolymerisation durch den Behandler großen Einfluss auf die Lebensdauer von Komposit- und auch Keramikrestaurationen haben kann.

Lebensdauer

Zu Kompositen liegen zahlreiche Langzeitstudien mit insgesamt positiven Resultaten vor. Während vor allem ältere Querschnittsstudien tendenziell bessere Resultate für Amalgam im Vergleich zu Kompositen aufwiesen, zeigen Longitudinalstudien der vergangenen zwei Jahrzehnte, vor allem Langzeitstudien mit mindestens zehn Jahren Beobachtungsdauer, im direkten Vergleich ähnliche Ergebnisse. Die Lebensdauer von Kompositrestaurationen liegt heute in einer vergleichbaren Größenordnung wie die von Amalgamfüllungen, die adäquate Verarbeitung und Berücksichtigung von Indikationseinschränkungen vorausgesetzt.

Reparatur

Alle gängigen Restaurationsmaterialien können bei gegebener Indikation und adäquater Vorbereitung der Substratoberflächen mit Kompositmaterialien repariert werden.

Empfehlung

Direkte Kompositrestaurationen können nach der aktuellen Datenlage im Seitenzahnbereich zur Versorgung von Kavitäten der Klassen I und II erfolgreich eingesetzt werden. Zahlreiche Studien stützen diese Aussage. Voraussetzungen sind eine korrekte Anwendung der Materialien sowie die Berücksichtigung patientenbezogener Faktoren bei der Indikationsstellung. Zur Eignung bei neueren Indikationen existiert nur eine begrenzte Evidenz. Bei einer solchen Anwendung sollte eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung mit entsprechender Aufklärung des Patienten vorgenommen werden.

Nur eine geringe Zahl klinischer Studien erlaubt derzeit einen unmittelbaren Vergleich von direkten und indirekten Restaurationen. Es besteht Bedarf für randomisierte, kontrollierte klinische Studien, die einen unmittelbaren Vergleich zwischen direkt und indirekt hergestellten Restaurationen zulassen.

Schlussfolgerungen

Kompositrestaurationen haben einen festen Platz im differenzialtherapeutischen Spektrum der Seitenzahnversorgung. Im individuellen Patientenfall ist eine sorgfältige Abwägung indiziert, eine defektorientierte, minimalinvasive Vorgehensweise wird angestrebt. Dabei sollten bei defekten Restaurationen auch Reparaturrestaurationen in Erwägung gezogen werden.

Prof. Dr. Marianne Federlin

Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Universitätsklinikum Regensburg

Franz-Josef-Strauss-Allee 11, 93053 Regensburg E-mail:

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