Praxisgründung

Wie treffe ich die richtigen Entscheidungen?

Die Gründung einer Praxis will gut überlegt sein: Einzelpraxis oder im Team? Im Wohngebiet oder im Einkaufszentrum? Blaues oder grünes Wartezimmer? Viele Entscheidungen müssen getroffen werden – aber je mehr Möglichkeiten, desto schneller können Zweifel aufkommen. Habe ich auch alles durchdacht? Oder muss ich neu nachdenken?

Häufig erscheint eine Variante wirklich vielversprechend und oft raten auch Berater zu einer entsprechenden Entscheidung. Gerade wenn vorab schon verschiedene Rahmenbedingungen festliegen (wie zum Beispiel eine Niederlassung in der Heimatregion oder auf jeden Fall ein Leben im Angestelltenverhältnis) kehrt nach einer solchen Entscheidung auch Ruhe ein. Wenn jedoch die Wahlmöglichkeiten zahlreicher sind, kommt es oft zu Situationen, in denen sich bald nach der anfänglichen Entscheidung doch wieder Zweifel melden. „War die Entscheidung richtig?“

In diesem Fall ist es sinnvoll, sich mit der systematischen Entscheidungsfindung zu beschäftigen. Entscheidungen beinhalten immer zwei verschiedene Sichtweisen: einerseits den kognitiven, andererseits den intuitiv-emotionalen Aspekt. Eine „gute“ Entscheidung, die hinterher erlaubt, sich von auftretenden Zweifeln nicht verunsichern zu lassen, beinhaltet beide Anteile. Die Frage ist natürlich, wieso tauchen nach einer Entscheidung überhaupt Zweifel auf?

Eine Entscheidung ist einerseits die Wahl einer Möglichkeit, andererseits aber eben auch die (endgültige) Entscheidung gegen sämtliche anderen Möglichkeiten. Wer beispielsweise einen Partner heiratet, entscheidet sich gleichzeitig gegen etwa ein bis zwei Milliarden andere Möglichkeiten ... Im Fall akuter Verliebtheit scheiden die anderen Möglichkeiten nahezu selbstverständlich aus. Bei einer beruflichen Entscheidung ist das jedoch in aller Regel nicht der Fall.

Ihr Ruhe-Netzwerk offenbart Ihre Zweifel

„Schuld“ an diesen Zweifeln ist unter anderem eines der größten neuronalen Netzwerke in unserem Gehirn, das sogenannte Ruhe-Netzwerk (Default Network). Es dient unter anderem dazu, in Momenten, in denen wir in einer sicheren Atmosphäre zur Ruhe kommen, die noch nicht abgeschlossenen Aufgaben erneut zur Bearbeitung anzubieten. Wenn also noch nicht absolute Entschiedenheit herrscht, wird dieses Netzwerk die entsprechende Entscheidung immer wieder anbieten – und wir zweifeln.

Die Aktivität des Ruhe-Netzwerks ist jedem, der meditiert, gut bekannt. Probieren Sie einfach einmal, zwei Minuten „an nichts zu denken“ – danach haben Sie vermutlich die Aktivität Ihres Ruhe-Netzwerks kennengelernt. Sobald man versucht, ruhig zu sein und nichts zu denken, wird es aktiv. Eine wichtige Möglichkeit, hier „Ruhe zu schaffen“, besteht darin, die Gedanken zu beobachten und ihnen nicht zu folgen.

Bei Entscheidungen klappt das nur, wenn man sich einigermaßen sicher sein kann, dass alle wichtigen Aspekte berücksichtigt wurden. Wenn die jeweilige Entscheidung nach einem vollständigen Entscheidungsverfahren getroffen wurde, ist es relativ leicht, sich selbst zu sagen: „Ich habe diese Entscheidung vollständig getroffen, es ist nicht notwendig darüber erneut nachzudenken. Erneutes Nachdenken wird auch nicht zu anderen Ergebnissen führen!

Wenn dieser Denkprozess mehrfach durchlaufen worden ist, „lernt“ das Ruhenetzwerk quasi, dass das Thema „erledigt“ ist. Die Zweifel werden seltener und hören irgendwann ganz auf. Fängt man jedoch an, die Entscheidung erneut aufzurollen und wieder zu durchdenken, nehmen die Zweifel wieder zu. Der Umgang mit Zweifeln ist also ein normaler kognitiver Übungsprozess. Eine Voraussetzung, um in solchen Situationen schneller zur Ruhe zu kommen, ist, dass man die Sicherheit hat, die entsprechende Entscheidung – nach bestem Wissen und Gewissen – vollständig getroffen zu haben. Dafür gibt es Entscheidungsverfahren, die sowohl die kognitiven als auch die emotionalen Aspekte systematisch untersuchen.

Sicherheit durch systematisches Vorgehen

Man beginnt damit, zuerst die Sachaspekte systematisch zu untersuchen. Da wir darin in der Regel kein Training haben, sind diese Überlegungen jedoch relativ häufig unvollständig. Daher finden Sie im Folgenden die wichtigsten Aspekte für eine systematische Entscheidung. Man beginnt mit dem systematischen Erarbeiten der vorhersehbaren Punkte (Tabelle).

Niederlassung

in der Stadt

Niederlassung

auf dem Land

GEWINNE

Was gewinne ich?

Was gewinnen andere

(Klinik. Kollegen. Familie. ...)?

VERLUST & VERZICHT

Was verliere ich / Worauf muss ich verzichten?

Was verlieren andere / Worauf müssen andere verzichten?

AUFWAND & KOSTEN

Was muss ich aufwenden

(Kosten. Zeit. Energie. ...)?

Was müssen andere aufwenden?

Füllen Sie die Tabelle aus und verschaffen Sie sich so einen Überblick über die zu erwartenden positiven und negativen Aspekte und über den zu erwartenden Aufwand im Rahmen von Entscheidungen. Dabei wird sowohl Ihre eigene Sicht als auch die von eventuell von der Entscheidung Betroffenen ins Auge gefasst.

Quelle: Anke Handrock

Das Ausfüllen dieser Tabelle kann jedoch schnell mal mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Wesentlich wirkungsvoller ist es, über einen Zeitraum, den Sie vorher festlegen (zum Beispiel zwei Wochen) immer Zettel und Stift bei sich zu haben. Das Gehirn liefert häufig zwischendurch ein paar flüchtige Gedanken zu dem Thema, die Sie dann schnell notieren und jeweils abends in die Tabelle übertragen können. Nach etwa zwei Wochen kommt dieser Prozess meistens zum Stillstand, weil alle bekannten Informationen zusammengestellt wurden. Dann bietet es sich an, diese Tabellen noch einmal in Ruhe durchzugehen und die vorläufige Entscheidung mit einer Begründung schriftlich zu formulieren.

In dem Moment, in dem diese Formulierung auf dem Papier steht, erhält sie einen gewissen Realitätscharakter und stellt die vorläufige Entscheidung dar. Dadurch wird die emotionale Seite angesprochen. Deswegen ist es im Anschluss sinnvoll, sich noch einmal eher intuitiv mit dem Thema zu beschäftigen. Dazu gibt es zwei bewährte Ansätze, die im Bereich der Spiritualität seit Jahrhunderten eingesetzt werden und die inzwischen im Management und in der Psychotherapie weit verbreitet sind. Bei beiden Ansätzen handelt es sich um Imaginationen. Am besten suchen Sie sich einen gemütlichen Platz, an dem sie nicht gestört werden und gehen in einen entspannten Zustand – vielleicht mit geschlossenen Augen.

Spiegeln Sie Ihre Wahl durch Imaginationen

Stellen Sie sich nun zuerst vor, Sie würden eine andere Person beraten. Diese Person hat Ihr Alter und Ihr Geschlecht und sie lebt unter ähnlichen Lebensumständen – aber an einem völlig anderen (etwa gleich großen) Ort in Deutschland. Stellen Sie sich weiter vor, diese Person würde Ihnen jetzt direkt gegenüber sitzen und Ihnen erzählen, wie die Situation ist, welche Entscheidungsalternativen existieren und weshalb sie sich für die vorläufige Entscheidung entschieden hat. Die Person möchte nun Ihre Einschätzung und Beratung dazu hören. Nun beraten Sie diese Person. Sie können das im Geiste tun oder auch laut aussprechen (dann bietet es sich an, das Gesprochene mit dem Handy aufzunehmen und hinterher anzuhören). Was haben Sie dieser Person geraten? Und mit welcher Begründung? Das Ergebnis dieser Beratung schreiben Sie sich (mit den entsprechenden Begründungen) ebenfalls auf.

In einem zweiten Schritt können Sie sich nun auf eine weitere Imagination einlassen. Stellen Sie sich vor, heute sei Ihr 70. Geburtstag. Sie haben Ihr Arbeitsleben erfolgreich abgeschlossen. Vor sehr vielen Jahren haben Sie sich für die vorläufige Entscheidung entschieden. Diese Entscheidung haben Sie dann umgesetzt und Ihr Leben lang entschieden weiterverfolgt. Beschreiben Sie Ihren Gästen auf dem 70. Geburtstag, wie gut die Ergebnisse Ihrer Entscheidung waren. Sie können auch überlegen, was Sie jetzt, mit 70, ihrem „Jüngeren Selbst“ raten würden. Auch diese Ratschläge sollten Sie sich anschließend notieren. Oft ist es so, dass hierbei auch einige Herausforderungen in den Blick kommen. Dann ist es hilfreich, in der Vorstellung herauszufinden, wie Sie mit diesen Herausforderungen umgegangen sind.

Zum Schluss: Der Werte-Check

In einem abschließenden Schritt gilt es nun zu überprüfen, ob die vorläufige Entscheidung auch zu Ihren Werten passt. Dazu ist es hilfreich, sich eine Liste anzulegen auf der Sie notieren, was Ihnen im Leben wichtig ist. Das kann erst einmal ganz grob geschehen und braucht noch keinen bestimmten Kategorien zu entsprechen. Wenn Sie diese Liste erstellt haben, können Sie sich bei jedem einzelnen Punkt fragen „Weshalb ist mir das wichtig?“. Zum Beispiel könnte auf Ihrer Liste stehen: „Ich möchte gerne jedes Jahr mindestens dreimal zwei Wochen Urlaub haben!“ Bei der Frage „Weshalb ist mir das wichtig?“ wäre zum Beispiel die Antwort „Weil ich genug Zeit für meine Familie haben möchte“. Ihr Wert wäre also in diesem Beispiel die Familie. Wenn Sie auf diese Weise einige Werte zusammengestellt haben, überlegen Sie sich, welches die wichtigsten drei davon sind. Nun können Sie sich fragen: Will ich unter dem Aspekt, dass ich das, was mir wirklich wichtig ist – diese drei Werte –, leben möchte, die Verantwortung für meine vorläufige Entscheidung übernehmen?

Falls während der drei letzten Schritte irgendwo Differenzen auftauchen, haben Sie neue Informationen für Ihre Tabelle gewonnen und können den Prozess mit der geänderten Entscheidung noch einmal durchlaufen. Wenn Sie zuerst die Tabelle umfassend aufgefüllt haben, dann in beiden Imaginationen zum gleichen Ergebnis gelangt sind, und bereit sind, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dann haben sie ihre Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen getroffen. Glückwunsch!

Natürlich ist ein derartig aufwendiges Verfahren nur dann sinnvoll, wenn es sich um langfristige, weiterreichende Lebensentscheidungen handelt. In diesem Fall gibt ein derartiges Verfahren jedoch das Gefühl, diese Entscheidung aus der größtmöglichen Sicherheit getroffen zu haben. Die so gefundene Entscheidung ist anschließend die Basis für eine systematische Zielarbeit.

Die Autorin, Dr. med. dent. Anke Handrock, leitet seit 1995 ihr eigenes Beratungsunternehmen für Coaching und Training in der Medizin. Sie hat sich insbesondere auf Patientenführung und systemisch-strategische Teamkommunikation spezialisiert. Seit 2012 ist sie auch die Leiterin des Steinbeis-Transfer-Instituts „Positive Psychologie und Prävention“ der Steinbeis-Hochschule Berlin.

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