Patientenautonomie versus Fürsorgepflicht

Den Patienten wertschätzen – mit all seinen Gefühlen

Demente Patienten funktionieren nicht wie der Standardpatient – vor allem weil die verbale Kommunikation mit ihnen in der Regel kaum noch möglich ist. Für den Behandlungserfolg entscheidend sind vielmehr ein überaus freundliches Gesicht, die heitere Stimme des Zahnarztes sowie ein verstärkter Körperkontakt. Dr. Elmar Ludwig gibt Tipps für den Umgang mit dementen Patienten in der Praxis.

„Die Ansprache sollte im Gesichtsfeld, also von vorne und eher von unten erfolgen“, rät Ludwig, Referent für Alterszahnheilkunde bei der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg. Ein freundlicher Gesichtsausdruck und die Untermalung des Gesagten mit Gesten seien ebenfalls wichtig, genauso wie klare kurze Sätze in eher tiefer Stimmlage mit einem reduzierten Sprechtempo. „Viel Lob sowie die wiederkehrende Namensnennung runden die Kommunikation ab.“

Vermeiden sollte man dagegen ablenkende Hintergrundgeräusche und – vor allem – „Warum“-Fragen. „Demenziell erkrankte Patienten können diese in den meisten Fällen nicht beantworten“, weiß der Experte. Dadurch könnten nur unnötige Konflikte provoziert werden.

Er empfiehlt, dem Patienten Anleitungen zu geben: „Kurze begleitende Kommentierungen sind hilfreich, um Missverständnissen vorzubeugen. Sie können zum Beispiel beim Ausspülen den Becher unterstützend mitführen und die Handlung begleitend kommentieren: ‚Nehmen Sie bitte den Becher‘, ‚Nehmen Sie bitte einen kleinen Schluck in den Mund‘, ‚Spülen Sie bitte aus‘, ‚Stellen Sie bitte den Becher wieder hin‘.“

Kommunikation gelingt anders ...

Ohne den Einsatz solcher Techniken bliebe Kommunikation mit demenziell erkrankten Patienten oft erfolglos. „Dabei gilt es, die Menschen in ihrer Lebenswelt mit den gerade vorherrschenden Gefühlen und Motiven zu akzeptieren und wertzuschätzen“, betont Ludwig. „Sie müssen auf ihrer Ebene angesprochen werden“ – und zwar „mit allen Sinnen“. Biografisches Wissen zum erlernten Beruf oder zur Familie könne für die Kommunikation hilfreich sein, um die Patienten in ihrer Welt abzuholen, empfiehlt Ludwig. „Vielen demenziell erkrankten Menschen geben bestimmte Dinge – wie Handtaschen oder Kuscheltiere – oder bestimmte Personen – wie Angehörige oder Pflegekräfte – eine besondere Sicherheit. Diese sollten dann bei der Behandlung möglichst dabei sein.“

Ein weiterer Punkt ist, dass demenziell erkrankte Menschen meist multimorbide sind. „Vor allem bei invasiven Eingriffen ist daher ein Blick auf die Medikamentenliste unerlässlich“, führt Ludwig aus. Gemeinsam mit weiteren Vertretern der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin hat er einen spezifischen Anamnesebogen für Senioren entwickelt. Erfasst werden darin neben den Allgemeinerkrankungen und der Mundgesundheit des Patienten auch die Namen von Betreuern, Pflegern und Angehörigen sowie Angaben zur Biografie.

... vielleicht sogar nur mit Kuscheltier

Für die Behandlungsplanung sollte zudem nachgefragt werden, wann am Tag der Patient am zugänglichsten und kooperativsten ist. „Ist die Behandlung in der Praxis geplant, sollte diese an einem Tag erfolgen, an dem viele Patienten zur Kontrolle kommen“, rät Ludwig. „Dann ist es nicht so schlimm, wenn ein Patient doch nicht erscheinen kann, aufgrund des Transports vielleicht erst später in die Praxis kommt oder an dem geplanten Tag die Behandlung frühzeitig wieder abgebrochen werden muss. Die Praxis ist in jedem Fall ausgelastet, der Patient hat immer wieder kurze Pausen und am Ende schafft man mehr, als man vorher zu hoffen gewagt hat.“ Sollte ein Patient während der Behandlung „nach Hause“ wollen oder den Wunsch äußern, dass die Behandlung nun aufhören möge, aber ein Abbruch zu diesem Zeitpunkt ungünstig ist, könne es helfen, die Behandlung zu unterbrechen, gemeinsam ein paar Schritte in der Praxis zu gehen, wieder in das Behandlungszimmer zurückzukehren und dann die Behandlung fortzusetzen.nb

So gehen Sie mit Demenzkranken um!

verbal:

  • Sprechen Sie vorzugsweise in kurzen, deutlichen Sätzen.

  • Achten Sie auf eine warme, tiefere Stimmlage.

  • Beginnen Sie jede Kommunikation damit, dass Sie sich vorstellen und den Namen des Patienten nennen.

  • Erklären Sie kurz, was Sie machen wollen.

  • Wiederholen Sie einen Satz oder eine Frage, wenn nötig.

  • Behaupten Sie nicht, etwas verstanden zu haben, wenn das nicht stimmt, sondern wiederholen Sie den Teil des Satzes, den Sie verstanden haben, und bauen Sie darauf Ihre Rückfrage nach dem nicht verstandenen Teil auf.

  • Beugen Sie Angst vor, vermeiden Sie zu flüstern oder über Patienten zu sprechen, als wären sie nicht anwesend.

  • Verwenden Sie Lob und positive Rückmeldung zur Verstärkung.

non-verbal:

  • Führen Sie nicht zwei Handlungen gleichzeitig aus.

  • Achten Sie auf Ihre Körpersprache: Wenden Sie dem Patienten nicht den Rücken zu, während Sie sprechen, sondern stellen oder setzen Sie sich so hin, dass er Sie sehen, gut hören und auch anfassen kann.

  • Stellen Sie vor dem Gespräch erst einen intensiven Blickkontakt her.

  • Durch Körperkontakt (Halten der Hand) unterstützen Sie die Erinnerung, dass Sie anwesend sind.

  • Lächeln Sie häufig und achten Sie auf sanfte Berührungen.

  • Geben Sie dem Patienten viel Zeit, um auf Fragen zu reagieren; die Reaktionszeiten können sehr viel langsamer sein.

Umgebung:

  • Stellen sie optimale Umgebungsbedingungen her: ausreichendes, aber blendfreies Licht, keine Hintergrundgeräusche.

  • Reduzieren Sie die anwesenden Personen im Raum.

  • Stellen Sie sicher, dass die erkrankte Person es gemütlich hat.

  • Achten Sie auf die Raumtemperatur (nicht zu kühl).

  • Stellen Sie Objekte bereit, die der Ablenkung dienen und gehalten werden können. 

Auszug aus dem Merkblatt „Demenz – Zugang und Umgang“, das die Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg zusammengestellt und auf ihrer Homepage unter „Alters- und Behindertenzahnheilkunde“, Stichwort „Barrierefreiheit“, veröffentlicht hat.

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