zm-Forum auf dem Deutschen Zahnärztetag 2018

Ein Wirkstoff unter der Lupe: Die Hydroxylapatitdebatte

Erstmalig war die zm mit der Veranstaltung „zm Forum aktuell“ auf dem Deutschen Zahnärztetag vertreten. Der Raum war vollbesetzt und einige Teilnehmer mussten sich mit Stehplätzen begnügen: Das Thema „Hydroxylapatit in Zahnpasten“ zog auch am Ende eines anstrengenden Kongresstages rund 140 Interessenten in den Raum „Illusion 2“ des Frankfurter Messe Congress Center.

Die Werbung für Fluorid-freie und Hydroxylapatit-haltige Zahnpasten löste in der Zahnärzteschaft Diskussionen aus. Was bei dieser „Fluoriddebatte“ bislang aus dem Blick geriet, war die Frage, wie es eigentlich um die Wirksamkeit des als kariespräventiv beworbenen Wirkstoffs Hydroxylapatit (HAP) in Zahnpasten steht. Wie ist der Stand der Forschung? Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es? Wie sind Studien einzuschätzen, die die Hersteller als Beleg für die Wirksamkeit des beworbenen Wirkstoffs anführen? Um diese Fragen drehte sich der Vortrag des Autorenteams aus Prof. Dr. Carolina Ganß, Gießen, Prof. Dr. Joachim Klimek, Gießen, Prof. Dr. Elmar Hellwig, Freiburg, das für die zm eine Bestandsaufnahme der wissenschaftlichen Evidenz zu HAP in Zahnpasten vorgenommen hat (zm 22/2018).

Der Anspruch an neue Wirkstoffe: wirksamer zu sein als Fluorid!

Ganß stellte zunächst fest, dass Karies trotz des über Jahrzehnte anhaltenden Rückgangs der Erkrankung in der Zahnmedizin noch immer eine ernst zu nehmende Rolle spielt. Es gebe Gruppen mit hoher Kariesaktivität, eine Zunahme bei frühkindlicher Karies und nach wie vor auch hohe Prävalenzen der Wurzelkaries. Deshalb sei die Suche nach neuen Wirkstoffen zur Kariesprävention begrüßenswert und wichtig. Man müsse jedoch auch die Anforderungen beachten, die angesichts des Ist-Standes einer bewährten und wirksamen Kariesprophylaxe mit Fluoriden an neue Wirkstoffe gestellt werden müssten: Soll ein neuer Wirkstoff ohne Fluoride alleinig eingesetzt werden, müsse er zweifelsfrei wirksamer als Fluoride sein. Soll er in Kombination mit Fluorid eingesetzt werden, sollte die Wirkstoffkombination die Wirkung von Fluorid allein übertreffen.

Die Eigenschaften von künstlichem HAP sind „weitgehend unbekannt“

Hydroxylapatit liegt im Zahnschmelz in Form von hochkristallinen, stark orientierten und dicht gepackten Strukturen vor. Diese spezifische Mineralisation ist ein Ergebnis biologischer, zellulärer Mechanismen und besitzt die bekannten physikalischen und chemischen Eigenschaften, die den Zahnschmelz bislang einzigartig machen. „Wenn wir über künstlichen Zahnschmelz sprechen, besteht die Herausforderung darin, zumindest die Kristallinität und den Orientierungsgrad von HAP in Schmelz zu erzeugen“, erklärte Ganß. Aber, fasste sie den bisherigen Wissensstand zusammen, welche Eigenschaften künstliche HAP-Nano- oder Mikropartikel in der Mundhöhle haben, sei „weitgehend unbekannt“.

Für die Entwicklung neuer Wirkstoffe stehen etablierte Verfahren zur Verfügung, die stufenweise wissenschaftliche Prüfungen von der plausiblen Hypothese zu einem Wirkmechanismus über Labor- und In-situ-Versuche bis hin zu klinischen Studien vorsehen. Wie in den Vorträgen der Referenten deutlich wurde, erscheint die Forschung zu den präventiven Wirkungen von HAP jedoch eher als Flickenteppich von episodisch aufkeimendem Forschungsinteresse zu Einzelfragen, denn als zielgerichtete Forschung zu einem Wirkstoff, dem man in der wissenschaftlichen Welt ein bedeutendes kariesprotektives Potenzial zutraut. Immerhin erstreckt sich der Zeitraum der HAP-Forschung inzwischen auf Jahrzehnte – manche Studie sei aufgrund ihrer mangelhaften Qualität „zurecht in Vergessenheit“ geraten, wie Klimek betonte. 

Überhaupt seien bei der Sichtung bei vielen Studien Mängel im Studiendesign und in der Berichtsqualität aufgefallen. So wurde beispielsweise die weit überwiegende Anzahl der In-vitro-Studien zu den kariespräventiven Wirkungen von Hydroxylapatit mit Modellen durchgeführt, bei denen ausschließlich remineralisiert wurde. In der Mundhöhle kommt es jedoch zu einem ständigen Wechsel von De- und Remineralisationen – Karies entsteht dann, wenn die Demineralisationen überwiegen. Demzufolge kann eine kariespräventive Wirkung mit einem Studiendesign belegt werden, das die zyklischen Phasen bei einem Überwiegen von Demineralisationen nachbildet. Die Referenten fanden bei ihrer Recherche indes nur eine einzige Studie, die das tat. Ergebnis: Alle fluoridhaltigen Zahnpasten konnten die Demineralisation mindern, die untersuchte Nano-Hydroxylapatit-Zahnpaste (Biorepair) hatte dagegen keinen Effekt [Esteves-Oliveira et al., 2017].

Kritik äußerten die Referenten auch an einer von der Firma Dr. Kurt Wolff geförderten und an fünf deutschen Universitäten durchgeführten Multicenter-Studie [Schlagenhauf et al., bioRxiv 306423]. In der Studie sollte die Wirksamkeit der HAP-Zahnpasta Karex gegen eine Fluorid-haltige Zahnpasta zur Prävention von white spots in der Kieferorthopädie getestet werden. Das Studiendesign ist jedoch nach Auffassung von Ganß, Klimek und Hellwig wenig geeignet, die Effekte der HAP-Zahnpasta zu untersuchen. Bemerkenswert war die Erwiderung des Erstautors der Studie, Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf, in der anschließenden Diskussion. Er räumte ein, dass die Aussagekraft der Studie beziehungsweise des Studiendesigns aus ethischen Gründen limitiert sei und er sich im Übrigen von den weitergehenden Werbeaussagen des Studiensponsors distanziere.

Kariesprävalenz: Droht ein Rückfall in die 90er-Jahre?

Als vierter Referent befasste sich Prof. Dr. Stefan Zimmer, Witten, unter anderem mit der Frage, welche Auswirkungen ein Verzicht auf Fluoridzahnpasten ohne adäquaten Ersatz für die Kariesprävalenz in Deutschland hätte. Aktuell gibt es keine Daten zu einem solchen Szenario – es erschien bislang wenig wahrscheinlich, sich mit solchen Fragestellungen auseinandersetzen zu müssen. Sollten solche Zahnpasten jedoch größere Marktanteile erreichen, dürfte das Thema in die Diskussion kommen. Zimmer präsentierte Modellrechnungen, die zeigen, dass der Kariesbefall bei 12-Jährigen vom aktuellen DMFT-Wert von 0,4 auf 0,63 steigen könnte. Das entspricht etwa dem Wert aus dem Jahr 2010. In der Gruppe der 35- bis 44-Jährigen könnten die DMFT-Werte von 11,2 auf 17,3 (1989: 16,7) und in der Gruppe der 65- bis 74-Jährigen von 17,7 auf 25,3 (1997: 23,6) steigen. Die Berechnungen sind noch mit etlichen Unsicherheiten behaftet, zeigen aber die Dimension, die ein Verzicht auf Fluoridzahnpasten ohne adäquaten Kariesschutz haben könnte.

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