Praxisgründerin Dr. Lilly Qualen

„Ich bin ein Anti-Generation-Y-Beispiel“

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Vergangenes Jahr ließ sich Dr. Lilly Qualen in Niendorf an der Ostsee nieder – mit 26 Jahren die jüngste Praxisgründerin ever. Sie selbst bezeichnet sich als „Anti-Generation-Y-Beispiel“. Welche Antworten sie auf die entscheidenden Fragen bei einer Gründung gefunden hat.

Eigene Praxis oder Anstellung?

Dr. Lilly Qualen: Mir sagte mal jemand: „Wenn dein Drang zur Selbstverwirklichung größer ist, als die Motivation stets im Sinne deines Arbeitgebers zu handeln und seine Träume zu verwirklichen, dann musst du dich selbstständig machen.“ – gesagt, getan!

Bei meiner ersten Assistenzstelle habe ich gemerkt, dass ich eine eigene Praxisphilosophie entwickeln und mich selbstständig machen möchte. Dass es dann so schnell ging, ergab sich aus einem Angebot, dass ich nicht abschlagen konnte. Ich hatte die Option, in einem Neubau von Beginn an, an der Raumplanung und Umsetzung mitzuwirken. Die zentrale Lage, Parkplätze am Haus, Barrierefreiheit und viel Licht auf 200 m2 waren neben der guten Verkehrsanbindung ausschlaggebende Faktoren.

Die ersten Grundrissskizzen hatte ich also schon in den ersten Monaten meiner Assistenzzeit in der Hand. Richtig bewusst war mir da allerdings nicht, was noch alles an Arbeit auf mich zukommen würde.

Mitte 2016 bin ich dann zu einer etablierten Einzelpraxis gewechselt und durfte dort mein Wissen und Können auf fachlich höchstem Niveau vertiefen. Mein damaliger Chef wusste, dass unsere gemeinsame Zeit begrenzt sein würde und hat mich dennoch immer in meinem Vorhaben bestärkt und unterstützt. Bis heute steht er mir bei Fragen zur Seite. Dafür bin ich sehr dankbar.

Übernehmen oder gründen?

Zunächst sollte man sich mit den Vor- und Nachteilen einer Neugründung im Vergleich zur Übernahme auseinandersetzen. Die zweite Frage ist dann „Schaffe ich das alleine oder möchte ich mich lieber mit anderen Gründern zusammentun?“. Eine Bedarfs- und Standortanalyse muss dabei allem vorangehen: Wie viele Kollegen sind bereits in der Region? Findet sich eventuell eine Bestandspraxis mit Potenzial zur Übernahme?

Dabei muss einem natürlich bewusst sein, was es bedeutet, selbständig zu sein: „Selbst und ständig!“ Aber wie sieht es aus mit Familienplanung, Freizeit, Sicherheiten? Kann und möchte ich wirklich alles geben und dabei vielleicht auch mal etwas aufgeben? Habe ich auch das Know-How und ein gesundes Selbstbewusstsein für ein eigenes Unternehmen?

Eine Übernahme scheint etwas einfacher, als ohne Patientenstamm zu starten, aber auch da warten Schwierigkeiten wie „Das hat der Alte aber immer anders gemacht!“. Damit müssen junge Kollegen erst mal zurechtkommen.

Das Wichtigste ist, sich ein Netzwerk an Kollegen aufzubauen, Kontakte zu pflegen und sich persönlich bei allen Zahnärzten in der Umgebung vorzustellen. Zeigt euch und bleibt kollegial. So ganz alleine, mit ausgefahrenen Ellenbogen, wird das definitiv nichts!

Stadt oder Land?

Nach sieben Jahren Stadtleben war mir klar, dass ich unbedingt in meinen „Heimathafen“ Niendorf an der Ostsee zurückkehren wollte.

Ich habe das Glück, dort leben und arbeiten zu können, wo andere Urlaub machen. Der Ort – damit auch der Behandlungsbedarf – wächst durch Neubaugebiete. Nicht zuletzt profitieren wir hier vom Tourismus. Außerdem spricht es sich „auf dem Land“ auch ohne große Marketingkampagnen schneller rum, wenn jemand zufrieden mit seiner Behandlung „beim neuen Teendoktor“ ist.

Spezialist oder Allrounder?

Gestartet habe ich als Allrounderin und das bleibe ich auch! Täglich kommen Patienten aus der Region, aber auch Urlauber aus ganz Deutschland und dem Ausland zu mir. Wenn ich da nicht „alles“ anbieten würde, könnte ich meine Praxisphilosophie, jeden Patienten mit einem Lächeln nach Hause zu schicken, nicht umsetzen.

Nebenbei spezialisiere ich mich derzeit im Bereich der Implantologie. Auch mein Team wird regelmäßig fortgebildet, um die Kompetenzen jedes Einzelnen und damit unsere effiziente Arbeitsweise zu stärken. Dadurch erweitern wir stetig unser Behandlungsspektrum und arbeiten nach modernsten Standards, um noch bessere „Allrounder“ zu sein.

Bei einer Niederlassung in der Stadt würde ich – je nach Umfeld – eine Spezialisierung favorisieren. Um Bestand zu haben, ist es wichtig, sich fachlich abzuheben.

Die drei größten Herausforderungen:

Zuerst: überhaupt den Schritt zu wagen und quasi bei Null anzufangen. Das Handwerk der Zahnmedizin zu beherrschen ist das Eine, aber ein eigenes Unternehmen zu führen, ist noch mal eine ganz andere Sache. Plötzlich braucht man sämtliches betriebswirtschaftliches Know-how inklusive Personalrecruitment und einen aussagekräftigen Businessplan – das alles lernt man im Studium nicht. Das ist BWL im Eigenstudium. Allein der große bürokratische Aufwand, den unser Beruf mittlerweile mit sich bringt, kann einem manchmal ganz schön über den Kopf wachsen.

Zweitens: Die finanziellen Sorgen durchzustehen! Wir kennen alle den sogenannten Honorarverteilungsmaßstab. Für Existenzgründer ist dieser meiner Meinung nach etwas unrealistisch ausgelegt. Bei geringer Patientenzahl entspricht man einfach – trotz leichter Anhebung des HVM für Neugründer – nicht dem Durchschnitt. Insbesondere in der Anfangszeit ist man auf die vollständige Honorierung der real erbrachten Leistungen und die Liquidität angewiesen.

Schließlich ist da definitiv der psychische Druck, der auf einem lastet. Hat man die richtige Entscheidung getroffen? Wird es gut gehen? Wann habe ich einen Patientenstamm, von dem mein Personal und ich gut leben können? Und wann darf ich eigentlich mal wieder in den Urlaub fahren?

Dazu sage ich nur: Durchhalten! Wahnsinnig viel Arbeit, viele Sorgen – aber am Ende zahlt es sich aus! Jeder glückliche Patient, der die eigene Praxis verlässt, entschädigt für (fast) alles.

Wie viel Planung, wie viel Unterstützung

Das gesamte Konzept meiner Praxis war im Vorwege bis ins kleinste Detail durchdacht und geplant. Eineinhalb Jahre habe ich neben Assistenzzeit und Doktorarbeit alle Steine gelegt, die für einen guten Start notwendig waren. Bis zum Tag der Eröffnungsfeier habe ich Möbel zusammengeschraubt, eine CI ausgetüftelt, Personalgespräche geführt und nächtelang Recherche betrieben. Ich bin immer wieder mit mir selbst ins Gericht gegangen, habe mich gefragt, ob ich dem ganzen wirklich gewachsen bin – bis zu dem Entschluss, dass ich den Sprung in die Selbstständigkeit wagen will. Bei all dem stand kein professionelles Beraterteam hinter mir. Ich habe mir alles selbst erarbeitet. Darauf – und dass es offenbar gut bei den Patienten ankommt – bin ich sehr stolz.

Unabhängigkeit gibt es nicht umsonst! Man muss viel Herzblut, Schweiß und auch die eine oder andere Träne investieren, ohne dabei den Spaß und die Liebe zum Beruf zu verlieren. Der steinige Weg wird sich auszahlen und wenn ihr jemanden habt, der euch dabei unterstützt, dann wird es sich auch nicht mehr so schwer anfühlen.

Die größte mentale Unterstützung bei mir kommt von meiner Familie und aus meinem Freundeskreis. Mein Vater war selbst 30 Jahre als Zahnarzt tätig und hat seine Praxis vor sechs Jahren verkauft. Ich profitiere von seinem Wissen, tausche mich zudem viel mit meinen Kollegen aus kleineren Qualitätszirkeln und Zahnärztevereinen aus.

Nicht zuletzt verdanke ich auch meinem Team, das aus meiner Vision „unsere Vision“ gemacht und damit maßgeblich zum Erreichen unserer Ziele beigetragen hat. Das gesamte wirtschaftliche und unternehmerische Risiko trage ich allerdings alleine.

Nur Praxis oder auch eine Marke?

Mit striktem Fokus auf der Verbesserung der allgemeinen Mundgesundheit und ausführlicher Aufklärung vereinen wir das klassische Bild einer Zahnarztpraxis mit dem Ziel, unsere Qualitätsansprüche nicht nur als guten Ruf, sondern auch als „Marke“ zu etablieren. Eine Marke, mit der sich sowohl die Patienten als auch meine Mitarbeiter identifizieren können. Durch unsere Corporate Identity verstehen wir uns als ein Unternehmen mit Wiedererkennungswert.

Ich finde es schön, dass wir zudem einen persönlichen und dennoch professionellen Umgang zu unseren Patienten pflegen. Durch unsere regionale Verbundenheit kennt man irgendwann das halbe Dorf und nimmt sich gern die Zeit für einen „Klönschnack“ im Praxisalltag.

Bei allem ist das Wichtigste für uns, dass jeder Patient und auch das gesamte Team zufrieden ist. Dass wir es schaffen, moderne Zahnmedizin in Präzision zu leben und dabei unseren Spaß am täglichen Handwerk auszustrahlen, macht uns authentisch. Das schätzen unsere Patienten.

Ein ausgeklügeltes Marketing-Konzept haben wir nicht. Wir beschränken uns auf den Einsatz sozialer Medien wie Instagram und Facebook, um generationsübergreifend an unsere Patienten mit einer Mischung aus „Dental-Facts“ und Bildern aus unserem Alltag heranzutreten. Am meisten verlassen wir uns allerdings auf Weiterempfehlungen. Das funktioniert in einer kleineren Ortschaft dann doch noch am besten.

Ich vertraue in mein Unternehmen und mein starkes Team, das es mit mir groß zieht. Worauf ich wirklich stolz bin: wir konnten bereits dieses Jahr ein komplettes drittes Behandlungszimmer einrichten.

Wo gibt's gutes Personal?

Gutes Personal zu finden, das die Achterbahnfahrt einer Neugründung mitträgt, ist nicht leicht. In einer Zeit des immer größer werdenden Fachkräftemangels kann ich nur dazu raten, auch mal Fachfremden eine Chance zu geben. In Empfang und Verwaltung beschäftige ich seit der ersten Stunde eine gelernte Hotelfachfrau. Sie darf uns bei der Behandlung zwar nicht helfen, dennoch profitiert das ganze Team am Ende des Tages von ihrer erstklassigen Ausbildung.

Vor einem Jahr habe ich dann, dank meiner Kollegen, zwei exzellente ZFAs und eine vorbildliche Auszubildende gefunden. Jetzt sind wir ein harmonisches Team, das sich in seinen Kompetenzen perfekt ergänzt.

In unseren Teambesprechungen lassen wir Raum für Ideen und ist es immer wieder spannend zu sehen, wie viel Herzblut meine vier Damen in ihre Arbeit investieren und täglich daran feilen unsere Arbeitsabläufe zu optimieren. Wichtig ist, dass sich mein Team mit den Werten des Unternehmens identifizieren kann und ein Gefühl dafür hat, dass der Erfolg in direktem Zusammenhang mit ihrer Leistung steht. Das Ganze muss natürlich auch honoriert werden, um den Teamgeist lebendig zu halten.

Ein respektvoller Umgang untereinander und die Wertschätzung der Leistung jedes Einzelnen – darauf kommt es an.

Wie viel Work und wie viel Life?

Im ersten Jahr der Existenzgründung kann man nicht wirklich von einer „Balance“ sprechen. Trotzdem habe ich meine Freiräume abseits der harten Arbeit, eine Praxis aufzubauen, nie aufgegeben.

Die Selbstständigkeit ist nicht für jeden der „richtige“ Weg. Daher ist es mir sehr wichtig, im Gespräch mit meinen Mitarbeiterinnen, ihre beruflichen wie privaten Wünsche und Träume zu erfahren. Wir kommunizieren dies glücklicherweise sehr offen. Es bestärkt uns in unserem vertrauensvollen Umgang.

Am Ende ist die „Work-Life-Balance“ für mich mehr Ansichtssache. Vielleicht bin ich eine eher untypische Vertreterin meiner sogenannten „Generation Y“, aber wie sagt man so schön: „Wer seinen Beruf liebt, muss keinen Tag mehr in seinem Leben arbeiten.“

Bearbeitung: Stefan Grande

Kurzbiografie

Lilly Qualen wurde 1991 in Schleswig-Holstein geboren. Nach dem Studium der Zahnmedizin von 2010 bis 2015 an der Universität Leipzig und der zahnärztlichen Approbation folgte die Assistenzzeit in einer Praxis für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Hamburg. Anschließend führte der Weg für eineinhalb Jahre in eine Praxis für allgemeine Zahnheilkunde mit Schwerpunkt Implantologie, Endodontie und Ästhetik in Lübeck. Parallel zu Studium, Doktorarbeit und Assistenzzeit absolvierte sie diverse freiwillige Hospitationen und Praktika in unterschiedlichen MKG-Praxen und zahntechnischen Laboren. Am 1. April 2018 ließ sie sich in eigener Praxis in Niendorf an der Ostsee nieder.

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