Interview mit Dr. Johan Wölber

„Gesunde Lebensmittel sind ein Therapeutikum“

Die Ernährung kann Zahnfleischentzündungen begünstigen, aber auch vorbeugen und therapieren. Wer sich pro-entzündlich ernährt, kann Beschwerden verschlimmern und dem ganzen Organismus schaden. Oder umgekehrt: gezielt dagegen anessen, veranschaulicht Dr. Johan Wölber. Der Parodontologe beschäftigt sich seit zehn Jahren mit dem Thema und hat seine Empfehlungen in dem Buch „Die Ernährungszahnbürste“ zusammengestellt.

Welche Nahrungsmittel haben einen positiven Einfluss bei Gingivitis und Parodontitis?

Dr. Johan Wölber: Bezüglich der Gingivitis wissen wir, dass so gut wie alle Nährstoffe, also Makro- und auch Mikro-Nährstoffe sowie sekundäre Pflanzenstoffe einen Einfluss auf die parodontale Entzündung ausüben. Daher empfiehlt sich nachweislich eine ballaststoffhaltige Ernährung und vollwertige Kohlenhydrate aus ganzem Obst, Gemüse, Vollkorn, Hülsenfrüchten. Weiter wichtig sind einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, vor allem die Omega-3-Fettsäuren. 

Nitrathaltige Gemüse und Salate, Vitamin-C-haltiges Obst und sekundäre Pflanzenstoffe wie sie in Kurkuma oder grünem Tee und polyphenolhaltigen Blaubeeren enthalten sind, wirken ebenfalls positiv. Oder auch mal nichts essen, wie beim intermittierenden Fasten, kann helfen, die Entzündung zu verringern.

Und welche Nahrungsmittel wirken entzündungsfördernd?

Grundsätzlich sind prozessierte Kohlenhydrate aus Zucker, Süßigkeiten, Weißmehl, Softdrinks und Säften ungünstig. Sprich Kohlenhydrate ohne Ballaststoffe und Mikronährstoffe. Eine Mikronährstoff-arme Ernährung, die reich an prozessierten Makronährstoffen und Junkfood ist, fördert die Entzündungen. Natürlich ist rotes und verarbeitetes Fleisch vor allem aus der Massentierhaltung nicht gut, ebenso auch Omega-6-Fettsäuren aus Fleisch und Sonnenblumenöl. Aber auch der Mangel an Omega-3-Fettsäuren wie bei Vermeiden von Fischkonsum oder fehlender Algenöl-Supplementation, der Mangel an Vitamin B 12 wie bei der fehlenden Supplementierung bei Vegetariern oder vor allem bei Veganern und auch ein Vitamin-D-Mangel.

Welche Reaktionen entstehen im Körper?

Der Wirkmechanismus verläuft sowohl lokal in der Mundhöhle als auch systemisch über den Körper. Lokal wissen wir: Zucker & Co. werden vom lokalen Mikrobiom zu gingivitisfördernden Stoffen metabolisiert, Nitrat wird vom lokalen Mikrobiom zu Nitrit verstoffwechselt, was wiederum gegen Karies wirkt und gleichzeitig über systemische Verstoffwechselung anti-inflammatorisch und blutdrucksenkend. Dagegen können sekundäre Pflanzenstoffe die Biofilmformation hemmen. 

Quellen zum Artikel

Die Studienquellen zum Thema finden Sie auf zm-online.de

Systemisch wissen wir, dass Zucker & Co starken oxidativen Stress erzeugen und damit Entzündungsprozesse im gesamten Körper fördern. Omega-3-Fettsäuren hingegen wirken im gesamten Körper anti-entzündlich und sogar entzündungsauflösend. Hier ist vor allem das Gleichgewicht zwischen Omega-3 und Omega-6 wichtig, so dass bei Mehraufnahme von Omega-3 (durch Fisch oder Algenöl) auch Omega-3 durch Reduktion oder Vermeiden von tierischen Produkten) reduziert werden sollte. Mikronährstoffe, wie Vitamine, wirken antioxidativ und reduzieren damit Entzündungsprozesse oral und im gesamten Körper, genauso wie Mineralien, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe. Intermittierendes Fasten reduziert oxidativen Stress und löst Zellreinigungsprozesse (Autophagie) aus. Zudem fördert eine langbestehende Fehlernährung Allgemeinerkrankungen, wie Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die nochmals negativ auf die parodontale Entzündung einwirken. 

Wie weit ist denn die Forschung? 

Der Forschungsstand wächst stetig und verändert dabei auch ätiologische und therapeutische Konzepte. Aus ernährungszahnmedizinischer Sicht könnten dabei nämlich nicht mehr Plaquereduktion und Fluoridierung an erster Stelle stehen, sondern wie man krankmachende Nährstoffe vom Mikrobiom fernhält beziehungsweise gesundheitsfördernde Stoffe hinzufügt. Dabei geht es primär um eine Ernährungs- und Lifestyle-Umstellung, also um Raucherentwöhnung, Stressreduktion und körperliche Aktivität.

Für diese Konzepte wird aber in der Tat noch mehr Evidenz zu schaffen sein. Vor allem randomisierte kontrollierte Studien sind für die Ernährungsbeeinflussung der Parodontitis notwendig. Die meisten Nachweise über die Wirkung von Ernährung haben wir bereits in Bezug auf die Gingivitis. Interventionsstudien zur Parodontitis hingegen sind ungleich schwieriger durchzuführen – sowohl zeitlich als auch ethisch.

Wie sieht es in der Zahnarztpraxis aus? Sollte man Patienten dazu beraten? Und wenn ja, wann?

Rein praktisch wird da noch recht wenig gemacht und thematisiert. Patientengespräche als Prävention bieten aber meiner Meinung nach ein riesiges Potenzial, die Mundgesundheit und auch Gesamtgesundheit zu fördern. Ein günstiger Zeitpunkt ist dabei nach der Anamnese und/oder dem Befund, um nach der Darstellung des Problems, also der Parodontitis, den Patienten mit einer Frage abzuholen. Zum Beispiel, was er über die Entstehung von Parodontitis weiß.

Das allgemeine Interesse für das Thema wächst, immer mehr Fortbildungen werden angeboten. Bislang kann so ein spezielles Beratungsgespräch aber nicht wie andere zahnärztliche Leistungen abgerechnet werden. Gingivitis und Karies können durch Ernährungsweisen begünstigt, aber eben auch therapiert werden. Das Vorbeugen von Krankheiten und den Schutz der Gesundheit wünsche ich mir für eine Gesundheitspolitik der Zukunft, anstatt, dass wir immer den Symptomen hinterher behandeln müssen.

Wie kann der Zahnarzt seinen Patienten den Zusammenhang nahebringen? Was kann jeder im Alltag berücksichtigen?

Das sind in der Tat zwei Faktoren. Zum einen die Verhaltensprävention, also wie die Zahnärztin oder der Zahnarzt auf seinen Patienten einwirkt, und die Verhältnisprävention, zum Beispiel dass die Gesundheitspolitik zuckerfreundliche Werbung verbieten könnte. Verhaltensprävention allein ist wichtig und auch wirksam. Aber die Patienten sind auch eingebettet in Familie und Gesellschaft, was Gesundheitsverhalten fördern oder behindern kann.

Nehmen wir die Zuckerentwöhnung als Beispiel. Hier kann es dem Patienten allein schon schwerfallen, den Zucker zu reduzieren oder zu vermeiden. Zu Hause stellt die Familie noch Süßigkeiten auf den Tisch und im Fernsehen läuft Werbung für Softdrinks. Da wird erfolgreiche Verhaltensänderung sehr herausfordernd. Dementsprechend ist es wichtig, dass sowohl die Zahnärztinnen und Zahnärzte gesunde Ernährung thematisieren als auch die Gesundheitspolitik hier Projekte auf den Weg bringt. Beim Rauchen ist das schon auf einem ganz guten Weg – wenn auch noch viel zu erreichen bleibt.

Was würden Sie sich in Sachen Prävention wünschen?

Die neuen Richtlinien zur systematischen Parodontitistherapie deuten es an: Wir brauchen abrechenbare Verhaltensmedizin (wie zum Beispiel Gesprächspositionen) in der Prävention, die weg kommt von hoch-vergüteten invasiven Maßnahmen hin zu gut vergüteter Prävention – sonst macht das ja keiner.

Zudem würde ich mir ein noch beherzteres Engagement der Gesundheits- und Standespolitik in puncto Zuckerwerbung und Zuckersteuer wünschen. Es kann doch nicht sein, dass wir in kleinen Momenten die Patienten vom Zucker entwöhnen, diese aber durch die Werbung suggeriert bekommen, dass Zuckerkonsum etwas mit Spaß und Lebensfreude zu tun hat – das Gegenteil ist ja der Fall.

Die Deutsche Allianz für Nichtübertragbare Erkrankungen (DANK) zeigt, wie erfolgreiches Engagement aussehen kann. Da könnten wir als Zahnärztinnen und Zahnärzte einen wesentlichen Beitrag zu leisten. 

Das Gespräch führte Laura Langer.

PD DR. Johan Wölber

Zahnarzt und Ernährungsmediziner (DAEM/DGEM) sowie stellvertretender Studiengangsleiter „Master Parodontologie & Implantattherapie“ am Universitätsklinikum Freiburg, Department für Zahn-, Mund-, und Kieferheilkunde

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