Soziale Zahnheilkunde, Schulzahnpflege und Dental Public Health in Deutschland

Viel mehr als nur Prävention

Matthis Krischel
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Für die Sicherstellung und Förderung der Zahngesundheit ab dem frühen Kindesalter sorgen in Deutschland seit mehr als 100 Jahren „Dental Public Heath“-Maßnahmen. Doch wie sahen die Grundzüge der Entwicklung der sozialen Zahnheilkunde in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert aus? Und welche politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, Höhen und Tiefen spielten bei der öffentlichen (Mund-)Gesundheitsversorgung eine Rolle? Ein kritischer Blick auf den langen Weg hin zu dem allumfassenden zahnärztlichen Public-Health-Ansatz von heute.

Bereits 1877 hatte der Pädiater und Sozialhygieniker Adolf Baginsky (1843–1918) in seinem „Handbuch für Schulhygiene“ auf den Zusammenhang zwischen Mundgesundheit und dem Gesundheitszustand des kindlichen Gesamtorganismus hingewiesen [Kanther, 1998:21]. Eine systematische Untersuchung von kindlichen Gebissen „zur Beeinflussung der Zahnanlage im Sinne einer späteren Residenz der Hartgewebe gegen Karies“ [Tholuck, 1928:85] setzte sich auf deutschem Reichsgebiet aber erst im Kontext der aufstrebenden Schulhygiene an der Wende zum 20. Jahrhundert durch. Ihr erklärtes Ziel war es, durch die regelmäßige gesundheitspflegerische Betreuung von Schulen Erkrankungen von Schülerinnen und Schülern vorzubeugen, sie frühzeitig zu erkennen und wenn nötig entsprechende Therapiemaßnahmen aufzuzeigen [Hideharu, 2009: 163].

Eingebettet waren diese Bestrebungen in die allgemeinen wissenschaftlichen Entwicklungen einer deutschen Volks- und Sozialhygiene. Als Interventionsform bediente sich diese der öffentlichen „Gesundheitsfürsorge und Gesundheitsprävention, die sich vornehmlich auf Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Krankheit und den sozialen Lebensbedingungen beruft und vor diesem Hintergrund vorbeugend und heilend wirken will“ [Eckart, 2005: 1344].

Hierzu wurden als gefährdet angesehene Bevölkerungsgruppen beobachtet und deren Gesundheit statistisch erfasst. Gesundheitliche Beratung und Erziehung sollten sie zur verbesserten Selbstsorge ermächtigen [Labisch, Woelk, 2016:72].

Resolution zur Bekämpfung der Karies

Ein Etappensieg im Bereich der Zahnmedizin markierte daher die „Resolution zur Bekämpfung der Karies“, die von 42 Zahnärzten und zehn Zahnheilkundestudierenden aus Skandinavien, Deutschland und Großbritannien auf dem V. Internationalen Kongress für Volkshygiene (1894) im dänischen Kopenhagen auf den Weg gebracht wurde [Klein, 1910]. Dieser war zu entnehmen:

„daß die Zahnkaries (Zahnfäule) bei allen zivilisierten Völkern epidemischen Charakter angenommen hat, und daß sie dringend der Gegenmaßregeln, namentlich im Kindesalter, erheischt. Der Kongress empfiehlt, in allen Ländern Kommissionen zu bilden, welche es sich zur Aufgabe machen, die Zahnverhältnisse der betreffenden Länder statistisch festzulegen und die Behörden, welchen die Überwachung der Gesundheitspflege ihrer Länder obliegt, darauf aufmerksam zu machen, unter gleichzeitigem Hinweis auf die zur Bekämpfung der Zahnkaries geeigneten Maßregel“[Herzog, 2015].

Zwischen Sozialhygiene und Rassewahn

In der Folgezeit wurden in mehreren deutschen Städten zahnmedizinische „Reihenuntersuchungen“ an Schulkindern vorgenommen. Der wohl erste Zahnmediziner, der eine solche Reihenuntersuchung planmäßig an Schulen durchführte, war der Kasseler und preußische Hofzahnarzt Carl Zimmer im Jahr 1879 [Groß, 2006: 151, Herzog, 1955].

Zu internationalem Renommee brachte es der ebenfalls im Bereich der quantitativen Bestimmung der Kariesmorbidität tätige Arzt und Zahnarzt Carl Röse (1864–1947) [Groß, Hanson, 2020, Groß, 1994: 307]. Er übernahm um 1900 die Leitung des durch den Dresdener Großindustriellen Karl August Lingner (1861–1916) gestifteten „Zentrum für Zahnhygiene“ [Nickol, 1992:55]. Der finanzielle Rückhalt durch Lingner ermöglichte es Röse in der Folgezeit, zahlreiche Kariesstudien im In- und Ausland durchzuführen. Neben Deutschland zählten zu den untersuchten Gebieten Schweden, Dänemark, Belgien, Österreich-Ungarn und die Schweiz [Nickol, 1992:76, Röse, 1904: 131]. Das alarmierendes Ergebnis für sein Heimatland: 70 bis 90 Prozent der sechs- bis zwölfjährigen Schulkinder in Deutschland litten an Karies [Röse, 1895, Fenchel, 1896].

Während Lingner, der Vater des noch heute verkauften Odol-Mundwassers, mit dem Zentrum insbesondere die praktische Durchführung sozialhygienischer Maßnahmen fördern wollte, verband Röse mit seiner Forschung zur Kariesätiologie rassenbiologische Fragestellungen [Nickol, 1994:25]. 1889 hatte bereits Miller, der Begründer der oralen Mikrobiologie und zahnärztlichen Hygiene, darauf verwiesen, dass „die Häufigkeit der Zahncaries bei civilisierten Racen eine größere ist als bei den Wilden“ [Miller, 1889:174]. Miller hatte dafür vor allem die unterschiedlichen Nahrungsgewohnheiten verantwortlich gemacht, Röse hingegen orientierte sich an der von dem Genetiker und Zoologen August Weismann (1834–1914) auf den Weg gebrachten deterministischen Vererbungslehre [Nickol, 1992:71].

Ergänzt wurden die statistischen Erhebungen zur Kariesmorbidität durch hygienische Volksbelehrung. Auf dem Gebiet der Mundhygiene und Oralprophylaxe wurden die Entwicklungen durch einen Erlass des preußischen Kulturministeriums an die Schulen flankiert:

„Wir ersuchen [...] die Schulbehörden, dafür Sorge zu tragen, dass bei dem naturkundlichen Unterricht regelmäßig auf die Bedeutung der rationellen Zahn- und Mundpflege, natürlich auch schon in prophylaktischer Beziehung, nachdrücklich hingewiesen und den Schülern die hierfür erforderliche Anleitung gegeben wird“ [Ritter, 1903].

In der Folgezeit kam es zur Vermittlung von entsprechendem Inhalten durch Vorträge vor Lehrerkonferenzen, Elternversammlungen oder Vereinen sowie die Verteilung von Merkblättern für Eltern und Kinder. Die hygienische Volksbelehrung griff ebenfalls auf Visualisierungsstrategien zur Vermittlung von Wissen durch Bilder zurück [Rittershaus, 2013:3]. Ein Beispiel für diese Variante von Wissensvermittlung bildete die von dem Straßburger Privatdozenten für Zahnheilkunde Ernst Jessen (1859–1933) und dem Pädagogen und Publizisten Bruno Stehle (1852–1932) entwickelte Schulwandtafel (Abbildung 1) [Hideharu, 2011:224].

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren auch soziale Determinanten von (Mund-)Gesundheit bekannt. So verglich der Dessauer Zahnarzt Georg Michelsohn (1876–1968) im Jahr 1923 die Zahngesundheit von Hilfs- und Gymnasialschülern und stellte fest, dass aus der ersten Gruppe nur jedes fünfte Kind eine Zahnbürste besaß; der Zustand ihrer Zähne war entsprechend [Halling, Krischel, 2020].

Schulzahnkliniken im Aufschwung

Die erste Schulzahnklinik wurde 1902 im elsässischen Straßburg gegründet. Dort erhielten unbemittelte Volksschulkinder eine kostenlose Behandlung. Leiter der genannten Institution war kein geringerer als der bereits erwähnte Jessen [Groß, 2018a:84–85, Kanther, 1998:19–22]. Andernorts wurden Schulzahnkliniken durch private Stiftungen unterstützt, so wie die in Frankfurt am Main gegründete Zahnklinik, deren Ursprung auf die Freiherr Carl von Rothschild‘sche Stiftung zurückgeht [Kirchoff, Heidel, 2016:239].

Begleitet waren diese privaten und lokalen Aktivitäten durch (standes-)politische Entwicklungen. So kam es im Jahr 1909 zur Konsolidierung der „Deutschen Zentralkomitees für Zahnpflege in den Schulen“ [Groß, 1994:310, Groß 2018a:85]. Teil des multidisziplinären Gremiums waren Spitzenvertreter aus den Bereichen Politik, Bildung, (Zahn-)Medizin, Verwaltung und Finanzen. Aus der Satzung des Komitees ergab sich in der Folge ein Aufgabenkatalog, der im Wesentlichen drei Ziele avisierte: Neben der Einrichtung einer öffentlich-hygienischen Volksaufklärung über Zahnpflege, waren die selben Maßnahme zur Oralprophylaxe ebenfalls über alle Schulformen hinweg zu implementieren. Parallel galt es, „staatliche und kommunale Körperschaften zur Förderung diesbezüglicher Intentionen“ [Hahn 1983, 32] einzurichten.

Drei Systeme der Schulzahnpflege

Im Jahr 1919 existierten in Deutschland bereits 229 Schulzahnpflegeeinrichtungen [Groß, 1994: 312–317, Groß 2006:157, Groß, 2018b, Kirchoff, Heidel: 2016:242–247]. Dabei gab es bis 1933 im Wesentlichen drei verschiedene Systeme der Schulzahnpflege:

Das wohl bekannteste System geht auf den jüdischen und durch den Nationalsozialismus (NS) verfolgten Zahnmediziner und Bonner Lehrstuhlinhaber für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten Alfred Kantorowicz (1880–1962) zurück. Kantorowicz hatte zunächst 1913 in Ruhpolding und dann 1919 in Bonn eine überaus erfolgreiche systematische und planmäßige zahnärztliche Betreuung von Schulkindern implementiert; das sogenannte Bonner-System [Groß, 2018c:102, Kantorowicz 1936], das er wie folgt beschrieb:

„Das ganze Geheimnis der planmäßigen Schulzahnpflege beruht darauf, dass alle Kinder halbjährlich untersucht und im Bedarfsfalle behandelt werden, ohne zwischen arm und reich zu unterscheiden, und dass die Behandlung in die Schulzeit fällt. Ob sie von beamteten oder Privatzahnärzten [behandelt wurden] – die Ergebnisse waren immer gleich, das Ziel annährend 100prozentig erreicht“ [Kantorowicz, 1936:20].

In der Tat wies das Bonner System einen großen Sanierungsgrad auf. Dieser lag im Jahr 1928 bei rund 90 Prozent. Jedem hauptamtlich tätigen, angestellten Schulzahnarzt oblag die Fürsorge für 6.000 Patienten, die Behandlung erfolgte in Schulzahnkliniken, so dass für Schulkinder keine freie Zahnarztwahl bestand. Als nachteilig waren die mit dieser Vorgehensweise verbundenen hohen Kosten. Viele niedergelassene Zahnärzte opponierten vor allem aus wirtschaftlichen Gründen gegen das sozialmedizinisch ausgerichtete System. Die letztgenannte Problematik sollte vor dem Hintergrund einer am Volkskörper ausgerichteten NS-Gesundheitspolitik ab 1933 propagandistisch an Fahrt gewinnen [Kirchof, Heidel, 2016:249, Kanther, 1998:39].

Im Gegensatz dazu stellte das Mannheimer System, 1910 initiiert durch den dortigen Schulzahnarzt Emil Stein (geb. 1873), ein reines Überweisungssystem dar. Den Zahnärzten in Mannheim wurden Schulbezirke zugewiesen, in denen sie die Kinder in den Schulen jährlich zu untersuchen hatten. In der Folge überwiesen sie die zahnkranken Kinder an niedergelassene Zahnärzte oder nahmen die Behandlung in der eigenen Praxis vor. Eine Nachuntersuchung fehlte völlig. Da dieses System mit weit mehr Aufwand, das heißt auch Eigeninitiative seitens der Kinder und Eltern verbunden war, belief sich der Sanierungsgrad lediglich auf 40 Prozent. Trotz der (freien) Arztwahl, stellte sich somit das Mannheimer System weitaus weniger nachhaltig dar [Kirchoff, Heidel, 2016:249, Kanther, 1998:39–40].

Als eine Art Kompromiss zwischen beiden Systemen kann das Frankfurter-System betrachtet werden. Initiator war der Direktor der städtischen Schulzahnklinik in Frankfurt, der oben bereits genannte Hans-Joachim Tholuck. Kennzeichen des Systems waren jährlich durchgeführte zahnmedizinische Untersuchungen durch Schulzahnärzte. Die Untersuchungen fanden wie im Bonner System in den Schulen statt. Bei Behandlungsbedarf erfolgte jedoch eine Überweisung an niedergelassene Zahnärzte und somit die Einbindung derselben in sozialhygienische Aufgabenbereiche. Das Frankfurter System sah ebenfalls Nachuntersuchungen vor sowie (im Bedarfsfall) eine Behandlung der Restanten. Der Sanierungsgrad belief sich auf rund 70 Prozent [Kirchof, Heidel, 2016:249, Kanther, 1998:40].

An der Sozialhygiene ausgerichtet

Auf Basis der erfolgreichen Entwicklung der Schulzahnpflege machten sich einige Zahnärzte daran, das vergleichsweise junge akademische Fach Zahnmedizin [Krischel, Nebe, 2022] an Fragen der Sozialhygiene [Moser, Schleiermacher, Stöckel, 1996] auszurichten, die die Medizin der Zeit prägten [Heidel, 1995:49].

Wichtige Vertreter dieser Stoßrichtung waren die jüdischen (sozialen) Zahnmediziner Alfred Cohn (1866–1938) und Julius Misch (1874–1942) [Heidel, 1995:46–53]. Einen ersten Meilenstein stellte der Lehrauftrag für „soziale Zahnheilkunde“ an der Universität Berlin dar, den Cohn, der ebenfalls als Generalsekretär des „Deutschen Zentralkomitees für Zahnpflege in den Schulen“ und Schriftleiter des Verbandsorgans „Schulzahnpflege“ fungierte, im Jahr 1919 erhielt [Kirchoff, Heidel, 2016:242]. Julius Misch katalysierte die genannten Entwicklungen vor allem mit seinem zwischen 1925 bis 1933 erschienen Jahrbuch „Die Fortschritte der Zahnheilkunde“, in dem Misch seit 1926 seine programmatischen Schriften zur sozialen Zahnheilkunde veröffentlichte. In Anlehnung an das Konzept der Sozialhygiene bezeichnete er diese als „Zahnärztlich-soziale Hygiene“. Als Kernaufgabe verstand er die Prophylaxe, da „die Zahncaries [...] für viele Volksseuchen nur der Schrittmacher, jedoch schon als Krankheit allein von großem volkswirtschaftlichen Einfluß ist“ [Misch, 1926:465].

Obwohl der von Misch geprägte Terminus Eingang in die zeitgenössischen bibliografischen Klassifikationen nahm, konnte sich der Begriff langfristig nicht durchsetzen, im Gegenteil zu dem von Alfred Cohn geprägten Begriff der sozialen Zahnheilkunde [Heidel 1995: 49–51, Krischel, Halling, 2020:82].

Unter dem Einfluss der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er erfuhr die soziale Zahnheilkunde und mit ihr die sozial ausgerichtete Schulzahnpflege jedoch eine jähe Zäsur [Kirchoff, Heidel: 2016:242]. Mit der Notverordnung vom 26.7.1930 (§27e RVO) kam es zu einer folgenschweren Budgetkürzung im Bereich der Krankenkassen. Dies führte zu einer mitunter völligen Einstellung der kommunalen Schulzahnpflege. Erschwerend hinzu traten die politischen und ideologischen Entwicklungen der 1930er-Jahre, von denen auch die Zahnmedizin nicht unberührt bleiben sollte.

In der NS-Zeit Niedergang der Schulzahnpflege

Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erfuhr die sozial ausgerichtete Schulzahnpflege einen tiefen Einschnitt. Viele ihrer Vertreter waren im sozialistischen oder sozialdemokratischen Spektrum politisch aktiv, viele waren jüdischen Glaubens oder hatten jüdische Vorfahren. Auch die Einbeziehung von im öffentlichen Dienst angestellten Zahnärzten im Bonner und im Frankfurter Modell führte zu erheblichen, wirtschaftlich motivierten Konkurrenzkämpfen innerhalb der Zahnärzteschaft [Krischel, 2021]. Neben den gesundheitspolitischen und berufsstrategischen Entwicklungen innerhalb der NS-Zahnärzteschaft, führten in der Folge auch die erwähnten Etatkürzungen zu einem Niedergang der einstigen Schulzahnpflege. Ein Ideal, das nach dem Zweiten Weltkrieg nach Einschätzung von Wolfgang Kirchhoff und Caris-Petra Heidel nicht wiederhergestellt werden konnte [Kirchoff, Heidel, 2016: 254–261].

Während man in der DDR bewusst an sozialmedizinische Traditionen der Weimarer Republik anschließen wollte [Ernst, 1997] und in diesem Zuge auch in der Zahnmedizin auf die Schulzahnpflege nach dem „Bonner Modell“ setzte, wurde in der Bundesrepublik ab den 1950er-Jahren ein Modell für die „planmäßige Jugendzahnpflege im Bundesgebiet“ entwickelt, das sowohl Schulzahnärzte als auch Niedergelassene einbezog [Mönnich, 2002:17–24]. Auch der Trinkwasserfluoridierung gegenüber war man in der DDR aufgeschlossener als in Westdeutschland [Groß, 2021: 56–59, Künzel, 2009:62; Rosenthal, Hoffmann-Axthelm, 1955: 97–102]. In der Folge ließ sich bis in die 1990er-Jahre in Ostdeutschland eine niedrigere Kariesprävalenz bei Kindern und Jugendlichen nachweisen [Splieth et al., 2019:613].

Der Weg zu Dental Public Health von heute

Sind die Ideale einer sozialen Zahnmedizin heute, etwas über 100 Jahre nach dem ersten universitären Lehrauftrag für das Fach in Deutschland, in Vergessenheit geraten? Einige Fachvertreterinnen und Fachvertreter sind dieser Meinung – angesichts von Versorgungsdefiziten, die vulnerable Gruppen, wie Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten oder mit Migrationsgrund, betreffen [Kirchoff, Heidel, 2016:270].

Gleichzeitig wächst aber in den vergangenen Jahrzehnten international und in Deutschland das Interesse an diesem Bereich, der nun regelmäßig als „Dental Public Health“ firmiert. Ausdrücklich werden hier die Prävention mit einem Fokus auf sozioökonomische und medizinische Risikogruppen sowie das Verhältnis zwischen oraler und allgemeiner Gesundheit in den Blick genommen [Ziller, Oesterreich, 2007]. Ein Anschluss an die sozial(zahn)medizinische Tradition der Weimarer Republik wird jedoch nicht immer gesucht. Eine Arbeitsgruppe innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention untersucht „soziokulturelle Determinanten der Mundgesundheit (zum Beispiel soziale Ungleichheit, Migration, Mundgesundheitskompetenz)“ und versucht, die Entscheidungskompetenz von Patientinnen und Patienten sowie deren Selbstwirksamkeitserwartung zu stärken [Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention e.V, 2022]. Und auch bei der Formulierung der Mundgesundheitsziele für Deutschland bis zum Jahr 2030 spielen mit verhaltens- und verhältnispräventiven Maßnahmen – Mundgesundheitsaufklärung, Reduktion von Tabak- und Alkoholkonsum, Erhöhung der Verbreitung fluoridierten Speisesalzes und Verbesserung der gruppenprophylaktischen Betreuung von Kindergartenkindern, Grund- und Förderschülern – sozial(zahn)medizinische Fragen zentrale Rollen.

Ausdrücklich bringen die Autoren eines Positionspapiers zum Thema Mundgesundheitsziele – Experten aus dem Haus der Bundeszahnärztekammer – diese Aspekte in einen Zusammenhang mit der „soziale[n] und berufsethische[n] Verantwortung des zahnärztlichen Berufsstandes“ [Ziller, Oesterreich, Jordan, 2021].

Literaturliste

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Dr. Matthis Krischel

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf

M.A. Julia Nebe

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät,
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf

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