British Dental Association schlägt Alarm

Politikchaos, Kosten explodieren, Dentaltourismus nimmt zu

mg
Nicht erst seit der Regierungskrise und dem Rücktritt des britischen Gesundheitsministers Sajid Javid ist die British Dental Association (BDA) im Alarmmodus. Jüngste Umfrageergebnisse und statistische Auswertungen des Verbands zeigen, wie sich die Rahmenbedingungen der zahnmedizinischen Versorgung im Nationalen Gesundheitsdienst NHS zusehends verschlechtern.

Der Brexit, die Pandemie, ein sich verschärfender Fachkräftemangel und eine galoppierende Inflation. Die Zahnärzteschaft im Vereinigten Königreich erlebt seit zwei Jahren einen Dauerkrisenmodus und die für viele BehandlerInnen unlukrative Arbeit im National Health Service (NHS) einen beispiellosen Niedergang. Medienberichten zufolge ist die Versorgung für manche Bevölkerungsteile ganz zum Erliegen gekommen. Viele Patienten flüchten offenbar vor monatelangen Wartezeiten zur Behandlung ins Ausland, zeigt eine BDA-Umfrage – und kehren regelmäßig unzureichend versorgt zurück.

In der Umfrage-Auswertung spricht der Verband von einem steigenden „Zahntourismus-Boom” der BritInnen, der der heimischen Zahnärzteschaft im Nachhinein erhebliche Mehrarbeit und der Patientenschaft Mehrkosten beschert. Und nicht nur das: Die Ergebnisse zeigen der BDA zufolge deutlich die Probleme im NHS auf, da dort in den vergangenen zwei Jahren millionenfach Termine nicht vergeben werden konnten, was dann zu einem unvermeidlichen Rückstau geführt habe. 

Die Folgekosten knacken oft die 1.000-Pfund-MArke

Der Umfrage unter 1.000 Zahnärztinnen und Zahnärzten zufolge ist Auslandszahnersatz in der Patientenschaft mittlerweile die Regel (95 Prozent). 86 Prozent der Teilnehmenden gaben an, Fälle behandelt zu haben, bei denen nach einer Behandlung im Ausland Probleme auftraten. Dabei ging es vor allem um unzureichende Kronen- (87 Prozent) und Implantatversorgungen (85 Prozent) oder die PatientInnen kamen wegen akuter Schmerzen (76 Prozent) beziehungsweise, um eine schlecht durchgeführte Behandlung korrigieren zu lassen (72 Prozent).

Das führt nicht selten zu hohen Folgekosten für die Patienten, berichten die Zahnärzte: Zwei Drittel (65 Prozent) gaben an, dass es die Patienten mindestens 500 Pfund (umgerechnet etwa 580 Euro) gekostet habe, den an ihren Zähnen erlittenen Schaden zu reparieren, während mehr als die Hälfte (51 Prozent) anführte, dass es sogar mehr als 1.000 Pfund (1.160 Euro) gekostet habe. Einer von fünf nannte sogar Kosten von mehr als 5.000 Pfund (5.800 Euro). In knapp 40 Prozent der Fälle waren die Kosten der Heilbehandlung vom NHS gedeckt.

Zahntourismus ist nach Angaben der BDA damit ein wachsender Trend. Nach Aussagen der Zahnärzte ist die Motivation der Patienten fast immer der Wunsch, Geld zu sparen (98 Prozent). Fast ein Drittel (31 Prozent) der Befragten gab an, dass die Patienten sich aufgrund kürzerer Wartezeiten im Ausland behandeln ließen. Viele Zahnärzte betonten die Allgegenwart von Werbeaktionen in den sozialen Medien, die für das „perfekte Lächeln“ werben.

93 Prozent aller Zahnärzte äußerten Zweifel daran, dass die Nachsorge von Zahnarztterminen im Ausland problemlos möglich ist. 79 Prozent waren mit der Qualität der Auslandsversorgung unzufrieden, 77 Prozent berichteten von Schwierigkeiten der PatientInnen bei der Geltendmachung von Rechtsmitteln oder dem Einreichen einer Beschwerde.


Mehrere Zahnärzte erzählten außerdem von überpräparierten Zähnen, bei denen mehr Zahnhartsubstanz als nötig entfernt worden war, sowie von schlecht sitzenden Kronen und herausgefallenen Implantaten. Andere berichteten, dass in einigen Fällen die Versorgung mit Zahnersatz trotz einer unbehandelten Zahnfleischerkrankung durchgeführt wurde.

21 Kronen kaschieren eine Zahnfehlstellung

Ein Zahnarzt erwähnte einen Patienten, der aus dem Ausland mit 21 falsch platzierten Vollkronen zurückkam – der Versuch „einen eindeutig kieferorthopädischen Fall” zu korrigieren. In einem anderen Fall waren einem Patienten mit Zahnarztphobie unter Sedierung 14 Kronen gesetzt worden. Bei der Kontrolle zeigte sich dann, dass er an vier der überkronten Zähne endodontische Behandlungen benötigte.

In der Politik ist das Thema offenbar bekannt. Der NHS rät den Menschen, sorgfältig zu überlegen, bevor sie eine Behandlung im Ausland buchen und gab eine Liste mit Warnzeichen heraus, woran Patienten Geschäftemacher erkennen. Der BDA ist das nicht genug. Sie forderte die Behörden auf, proaktive Kampagnen durchzuführen, um den potenziellen Risiken von Dentaltourismus mehr Aufmerksamkeit zu geben.

„Die Zahnärzte sind sich bewusst, dass viele Menschen Schwierigkeiten haben, einen Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung zu erhalten, und vielleicht versucht sind, für eine preisgünstige Behandlung ins Ausland zu gehen“, sagte der BDA-Vorsitzende Eddie Crouch. Die Patienten sollten sich jedoch vor Lockangeboten hüten, denn die Realität sei selten so einfach, wie sie auf Instagram erscheint. „Wir raten dringend dazu, die Qualifikationen und die Erfahrung des Zahnarztes zu prüfen und sich zu vergewissern, dass er versichert ist – falls etwas schiefgeht.“

Verband errechnet „Zahninflation“ von 11 Prozent

Die British Dental Association (BDA) hat anhand offizieller Daten und eigener Umfragen errechnet, dass die Teuerungsrate für Zahnarztpraxen mit rund 11 Prozent deutlich über der Verbraucherpreisinflation liegt, die Behörden für Juni mit 8,2 Prozent beziffern. Dies zeige „den enormen Inflationsdruck, dem Zahnärzte jetzt ausgesetzt sind“, so die BDA. Laborrechnungen seien im Durchschnitt um 15 Prozent gestiegen, heißt es weiter, und die Stromrechnungen von fast einem Fünftel der Zahnärztinnen und Zahnärzte um mehr als 50 Prozent.

Die jüngst angekündigte Anhebung der Entlohnung im NHS werde „die grundlegenden Mängel des Systems nicht einmal ansatzweise beheben“, urteilte die BDA. Das Maßnahmenpaket hebt die Bepunktung verschiedener Behandlungen an, die durch sogenannte UDA-Werte (Units of Dental Activity) geregelt sind.

Nur etwa drei Prozent der Praxen werden davon profitieren, kontert der Zahnärzteverband und argumentiert, die Erhöhung werde ein Jahrzehnt brutaler Kürzungen nicht rückgängig machen. Am Ende könnten die Änderungen dazu führen, dass NHS-Praxen einen finanziellen Verlust erleiden könnten, insbesondere wenn sie Patienten mit einem hohen Versorgungsbedarf betreuen.

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