Kardiologie

Ausgedehnte Koronarentzündung bei instabiler Anginapectoris

Forscher aus Mailand und Rom haben mit aufwändigen Experimenten herausgefunden, dass ausgedehnte entzündliche Prozesse im Zentrum akuter Koronarereignisse stehen. Entzündliche Schäden des arteriellen Gefäßbettes im Rahmen der endothelialen Dysfunktion scheinen daher in stärkerem Maße als instabile Plaques einen Herzinfarkt zu verursachen. Damit wird verständlich, dass lokale, mechanische Maßnahmen an der Stenose wesentlich geringer zur Vorbeugung weiterer Komplikationen taugen als eine systemische Therapie, etwa mit einem Statin.

Beobachtungen an Patienten und im Tierexperiment haben schon vor Jahren die Überzeugung genährt, dass bereits sehr früh entzündliche Prozesse an den Gefäßwänden zur Plaquebildung (Abb. 1) und Stenosierung und damit schließlich zu thrombotischen Komplikationen, wie Herzinfarkt, Schlaganfall oderperipherer Verschlusskrankheit, führen. Durch lange prospektive Untersuchungen wie die Framhingham-Studie war auch klar geworden, dass die Entzündung einer solchen Komplikation – oft schon viele Jahre – vorausgeht und nicht die Folge des akuten Ereignisses ist.

Entzündung erfasst auch Koronarien ohne Plaques

Als bahnbrechend bezeichnet John F. Keaney von der Kardiologischen Universitätsklinik Boston (USA) den im jüngsten Heft des New England Journal of Medicine vorgelegten Originalbeitrag von Antonino Buffon und seinen Kollegen aus Mailand (Klinik San Raffaele) und Rom (Katholische Universität). Zur Klärung, ob entzündliche Prozesse nur am Ort „kritischer“ Plaques ablaufen oder die Koronarien überhaupt erfassen, entnahmen die Forscher insgesamt 65 Herzpatientenaus verschiedenen Gefäßen Blutproben. Die Gefäße (Aorta, Vena femoralis und große Herzvene) führenunterschiedlich Blut aus dem linken und rechten Zweig der Herzkranzgefäße: Die Aorta kann als große Schlagader sozusagenals Pool des frisch vom Herzen geförderten Blutes gelten, die große Herzvene hingegen leitet das Blut ab, das aus den Kranzgefäßen des linken Ventrikels stammt. Blut aus den rechten Herzkranzgefäßen wird hingegen durch andere Venen abgeleitet. Die Vena femoralis hingegen führt Blut aus der Oberschenkelmuskulatur zum Herzen zurück. Insofern erlaubt die große Herzvene nur Rückschlüsse über Prozesse in den linken Kranzgefäßen, nicht in den rechten Koronarien. Aorta und Vena femoralis dienen quasi als Kontrolle beziehungsweise sagen etwas über die systemische Verteilung von Markern im Körper allgemein aus.

Als spezifischer,lokaler Marker für einen entzündlichen Prozess verwendeten die Autoren die Aktivierung von Leukozyten, die durch die jeweiligen Gefäße strömen. Während des Aktivierungsvorgangs verbrauchen sie ein spezifisches Enzym, die Myeloperoxidase.Speziell neutrophile Leukozyten benötigen das Enzym zur Aktivierung. Ein Abfall der Enzymspiegel während der Passage durch ein Gefäß spricht also für einen entzündlichen Vorgang in diesem Bereich. Die Messung ist hoch spezifisch.

Als systemischer Marker für die Entzündung wurde das C-reaktive Protein bestimmt. Es weist generell auf (alle) Entzündungsprozesse im Organismus hin.

Die Forscher teilten ihre Probanden in fünf Gruppen auf:

1. Patienten mit instabiler Angina pectoris, deren Krankheitsprozess durch eine („kritische“) Stenose in der linken Kranzarterie verursacht wird (n = 24),2. Patienten mit instabiler Angina pectoris, derenkritischeStenose inderrechten Kranzarterie lokalisiert ist (n = 9),3. Patienten mitchronischer stabiler Angina pectoris (n = 13),4. Patienten mit(spastischer)Prinzmetalangina und rekurrenter Ischämie (n = 13) sowie5. Kontrollpatienten, die sich zwar (zum Beispiel wegen eines Klappenfehlers)einer Koronarangiographie unterziehen mussten, aber weder symptomatisch noch nach dem angiographischen Bild Koronarveränderungen zeigten.Abbildung 2 zeigt nun die Ergebnisse der Enzymmessungen in denexperimentell punktierten Gefäßen für die fünf Patientengruppen. Wie erwartet finden sich nur bei den Patienten mit instabiler Angina pectoris, diealso einen akuten entzündlichen Prozessinihren Koronarien durchlaufen, Abfälle beim Enzym Myeloperoxidase. Diese Abfälle inden Enzymspiegelnsind umso deutlicher ausgeprägt, je näher das untersuchte Gefäß dem Ortder Entzündung ist, also stärker in der großen Herzvene als in der Aorta und wiederum als in der Vena femoralis. Diese Befunde hatte man so erwartet.

Unerwartet ist jedoch, dass auch Patienten, deren kritische Stenose im rechten Kranzgefäß lokalisiert ist, Enzymabfälle inder großen Herzvene zeigen. Diese Vene leitet ja die rechten Koronarien nicht ab, sondern ist selektiv für den Blutabfluss aus den linken Kranzgefäßen zuständig. Wenn die Entzündung vornehmlich am Ort der kritischen Stenoselokalisiert wäre, dürfte bei diesen Patienten in der großen Herzvene kein merklicher Enzymabfallmessbar sein. Der Abfall ist jedoch, wie die Abbildung zeigt, gleich groß.

Diese Beobachtung legt nach Auffassung der Autoren nahe, dass nicht der akute Prozess am rupturierten Plaque die vorbeifließenden neutrophilen Leukozyten aktiviert, sondern ein verbreiteter Entzündungsprozess, der auch die nicht direkt von akuter Plaques befallenen Kranzgefäße erfasst.

Plädoyer für systemische Intervention

In der gleichen Ausgabe des Journals wird in einem Editorial von zwei führenden Bostoner Kardiologen, Prof. John F. Keaney und Prof. Joseph A. Vita, auf einschneidende Konsequenzen dieser Arbeit hingewiesen.

Vor einer breiteren Umsetzung dieser Konsequenzen sind allerdings weitere Studien zur Bestätigung erforderlich:

• Die Suche nach dem „vulnerablen Plaque“, der bei Patienten mit instabiler Angina pectoris ein akutes Ereignis wie Herzinfarkt auslösen kann, muss neu überdacht werden. Dem Infarkt könnte nämlich, was die neuen Experimente nahe legen, nicht ein einzelner instabiler Plaque, sondern eine ausgedehnte Entzündung der Koronarien vorausgehen.• Die bisherigen akuten kardiologischen Interventionen imHerzkatheterlabor, wie Koronardilatation oder Stent-Implantation, sind bislang zur Reinfarktprophylaxe wenig erfolgreich. Im Licht der neuen pathophysiologischen Hypothesen betrachtet, ist dies nicht verwunderlich. Vielmehr ist von hier aus zu postulieren, was auch die klinische Erfahrung lehrt: Nur eine geschickte medikamentös-systemische Intervention vermag das Risiko eines Reinfarktes oder eines anderen thromboembolischen Ereignisses wirkungsvoll zu verringern. Die beiden Kardiologen erinnern ihre Kollegen an die frustrierenden Langzeitergebnisse mit mechanischen Interventionen an den Koronarien. Sie sind wesentlich weniger wirkungsvoll als zum Beispiel eine konsequente Lipidsenkung, sei esdurch Diät oder etwa Statine (zum Beispiel Sortis®). Gleiches gilt auch für Thrombozytenaggregationshemmer wie Acetylsalicylsäure(ASS, zum Beispiel Aspirin®) oder Clopidogrel (zum Beispiel Iscover®, Plavix®), die seit Jahren erfolgreich zur Prophylaxe eingesetzt werden.

Kommentar

Die hier besprochene Arbeit ist insofern revolutionär, als eines der gängigen Dogmen der Schulmedizin und vor allem der Kardio logie dadurch ins Wanken gerät: Die grobmechanische Betrachtungdes menschlichen Organismus und vor allem des Herzens als eine Art komplexe Pumpe. Speziell das auf diesem Paradigma fußende Vorgehen der interventionellen Kardiologie im Katheterlabor erinnert oftmals mehr an die Arbeit in einer feinmechanisch arbeitenden Werkstatt als an ärztliches Tun. Hier gilt es umzudenken.Auch die Kardiologen werden lernen müssen, dass Patientenführung und Medikation erfolgreicher sein können als die Arbeit mit Katheter und Stents. Das gilt nicht – und diese Einschränkung ist wichtig– für oftmals lebensrettende Rekanalisierungseingriffe im akuten Ereignis.

Zudem ist die Reinfarktprophylaxe mit Diät und Statinen – als wirksamsten Lipidsenkern – noch immer wesentlich kostengünstiger als die periodische Einweisung ins Katheterlabor.

Verwunderlich bleibt,dass die entzündlichen Prozesse, die akuten Koronarereignissen offensichtlich zu Grunde liegen, nicht auf die bekannten Antibiotika ansprechen. Jedenfalls haben Versuche, die endotheliale Dysfunktion durch Therapie der sporadisch in den Gefäßen aufgefundenen Chlamydien zu bekämpfen, bislang nicht gefruchtet.

Dr. Till U. Keil

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