Die schönsten Stücke einer Privatsammlung

Aufgeschlossen – eine kleine Geschichte des Zahnschlüssels

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Heftarchiv Gesellschaft
pr
Extraktionsinstrumente können aufgeteilt werden in Pelikane, Zangen, Schrauben, Hebel und Zahnschlüssel. Anhand ausgesuchter Exemplare einer Privatsammlung in Biedenkopf-Wallau lässt sich die Entwicklung des Zahnschlüssels gut nachvollziehen. Der Sammler hat für die zm seine Vitrinen aufgeschlossen.

Die Zahnheilkunde war bis zum 16. und 17. Jahrhundert noch Bestandteil der Chirurgie und „Wund-Artzney“. Zahnheilkundliche Literatur war sehr selten. Aus diesem Grund wurden zahnmedizinische Instrumente unter anderen ausschließlich in chirurgischen Werken abgebildet (Ryff, Pare, Martinez, Scultetus, Garengeot, und andere Autoren).

Der erste, der das ganze zahnheilkundliche Wissen seiner Zeit öffentlich machte, war der berühmte französische Wissenschaftler Pierre Fauchard (in: Le Chirurgien Dentiste, 1728, 1746). Er erwähnt den Zahnschlüssel aber weder in der ersten Edition von 1728 noch in der zweiten Auflage von 1746. Man kann deshalb davon ausgehen, dass ihm dieses Extraktionsinstrument entweder unbekannt war oder dass er es zumindest nicht für so wichtig angesehen hatte. Zum ersten Mal erwähnt wurde der Zahnschlüssel 1742 in Alexander Munroe’s Artikel „A Describtion of Surgical Instruments“.

Für den Zahnschlüssel gab es dort verschiedene Bezeichnungen: Clef de Garengeot (obwohl er ihn weder erwähnt noch abgebildet hat), Fothergill-Schlüssel, Französischer Schlüssel, Englischer Schlüssel, Deutscher Schlüssel.

Die ersten Exemplare waren aus Eisen und hatten einen geraden Schaft. An seinem Ende befand sich die Kralle oder Klaue, anfangs mit zwei Spitzen, die mittels eines Metallstifts befestigt war. Die ersten Griffe waren ringförmig, und so sahen sie einem Türschlüssel jener Zeit sehr ähnlich. Es gibt auch andere Interpretationen für den Begriff „Schlüssel“. Nessel (1840) vermutet den gemeinsamen Bart, Bücking (1782) die „schlüsselförmige Application“, das heißt, das schlüsselförmige Herausdrehen der Zähne, als Grund für die Namengebung.

Später wurden die Griffe kunstvoll aus Elfenbein, Perlmutt, Horn und verschiedenen Hölzern gefertigt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts avancierte der Zahnschlüssel zum populärsten Extraktionsinstrument. Er kam in verschiedenen Größen und Formen vor, auch kleinere Größen für die Behandlung von Kindern waren nicht ungewöhnlich.

C.F. Maury schildert in seinem „Vollständigen Handbuch der Zahnarzneikunde“ (deutsche Ausgabe 1840) drastisch den Ablauf einer damaligen Extraktion: „Wenn ein Zahn mit dem nach dem alten Modelle gemachten Garengeotischen Schlüssel ausgezogen werden soll, so legt der Operateur, nachdem er den Kranken in eine ihm am zweckmäßigsten scheinende Lage gebracht hat, den Haken des Instruments unter den Hals des Zahns und soweit vorwärts an der Alveole, als das möglich ist; darauf faßt er den Zahn so, daß die ganze Krone in der Krümmung des Hakens ruht und der Bart des Schlüssels auf der entgegengesetzten Seite ungefähr mit dem obersten äußeren Theile der Wurzel auf gleicher Höhe sich befindet.

Der äußerste Theil des Bartes muß dabei immer weit niedriger liegen, als der Haken; auf diese Weise findet der Widerstand auf der Krone des Zahns statt, der Stützpunkt ist auf der entgegengesetzten Seite der Alveole, und die Gewalt ruht dann im Griffe des Instruments, wodurch das Instrument zu einem Hebel erster Art wird. Wenn nun alle diese Vorkehrungen getroffen sind, und zugleich unter dem Bart, da wo man den Stützpunkt nimmt, ein Stück Leder von ziemlicher Dicke gelegt hat, so gibt man wirft den Zahn entweder von Außen nach Innen, oder von Innen nach Außen, wie es nun die Umstände und die Verfassung des Hakens es mit sich bringen.“

Ständig verbessert

150 Jahre lang gehörte der Zahnschlüssel zum Standard-Instrumentarium eines jeden Zahnbehandlers, und er wurde in dieser Zeit häufig verändert und verbessert. Die zwei wichtigsten Veränderungen waren die Einführung des gekrümmten Schaftes beziehungsweise die Doppelkrümmung.

Um 1765 führte Julius Leber die leichte Krümmung des Schaftes ein, zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Doppelkrümmung obligat (Clark, Fox). Dadurch wurde eine Belastung benachbarter Zähne erheblich reduziert.

Kralle rotiert

Benjamin Bell führte 1796 einen Schlüssel ein, bei dem die Kralle im Widerlager rotiert und mittels einer Feder in verschieden Positionen arretiert werden konnte. Bewegliche Endplatten, zusätzliches Widerlager (sehr nützlich bei Abszessen), konkaves Widerlager, Modifikationen der Kralle, Doppel- beziehungsweise Drei-Krallen-Typ, zusammenlegbarer Schlüssel und viele andere Variationen wurden von Praktikern in verschiedenen Ländern, manchmal auch zeitgleich parallel, entwickelt. Die Kralle selbst hatte viele verschiedene Formen und Größen, um für den zu extrahierenden Zahn möglichst passend zu sein.

War die Kralle bei den frühen Schlüsseln noch mit einem Metallstift befestigt, so geschah dies hinterher mit einer Schraube. Mittels Schraubenzieher, der sich häufig im Griff befand, konnte die jeweils beste Kralle befestigt werden. Um den Druck auf das Zahnfleisch und den Kieferknochen zu mildern, wurde das Widerlager mit Leder, Leinen oder Stoff umwickelt. Auch Zeitungspapier, Servietten, Gummi oder ein Handtuch konnten diesem Zweck dienlich sein, „nur sollte man natürlicher Weise stets für ihre Reinlichkeit sorgen.“ (Linderer).

Ideenfülle

Selten war ein Instrument der Zahnbehandlung Gegenstand einer solchen Fülle von Ideen. Doch obwohl der „Garengeotische Schlüssel das sinnreichste aller Instrumente ist, welche zum Zahnziehen erdacht worden sind„ (Maury), müssen die durchgeführten Operationen häufig unvollständig gewesen sein. So wie Linderer rieten viele Autoren des 19. Jahrhunderts bei jeder Operation mit dem Schlüssel auch eine Krummzange „ganz nahe bei der Hand zu haben„, um mit diesem die Operation zu vollenden.

Jeder bezeichnete seinen Schlüssel als den „Universellen Schlüssel für den täglichen Gebrauch“, trotzdem ging die Entwicklung immer weiter. Es gab auch ab zirka 1840 so genannte Übergangsmodelle. Sie folgten zwar noch dem allgemeinen Muster des Schlüssels, wurden aber mit ähnlicher Kraftanwendung wie Zangen benutzt.

Die Arbeiten von Sir John Tomes (1815-1895), der den Typus der Zahnzange entwickelte, der auch heute noch benutzt wird, machten den Zahnschlüssel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts obsolet. Er wurde jedoch in manchen Dental-Katalogen bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts aufgelistet, und wo ein Angebot bestand, war auch sicherlich eine entsprechende Nachfrage.

Dr. Wolfgang BuschBahnhofstr. 20 a35216 Biedenkopf-Wallau

Der Autor und Sammler ist Mitglied im Arbeitskreis Geschichte der Zahnheilkunde. Mehr zur Sammlung unter:www.zene-artzney.de

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