Eine Befunddokumentation in Bildern

Die Histologie der Parodontalerkrankungen

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Der Hamburger Oralpathologe war jahrzehntelang Anlaufstelle und wichtiger Kooperationspartner von Wissenschaftlern, die sich mit der Grundlagenforschung der zahnmedizinischen Disziplinen beschäftigten. Mit seiner Hilfe und seinem Kennerblick der Mikrostrukturen der oralen Gewebe haben viele Forschungsschwerpunkte wichtige Fortschritte für das Fach Zahnmedizin erarbeiten können. Hier ist die Histologie der Parodontalerkrankungen als Bildergeschichte dargestellt. Sicherlich ein besonderes Highlight für manchen Praktiker. Da kann die Mikroskopie zum heimlichen Hobby werden.

Der Zahn ist das einzige Organ des menschlichen Körpers, das mit der Umwelt und dem Körperinneren in Verbindung steht (Abbildung 1). Damit über den Zahn keine krankmachenden Prozesse in das Körperinnere vordringen können, hat die Natur drei verschiedene Abwehrschranken eingerichtet:

• die Gingiva (Zahnfleisch) als mechanischen Verschluss des Parodonts,

• das Gefäßsystem in der Gingiva und dem Parodont und schließlich

• den Alveolarknochen.

Die von der Umwelt in der Mundhöhle ausgehenden krankmachenden Prozesse werden vorwiegend durch Bakterien und ihre Toxine ausgelöst. Sie können das Körperinnere auf zwei Wegen erreichen, am häufigsten über das Parodont und selten über die Pulpa nach Zerstörung der Zahnhartsubstanz und des Pulpagewebes.

Zahnfleisch (Gingiva) als mechanische Barriere

Das Zahnfleisch bildet eine mechanische Barriere gegen das Eindringen von Krankheitserregern, insbesondere von Bakterien. Es umgibt die Zahnhalsregion oberhalb der Schmelz-Zementgrenze kragenförmig (Abbildung 2) Es besteht aus dem Zahnfleischsaum (freie Gingiva), der in das Mundhöhlenepithel übergeht. Am Zahn geht das Mundhöhlenepithel der freien Gingiva in den Sulkus, die Gingivatasche oder die Parodontaltasche über. Das Sulkus- oder Taschenepithel setzt sich in das Saumepithel fort.

Epithelansatz

Die Anheftung des Saumepithels am Zahn ist nur ultrastrukturell erfassbar und besteht in Hemidesmosomen an einer der Zahnoberfläche aufgelagerten Basalmembran. Sie ist ein Produkt der Epithelzellen und wird auch auf Zahnzement und auf freiliegendem Dentin gebildet. Die interne Basalmembran des äußeren Saumepithels geht in die externe Basalmembran über und trennt hier das Epithel vom gingivalen Bindegewebe. Die Verbindung von externer und interner Basalmembran liegt beim jugendlichen gesunden Zahnhalteapparat oberhalb der Schmelz-Zementgrenze (Abbildung 3).

Schmelzoberhäutchen als Verbindungsglied

Gelegentlich sind zwischen Epithel und Zahnkrone zwei andere membranartige Strukturelemente zwischengelagert, die nach Untersuchungen von Schroeder und Listgarten (1971) dem azellulär-afibrillären Zement und der aus Protein und Mukopolysacchariden bestehenden Cutikula dentis entsprechen.

Nach den Angaben in der Literatur können an einzelnen Zähnen des Ober- und Unterkiefers drei unterschiedliche membranartige Auflagerungen außerhalb des Epithelansatzes gefunden werden, die als primäres, sekundäres und tertiäres Schmelzoberhäutchen (SOH) beschrieben werden (Schumacher und Schmidt 1976). Das primäre SOH soll eine 0,2 bis ein Mikrometer dicke Schicht sein, die präeruptiv von den Ameloblasten gebildet wird. Dieses SOH wird nach seinem ersten Beschreiber als Nasmythscher Membran bezeichnet. Das sekundäre SOH hat eine Dicke von zwei bis zehn Mikrometern und soll beim Zahndurchbruch von den Epithelzellen gebildet werden (Gottlieb 1921).

Das tertiäre SOH ist exogener Herkunft und aus Proteinen des Speichels, Bakterien und Speiseresten aufgebaut. Bei den eigenen Untersuchungen von nicht entkalktem Untersuchungsmaterial menschlicher Zähne des Ober- und Unterkiefers konnte kein regelhaft ausgebildetes SOH gefunden werden. Sporadisch waren zwischen reduziertem ameloblastischen Epithel, unter dem äußeren Saumepithel oder an der freien Schmelzoberfläche verschiedene Schmelzauflagerungen nur bei einzelnen Zähnen der Ober- und Unterkiefer entwickelt. Sie können die Kronenoberfläche ganz (Abbil dung 4) oder nur teilweise überkleiden (Abbildung 5) und bestehen aus bandförmigen, hyalinen in der Toluidinblaufärbung negativen SOH.

Ein zweites nur inselförmig ausgebildetes Sekretionsprodukt kann dem hyalinen SOH (Abbildung 6) oder dem Schmelz direkt aufgelagert sein (Abbildung 7).

Ein weiteres SOH ist in der Toluidinblaufärbung positiv; es kann auf der freien Schmelzoberfläche oder unter dem proliferierten Taschenepithel der Zahnwurzel oder auf abakteriellem Zahnstein gelegen sein (Abbildung 8,9).

Kein SOH, auch nicht exogener Natur, war unter der Plaque des Schmelzes oder der Zahnwurzel sichtbar (Abbildungen 10 und 11).

Gefäßsystem der Gingiva und des Parodontium

Für die Begrenzung einer Entzündung und die Abwehr der Entzündungsursache ist die Durchblutungsgröße ein maßgebender Faktor, da über das Blut die humorale und zelluläre Abwehr erfolgt. Bei der Entzündung handelt es sich um einen Abwehrvorgang, der in einer komplexen Reaktion der Blutgefäße, bestimmter Blutplasmabestandteile und Blutzellen sowie zellulärer und struktureller Bestandteile des Bindegewebes auf einer lokalen Gewebeschädigung besteht. Die gingivalen und parodontalen Gewebe sind stark vaskularisiert. Unter dem inneren Sulkusepithel befindet sich ein Gefäßplexus, der vorwiegend aus postkapillären Venolen besteht. Unterhalb des oralen Gingivaepithels besteht eine schlingenoder schlaufenartige Endstrombahn. Das Desmodont ist ebenfalls reichlich mit Gefäßen versorgt.

Gingivitis: Sulkus-, Pseudound Zahnfleischtaschen

Durch die Plaque (Abbildung 12), die nach apikal wächst (Abbildung 13) kommt es durch die Bakterien und ihre Toxine zur Auslösung einer Entzündung, deren Verlauf und Schweregrad durch die Art und Pathogenität der Erreger und die Abwehrkraft des Wirtsorganismus bestimmt wird.

Page und Schroeder (1976) unterscheiden in der Pathogenese der Gingivitis verschiedene Stadien:

• Initiale Läsion/frühe Läsion

• Etablierte Läsion

• Fortgeschrittene Läsion, die den Übergang zur Parodontitis darstellt.

Die initiale/frühe Gingivitis besteht nur wenige Tage. Sie kann ausheilen oder in die etablierte Gingivitis übergehen. Die etablierte Gingivitis des Erwachsenen kann über Jahre, in einzelnen Fällen auch über Jahrzehnte bestehen bleiben. Der Übergang von der Gingivitis zur Parodontitis wird mit der Veränderung des pathogenen Potentials der Plaque erklärt.

Morphologisch bestehen in der Phase der initialen/frühen Gingivitis erste Veränderungen im Saumepithel mit einer Epithelproliferation (Abbildung 12). Die Blutgefäße sind stark hyperämisch, Serumproteine führen zur Epithelauflockerung und Anschoppung in der Gingivatasche beziehungsweise Pseudotasche (Abbildung 14). Im subepithelialen Bindegewebe besteht ein dichtes Entzündungsinfiltrat vorwiegend aus Lymphozyten (Abbildung 15).

Die Sulkus- und Gingivataschenbildung erfolgt im Saumepithel durch die Auflösung von Interzellularbrücken (Abbildungen 16, 17, 18, 19). Die Haftung des Epithels am Schmelz ist stabiler als die interzelluläre Haftung. Dieser Befund steht im Widerspruch zu den Untersuchungsergebnissen von Müller- Glauser und Schroeder (1982), die eine Lösung des Saumepithels vom Schmelz ohne Attachmentverlust bei der gingivalen Tasche gefunden haben.

Parodontitis

Ein der gingivalen Tasche vergleichbares histologisches Bild liegt nur am Boden der Parodontaltasche vor. Die parodontale Tasche weist im Gegensatz zur gingivalen Tasche einen Attachmentverlust auf. Der größere Teil der parodontalen Tasche wird vom Wurzelzement und Taschenepithel begrenzt, nur am Boden der Tasche besteht, wie im Sulkus und der Gingivatasche, ein reißverschlussartiger Epitheleinriss, so dass der Taschenboden allseits von Epithel umgeben ist (Abbildungen 20, 21).

Die chronische Parodontitis kann sich klinisch unter verschiedenen Verlaufsformen präsentieren. Pathohistologisch besteht eine apikale Proliferation des Taschenepithels mit Bildung einer echten Tasche unterhalb der Schmelz-Zementgrenze. Die Bakterien liegen auf der Wurzeloberfläche und in der Tasche als so genannte „Swimmers“, das Taschenepithel kann ulzeriert und bakteriell besiedelt sein (Abbildungen 22, 23). Die parodontalen Gewebsveränderungen bei der Entzündung bestehen in einem wechselnden Entzündungsinfiltrat von Lymphozyten zu Plasmazellen, der Bildung von Granulationsgewebe mit Zerstörung typischer Strukturen des Zahnhalteapparates (Abbildung 24), der Proliferation des Taschenepithels vorwiegend in vertikale Richtung (Abbildungen 25, 26) und dem Schwund des Alveolarknochens in horizontaler oder vertikaler Richtung .

Der von der Plaque ausgehende Destruktionsprozess misst meistens zwischen 1,5 bis 2,5 Millimeter (Abbildung 27). Die Breite des interdentalen Septums bestimmt die Art der Knochenresorption. Bei schmalen Septen besteht ein horizontaler Knochenabbau (Abbildung 28), bei Septen mittlerer Breite eine horizontale Resorption mit beginnendem vertikalem Abbau (Abbildung 29), bei breiten interdentalen Septen besteht ein vertikaler Abbau mit Ausbildung einer Knochentasche. Der Knochenschwund verläuft am Alveolarknochen der einzelnen Zahnflächen unterschiedlich. Im vorliegenden Beispiel eines einwurzeligen Zahnes ist die faziale Alveolarwand weitgehend resorbiert (Abbildungen 30, 31). Die transdentalen Fasern werden in jedem Stadium des Zahnfachabbaus unmittelbar oberhalb des verbliebenen Alveolarknochens neu gebildet (Abbildung 26).

Alveolarknochen zur Entzündungsbegrenzung

Die Desmodontalfasern des Zahnhalteapparates nehmen die Druckkräfte vom Zahn auf und geben sie als Zugkräfte auf den Alveolarknochen weiter. Der Alveolarknochen dient aber im Gesamtsystem Mundhöhle und Körperinneres auch zur Demarkation einer Entzündung, wie hier am Beispiel der Wurzelspitze eines Prämolaren im Oberkiefer sichtbar ist (Abbildung 32).

Im Rahmen der körpereigenen Abwehr sind mehrkernige Riesenzellen zu erwähnen, die im Abschnitt des Taschenepithels extrakorporal auf der Zahnwurzel sichtbar sind (Abbildung 33).

Prof. Dr. mult. Dr. med. h.c. Karl Donath

ehem. Direktor der Abteilung Oralpathologie

der Universität Hamburg

Wiehenstrasse 73

32289 Rödinghausen

E-Mail:

karldonath@t-online.de

Vortrag anlässlich der 26. Schwarzwaldtagung der südbadischen Zahnärzte am 27./28. April 2001

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