Deutsche Hochschulen in der Finanzkrise

Forschung und Lehre in Gefahr

Während der Staat sich aus der Forschungsförderung zurückzieht, hat die Privatwirtschaft einen bedeutenden Rang in der Finanzierung der deutschen Wissenschaft eingenommen. Die Unabhängigkeit der Forschung steht auf dem Spiel.

„Im internationalen Vergleich sind deutsche Hochschulen nicht mehr konkurrenzfähig, weil der Staat seit Jahren zu wenig Mittel zur Verfügung stellt.“ Mit dieser Einschätzung bringt Prof. Dr. Thomas Krieg, Prorektor an der Kölner Universität, die Situation aus seiner Sicht auf den Punkt: Die Deutschen Hochschulen stecken in der Krise und der Staat stiehlt sich aus der Verantwortung.

Dünne Personaldecke

„Angesichts der knappen Mittel und der dünnen Personaldecke ist es überraschend, wie gut die Ergebnisse im Forschungsbereich immer noch sind“, wundert sich der Kölner Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs.

Augen zu und durch – es wird schon gutgehen. Nach dieser Devise scheint der Staat zu handeln, denn die öffentliche Finanzierung von Forschung und Entwicklung stagniert schon seit Jahren, ist sogar leicht rückläufig. „Unsere Gesellschaft lebt von Bildung und Forschung. Es geht um Innovationen, neue Technologien und um die Zukunft unseres Landes. Für die Bundesregierung haben Bildung und Forschung höchste Priorität; die Investitionen werden seit dem Regierungswechsel kontinuierlich erhöht“, brüstet sich die Bundes-Bildungsministerin Edelgard Buhlmann. Und tatsächlich: Zwischen 1998 und 2000 stiegen die Ausgaben minimal.

Allerdings: Gab der Bund 1991 noch knapp 8,7 Milliarden Euro für die Wissenschaft, waren es im Jahr 2000 nur noch 8,4 Milliarden Euro. Schaut man sich die Ausgaben für Bildung im Verhältnis zum öffentlichen Gesamthaushalt an, wird das tatsächliche Ausmaß vollends deutlich: In den letzten 30 Jahren sank der Anteil von 3,9 Prozent auf 2,7 Prozent.

Die Drittmittelfinanzierung hingegen ist in den letzten zehn Jahren um fast 50 Prozent gestiegen – zunehmend springt die Wirtschaft in die Bresche und finanziert die Forschung an deutschen Hochschulen. Im Jahr 1999 lag der Anteil der Drittmittelfinanzierung nach Angaben des Bildungsministeriums bereits bundesweit bei 32,7 Prozent. Tendenz weiter steigend.

Immer stärker macht der Staat seine Finanzierung abhängig vom erfolgreichen Einwerben privater Drittmittel durch die Universitäten. So sind die Hochschulen gezwungen, sich in steigendem Umfang an die Privatwirtschaft zu wenden. Es hat den Anschein, als könne nur der Staat bei diesem Spiel gewinnen: Sind die Wissenschaftler erfolgreiche Drittmittelwerber, beweisen sie damit, dass es auch ohne öffentliche Gelder geht. Sind sie es nicht, wird der Forschungs-Etat gekürzt.

Permanenter Mangel

„Forschung ohne Drittmittel wäre heute gar nicht mehr möglich. In den letzten 30 Jahren hat sich die Finanzierungsgrundlage immer mehr verschoben: Weg vom Staat, hin zur Drittmittelfinanzierung“, resümiert der Kölner Prorektor Krieg. Für ihn schafft diese Entwicklung vor allem die Gefahr eines Qualitätsverlustes durch permanente Mangelfinanzierung. Doch dass die Wissenschaft Gefahr läuft, käuflich zu werden, hält Krieg für unwahrscheinlich: „Durch die Veröffentlichungsfreiheit, Forschungs-Kommissionen an der Hochschule und Gutachter bei den wissenschaftlichen Fachzeitungen wird gewährleistet, dass Forschungsergebnisse nicht gefälscht oder vertuscht werden.“

Ein kleiner Ausflug in die Realität: Trotz Milliarden-Summen, die aus der Privatwirtschaft in die Forschung gepumpt werden, gibt es kaum Kontrollorgane oder Einschränkungen für die Drittmittelforschung. Der wesentliche Paragraph 25 des Hochschulrahmengesetztes lässt vieles offen. Dort heißt es: „Ein Hochschulmitglied ist berechtigt, ein Forschungsvorhaben ... in der Hochschule durchzuführen, wenn die Erfüllung anderer Aufgaben der Hochschule sowie die Rechte und Pflichten anderer Personen dadurch nicht beeinträchtigt werden ... Die Forschungsergebnisse sollen in der Regel in absehbarer Zeit veröffentlicht werden.“ Weiterhin regelt der Paragraph Mittel-Verwendung und Personal-Hoheit der Universität. Kontrolle, finanzielle Obergrenzen oder anderweitige Einschränkungen – Fehlanzeige.

Die Gefahr einer zunehmenden Abhängigkeit der freien Wissenschaft von der privaten Wirtschaft hat der Deutsche Hochschulverband (DHV) längst erkannt. Dem Verband liegen Hinweise vor, dass Drittmittelgeber versuchen, in unzulässiger Weise wissenschaftliche Ergebnisse und Veröffentlichungen zu verfälschen. In der jüngsten Vergangenheit wurden immer häufiger Fälle bekannt, in denen die Auftraggeber Einfluss auf die Veröffentlichung nahmen: Das internationale Komitee der Medizin-Journal Herausgeber etwa sprach von geschönten pharmazeutischen Studien, bei denen die Forscher am Ende nur noch begrenzten Zugang zu den Daten und deren Auswertung hatten. Ein weiterer Fall, der Schlagzeilen machte: Die Firma Bayer versuchte bei einer Forschungs-Anfrage durch den irischen Professor Martin Cormican vom University College Hospital von vorneherein, sich das Recht zur Veröffentlichung vertraglich zu sichern. Cormican informierte die entsprechende EU-Kommission über diesen Eingriff in die wissenschaftliche Veröffentlichungsfreiheit und machte den Fall publik.

Wissenschaft in der Zwickmühle

„Die Unabhängigkeit der Forschung steht immer mehr auf dem Spiel“, betont Prof. Hartmut Schiedermair, Präsident des DHV, der Berufsvertretung der deutschen Universitätsprofessoren. Der Staat habe die Wissenschaft in eine Zwangslage gebracht. Durch den fortschreitenden staatlichen Rückzug aus der Finanzierung hingen die Hochschulen immer stärker am Finanz-Tropf der Wirtschaft. In den USA sei diese Entwicklung bereits seit Jahren zu beobachten. „Es ist ein Skandal, dass die Unterfinanzierung der Hochschulen seit Jahren zum Normalzustand erklärt wird. Der Staat muss sich endlich seiner Verantwortung stellen“, poltert der Völkerrechtler Schiedermair. Denn eine immer stärker wachsende Abhängigkeit von Drittmitteln bringt die Wissenschaftler in die Zwickmühle und öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Wenn von der Zuwendung aus der Wirtschaft immer mehr Arbeitsplätze abhängen, steht ein Projektleiter unter enormem Druck, kann nicht mehr frei und objektiv entscheiden.

„Es ist eine Frage des beruflichen Ethos jedes Einzelnen, doch ich vermute, dass hier die Dunkelziffer groß ist“, glaubt der DHVPräsident. Schließlich hätten die Auftraggeber – die viel Geld für eine wissenschaftliche Studie ausgeben – logischerweise ein Interesse an einer für sie positiven Veröffentlichung – oder bei negativen Ergebnissen an der Vertuschung.

Doch es geht dem Hochschulverband nicht darum, in Zukunft auf die Drittmittelforschung zu verzichten – im Gegenteil: „Wir halten die Auftragsforschung für unabdingbar notwendig.“ In vielen Bereichen sei die privatfinanzierte Wissenschaft nämlich sehr sinnvoll. Bund und Länder seien aber aufgefordert, durch eine langfristig angemessene und verlässliche Finanzierung der Universitäten die Gefahr einer zunehmenden direkten oder indirekten Abhängigkeit von privaten Drittmittelgebern zu verhindern. „Eine stärkere Sensibilisierung für die Thematik ist dringend nötig“, betont Schiedermair.

Eine Möglichkeit, Missbrauch zu verhindern, sieht der DHV in der Offenlegung der Drittmittelfinanzierung. Daher empfiehlt er die Publikation der Fördersituation nach dem Muster des amerikanischen „Center for Science in the Public Interest“. Eine freiwillige zentrale Datenbank könnte den Empfang von privaten Drittmitteln jedes einzelnen Wissenschaftlers ebenso dokumentieren wie die gesamten finanziellen Aufwendungen der Drittmittelgeber für die Forschung in allen Bereichen. „Es ginge dabei um mehr Transparenz, nicht um Überwachung“, betont Schiedermair.

Geldnot an Bibliotheken

Die chronische Unterfinanzierung der deutschen Universitäten bedroht aber nicht nur die Freiheit der Forschung. Auch in der Lehre macht sich die Geldnot sehr deutlich bemerkbar. Die Bibliotheken in nahezu allen Hochschulen sind in miserablem Zustand – veraltet und unvollständig, oft fehlen sogar die einschlägigen Standardwerke. Erst vor wenigen Wochen berichtete die Universitätsbibliothek Potsdam, sie stehe „vor dem Aus“. Ab 2003 planen Bund und Länder, die bisherige Büchergrundfinanzierung der neuen Länder einzustellen. Damit würde „der Etat der Universitätsbibliotheken auf ein Drittel des bisherigen Volumens“ schrumpfen, teilte der Rektor der Universität, Prof. Dr. Wolfgang Lohschelder, mit. Durch diese Mittelkürzung würden sich die Studienzeiten weiter verlängern und Forschende sowie Lehrende abwandern, befürchtet die Hochschule. Die Folge sei, dass „die Universität nicht mehr konkurrenzund kooperationsfähig“ bliebe.

Doch auch an anderen deutschen Bibliotheken fehlt das Geld: Immer mehr wissenschaftliche Zeitschriften etwa müssen wegen nicht zu verkraftender Kostensteigerungen abbestellt werden. Bundesweit fehlen rund 50 Millionen Euro. Diese Bibliothekskrise gefährdet die Ausbildung des gesamten akademischen Nachwuchses. Hier setzt das bundesweite Projekt Ex-Libris an – ein Drittmittelprojekt der etwas anderen Sorte. Ex-Libris ist ein privates Spendenprojekt zugunsten der Bibliotheken aller deutschen Hochschulen. Das Projekt errichtet eine bundesweite Kommunikationsplattform, über die Ehemalige und Freunde Kontakt zu „ihrer“ Hochschule – alten Professoren oder Kommilitonen – aufnehmen können. Gleichzeitig können sie gezielt ihren alten Fachbereich durch Bücherspenden unterstützen. An der Universität Hamburg läuft das Projekt bereits seit 1999: Dort wurden seitdem fast 700 000 Euro zugunsten der Hochschul-Bibliotheken gespendet.

Jetzt soll aus dem Modell eine bundesweite Aktion werden, eine Art „Aktion Sorgenkind“ für alle deutschen Hochschulen. Die Universitäten sind natürlich glücklich über das private Geld, denn jeder Euro stopft die vorhandenen Löcher. Das Projekt hat prominente Fürsprecher wie Lord Ralf Dahrendorf, Lothar Späth oder Marcel Reich-Ranicki. Auch der Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheken, Dr. Georg Ruppelt, begrüßt das Engagement: „Je besser die Ausstattung einer Bibliothek, um so besser die Leistungen, um so kürzer die Studienzeiten, um so höher das Ansehen der Universität.“

Doch bei aller Freude über das Projekt – es ist doch aus der Not geboren, findet DHVPräsident Schiedermair. Der Staat habe sich Stück für Stück aus der Finanzierung zurückgezogen und überlasse es den Hochschulen und den Bürgern, für eine adäquate Finanzierung zu sorgen. „Im Grunde ist das eine subtile Form der Privatisierung. Die Universitäten stecken in der Zwickmühle: Sie sind natürlich dankbar für solche Spenden, doch wenn sie erfolgreich verlaufen, ist der Staat der lachende Dritte und zieht sich noch weiter aus seiner Verantwortung zurück“. 

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