Handelsblatt-Gesundheitskongress „Health 2003“

Blicke über den Tellerrand

Das Vorschaltgesetz der Gesundheitsministerin wurde im Bundesrat vorläufig gestoppt. Doch das Paket von Sofort-Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen ist noch nicht vom Tisch. Zwei Monate nach der Wahl bildete die aktuelle rot-grüne Gesundheitspolitik den Schwerpunkt des diesjährigen „Handelsblatt-Gesundheitskongress Health 2003“.

Der Münchener Gesundheitsökonom Prof. Günter Neubauer eröffnete den Kongress mit klaren Worten: „Zurzeit werden Schönheitskorrekturen zum Erhalt des Systems gemacht, die hinterher nur umso hässlichere Narben hinterlassen.“ Das geplante Vorschaltgesetz sei keine Reform, sondern allenfalls ein Sekundengewinn innerhalb eines Reform-Marathons, so Neubauer. Der Gesundheitsökonom benannte die wichtigsten Herausforderungen für die Gesetzliche Krankenversicherung, die den Reformbedarf so dringlich machen – und machte Lösungsvorschläge. Immer mehr Menschen würden immer älter und trieben so die Kosten im Gesundheitswesen nach oben. Neubauers Lösungsvorschlag: Reduktion des Generationenausgleichs und der Aufbau einer individuellen Kapitalrücklage für das Alter. Ein weiteres Problem: Arbeitslosigkeit und Arbeitskosten.

„Wenn die Lohnnebenkosten steigen, aber die Produktivität steigt nicht im gleichen Maße mit, dann produzieren wir Arbeitslosigkeit“, betonte Neubauer. Die GKV-Beiträge müssten daher unbedingt von den Lohnkosten getrennt werden: „Wer hier nicht den Mut zu einer schnellen Lösung hat, der ruiniert Deutschland.“

Um in Zukunft das Problem der staatlichen Verschiebebahnhöfe zu Lasten der „quasistaatlichen“ Kassen zu vermeiden, gebe es nur eine Lösung: die Privatisierung der Krankenversicherung.

Zukunftssicheres System

In Vertretung der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt versuchte Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder den Reformfahrplan der Regierung zu skizzieren. Man werde die notwendigen Reformen vorantreiben und das System zukunftssicher machen und dabei am sozialstaatlichen Prinzip festhalten, so Schröder. „Es wird keine Reform geben, die urknallartig auf einen Schlag alle Probleme löst“, betonte der Staatssekretär. Man müsse das System weiterentwickeln und nicht gegen ein neues ersetzen. Es sei an der Zeit, die Effizienz zu erhöhen und verkrustete Strukturen aufzubrechen. Zunächst werde man sich mit der Einnahmeseite der GKV beschäftigen, im nächsten Jahr sei dann die Ausgabenseite an der Reihe. Das Vorschaltgesetz sei lediglich eine Maßnahme zur schnellen Stabilisierung und ersetze sowieso nur das, „was die gemeinsame Selbstverwaltung im letzten Jahr bereits zugesagt hatte.“ Ziel der Regierungskoalition sei es, auch in Zukunft alle medizinisch nötigen Leistungen auf höchstem Niveau zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung stellen zu können. „Wir glauben, dass dies in einem optimierten System möglich ist, indem strukturelle Reibungsverluste abgebaut werden.“

Der Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, Volker Leienbach, ließ allerdings in seinem Vortrag kein gutes Haar an den Reformbemühungen der Regierung: „Ich kann im Vorschaltgesetz nicht einen einzigen Ansatz zu strukturellen Reformen erkennen.“ Leienbach verteidigte leidenschaftlich die Dualität des deutschen Gesundheitssystemes und kritisierte den Versuch der Bundesregierung, durch ein drastisches Anheben der Versicherungspflichtgrenze die PKV ausbluten zu lassen. Der PKV-Direktor skizzierte dann Eckpunkte einer Gesundheitsreform, wie sie aus Sicht der PKV sinnvoll wäre. „Zunächst müsste die Demographievorsorge gestärkt werden, wie wir es in der PKV ja schon längst tun.“ Des Weiteren müsste das gegliederte System von PKV und GKV gestärkt werden: „Wir brauchen mehr Wettbewerb im System. Die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze bewirkt das Gegenteil“, so Leienbach. Durch Reformen in der GKV gebe es ein hohes Potential zur Beitragssenkung, etwa durch Ausgliederung von Zahnersatz aus der GKV, die Neuordnung der Familienbeiträge oder eine verbreiterte Bemessungsgrundlage der Versicherten.

Prof. Eberhard Wille, stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit verschiedenen Reformoptionen. Dass Reformen dringend nötig seien, daran ließ der Ökonom keinen Zweifel: „Selbst wenn es uns gelingt, kurzfristig Einsparpotentiale zu realisieren, wird es uns nicht gelingen, die wegbrechenden Einnahmen zu kompensieren“, betonte Wille. Es seien weniger die Ausgaben, als vielmehr die fehlenden Einnahmen das Problem. Doch Reformoptionen, die einen totalen Systemwechsel beinhalten, erteilte Wille eine Absage. „Radikale Reformer verlangen den Systemwechsel und die totalen Reformen. Doch damit verbreiten sie nur Angst.“ Und diese Angst, so Wille weiter, verstärke letztendlich nur die Blockadehaltung der Reformgegner. Sein Lösungsvorschlag: adaptive Reformen. In kleinen Schritten müsse man mit Reformen vorwärts gehen, anstatt im Streit zwischen Reformgegnern und Befürwortern stecken zu bleiben. Ein vernunftbetonter, aber möglicherweise realistischer

Innovationsfeindlich

Mit der provokanten Frage „Sind KVen noch zeitgemäß“ beschäftigten sich am zweiten Konferenz-Tag zwei Kontrahenten: Gerhard Schulte vom BKK-Landesverband Bayern und Dr. Jürgen Bausch, Ehrenvorsitzender der KV Hessen. Schulte nannte den Sicherstellungsauftrag „ein deutsches Phänomen und als Existenzgrund für die KVen nicht relevant“. Der bayerische Kassenfunktionär kritisierte aber vor allem die Strukturen der verfassten Ärzteschaft und nannte die KVen „innovationsfeindlich“. Die Vertreterversammlungen seien zu groß, undemokratisch und unprofessionell und daher oft nicht handlungsfähig, „weil man in der einen Vertreterversammlung noch nicht weiß, ob nicht in der nächsten bereits das Gegenteil beschlossen wird.“ Schulte forderte einen kleineren, hauptamtlichen Vorstand. Er stellte auch in Frage, ob es zweier ärztlicher Standesvertretungen bedürfe – „eine für die Ethik und eine für die Monethik“ und forderte eine strukturelle Regeneration der ärztlichen Standesvertretung: „Ein Umdenken der Ärzteschaft wäre nötig, um auch in Zukunft als ernst zu nehmender Verhandlungspartner weiter tätig zu sein.“ Im Rahmen einer Round-Table Diskussion blieb die Meinung Schultes nicht unkommentiert. Auf die Frage des stellvertretenden Vorsitzenden der KZBV, Dr. Jürgen Fedderwitz, welcher Zahnarzt es sich denn leisten könne, seine Praxis für mehrere Jahre zu schließen, um in dieser Zeit hauptamtlich tätig sein zu können, blieb Schulte eine Antwort schuldig. Fedderwitz hakte nach und wollte wissen, ob sich Schulte etwa einen fachfremden Vorstand wünsche: „Da gäbe es sicher eine Menge, die sich das leisten könnten, aber die hätten dann keine Ahnung von dem, was sie da gerade beschließen!“ Auch hier wand sich Schulte um eine Antwort. Stattdessen setzte Dr. Jürgen Bausch zu einem Plädoyer für die KVen an: „Wenn es die KVen nicht schon gäbe, dann müssten sie sofort erfunden werden. Wo sonst findet man Leute, die mit dem Gegner miese Verträge aushandeln müssen und dann auch noch bei den eigenen Vertretern dafür werben.“ Es gebe doch weder von seiten der Politik noch von seiten der Kassen ernst gemeinte Vorschläge, die KVen abzuschaffen. „Da wär’n die auch schön blöd. KVen werden gebraucht und wir werden unserer Aufgabe auch in Zukunft nachkommen.“ Bausch kritisierte die Wettbewerbsideologien der Kassen als „Versuch, für noch weniger Geld noch mehr ärztliche Leistungen zu bekommen.“ Es sei nicht die Innovationsfeindlichkeit der Ärzteschaft, die zu einem Stillstand geführt habe, sondern das Fehlen von Leistungsanreizen von Seiten der Politik und der Kassen.

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