Ein Ergebnisbericht

Die Identifizierung unbekannter Toter

Heftarchiv Zahnmedizin
Die vorliegende Arbeit stellt die Ergebnisse einer Auswertung von 204 post mortem untersuchten Gebissen dar, die in den Zahnärztlichen Mitteilungen (zm) veröffentlicht wurden. Die Ausarbeitungen geben einige neue Ansatzpunkte für die Darstellung der Identifizierungsmeldungen.

Bei Massenkatastrophen, Unfällen oder Gewaltverbrechen ist die Identität der Opfer zunächst oft unbekannt. Zu allen Zeiten und in vielen Zivilisationen existiert der Wunsch, die Identität verstorbener unbekannter Personen festzustellen. Die Notwendigkeit einer Identifizierung hat psychosoziale, juristische, ethische und versicherungstechnische Gründe. Die Gesellschaft kann einen Trauerfall erst dann akzeptieren, wenn die Identität der Verstorbenen zweifelsfrei feststeht.

Juristisch setzt die Ausstellung eines offiziellen Totenscheines die festgestellte Identität des Verstorbenen voraus. Üblicherweise erfolgt sie aufgrund visueller Erkennung, stomatologischer, medizinisch anthropologischer, daktyloskopischer oder genetischer Untersuchungen. Bevorzugt werden wissenschaftliche Methoden der forensischen Odontostomatologie herangezogen.

Vom Bundeskriminalamt [Ahlf 1999] wurde die Zahl aufgefundener und bisher nicht identifizierter Leichen in Deutschland und im Ausland (deutsche Staatsangehörige) in den Jahren 1967 bis 1998 mit 2 604 angegeben. Diese Zahlen haben keinen offiziellen Charakter. In den USA lagen 1 985 Hinweise auf 40 000 Personen vor, deren Schicksal unbekannt war [Bernstein 1997]. In Deutschland werden täglich etwa 200 bis 300 Personen als vermisst gemeldet.

Ein Schlaglicht auf praktische Belange bei der Identifizierung unbekannter Leichen liefert der Bericht von Benthaus und Endris [1999] über die Katastrophe am 3. Juni 1998 bei Eschede. Innerhalb von vier Tagen hat das Expertenteam zwei Drittel der Opfer vor Ort identifiziert. Mit 69 Prozent war der Zahnstatus als Identifizierungsmerkmal die primäre Identifikationsmethode, gefolgt von der Daktyloskopie (16 Prozent) und der Personenbeschreibung (zehn Prozent).

Von den Opfern des 11. September konnten 55 bis 60 Prozent mit Hilfe der forensischen Odontostomatologie sowie einer Kombination derselben mit der DNA-Analyse identifiziert werden [Glazer und Theis 2002]. Auch erfolgte die Identifizierung der meisten bei der Flugzeugkatastrophe am Bodensee Umgekommenen durch Untersuchungen des Zahnsystems.

Identifikationsmethoden

Forensische Identifizierungsmethoden beinhalten die Analyse von Fingerabdrücken (Daktyloskopie) unter der Voraussetzung, dass die Verwesungserscheinungen diese Untersuchungen zulassen, sowie die DNAAnalyse, die allerdings eine Vergleichsanalyse benötigt.

Odontostomatologische Identifikationsmethoden basieren auf der Untersuchung des stomatognathen Systems. Zähne, und insbesondere der Zahnschmelz (Enamel), sind als härteste Gewebe des menschlichen Körpers vor Verwesung, physikalischen und chemischen Einflüssen bekanntlich am besten geschützt.

Das gilt auch für zahnrestaurative Materialien. Das Gebiss eines Erwachsenen mit 32 Zähnen hat pro Zahn fünf Flächen. Für 32 Zähne ergeben sich 160 Flächen, die für einen Menschen charakteristisch sind. Hinzu

kommen Spuren zahnärztlicher Behandlung an einem oder mehreren Zähnen, die auf unterschiedliche Art restauriert oder entfernt worden sind.

Damit ergibt sich für jedes Individuum ein eigenes Zahnbild (Cesteleyn et al.1980). Um unbekannte Tote identifizieren zu können, müssen die zahnmedizinischen Daten post mortem mit den ante-mortem-Befunden verglichen werden.

Die zahnmedizinischen post-mortem-Daten beinhalten:

Fallnummer, Zeitangaben, Autorisierung, Ortsangaben, vermeintliche Identität.

Daten der Körperbeschreibung: geschätztes Alter der Leiche, Rasse, Geschlecht, Leichenzustand.

Beschreibung der Kieferfragmente:

• vorhandene fehlende und retinierte Zähne sowie Restaurationen, Art der Restaurationen und behandelte Zahnflächen, parodontaler Zustand, Zahnstein und Verfärbungen, Fehlstellungen, Rotationen, Impaktierungen, unvollständig durchgetretene Zähne, Bestimmung der nach dem Eintreten des Todes verlorenen Zähne

• festsitzender Zahnersatz, Teilprothesen, Implantate (sozialer Stand)

• Spuren von abnehmbaren Prothesen

• Okklusale und intermaxilläre Beziehungen

• Rassenmerkmale

• Konstitutionstypen.

Datierungen und Beschriftung der Modelle nach Angaben der FDI.

Eigene Untersuchungen

1.Anhand von polizeilichen Hilfeersuchen, die in zahnmedizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, sollte die Effektivität der odontostomatologischen Identifizierungsmethoden überprüft werden.

2.Darüber hinaus interessierte uns, welchen Anteil odontostomatologische Identifizierungsmethoden am Gesamterfolg der Identifizierung haben.

3.Ob eine Beziehung zwischen der Qualität der Suchmeldung der Polizei und der Aufklärungsquote bestand, war eine weitere Fragestellung.

Zu diesem Zweck wurde in der Zeitschrift „Zahnärztliche Mitteilungen“ der Jahre 1984 bis 1996 nach diesbezüglichen Publikationen gesucht. Sie stellt eine retrospektiv erhobene Querschnittsuntersuchung mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens dar, der an die einzelnen Polizeipräsidien verschickt wurde und auf dem unter anderem vermerkt werden sollte, welchen Anteil odontostomatologische Methoden bei der Identifizierung hatten. Es wurden insgesamt 105 Bögen an die entsprechenden Polizeibehörden verschickt, davon konnten 82 ausgewertet werden.

Ergebnisse

Der Fragebogenrücklauf betrug 79 Prozent. Aus den 82 auswertbaren Fragebögen ergab sich, dass in 28 Fällen eine Identifikation (34,1 Prozent) möglich war und in 54 Fällen (65,9 Prozent) die Identifikation nicht gelang. Die Identifizierungen gelangen in acht Fällen (9,8 Prozent) durch alleinige odontostomatologische Methoden, in zehn Fällen (12,2 Prozent) durch den Zahnstatus und andere Untersuchungen. In zwei Fällen (2,4 Prozent) durch ausschließlich radiologische Mittel und in acht Fällen (9,8 Prozent) mit Hilfe von Weichteilrekonstruktionen.

Bei der statistischen Auswertung wurde deutlich, dass durch die ausführliche Beschreibung des Zahnstatus in keinem Fall eine ausschließlich zahnmedizinische Identifizierung möglich war. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass der Erfolg nicht ausschließlich vom Informationsgehalt der Annonce abhängt. Die Aufklärungsrate ist auch abhängig von der Zahl der Leser. Die Aufklärungsquote in der Zeitschrift zeigt, dass in den Sommermonaten (Heft Nr. 11 bis 14) die Aufklärungsquote am geringsten ist.

Diskussion und Schlussfolgerungen

Die vorgenannten Ergebnisse geben zu folgenden Überlegungen Anlass:

• Es wäre sinnvoll, in Anlehnung mit dem amerikanischen CAPMI auch in Deutschland und später international einen einheitlichen Identifizierungsbogen einzuführen, der für alle Polizeibehörden verbindlich wäre.

• Die althergebrachten Karteikartensysteme in den Zahnpraxen sind mit ihren umständlichen Suchroutinen effektive Hindernisse und führen zu mangelnder Mitarbeit bei Identifizierungsersuchen der Polizei. Eine zunehmende Ausstattung der Zahnarztpraxen mit Computern und Program-men, die sämtliche konservierenden prothetischen, kieferorthopädischen und chirurgischen Arbeiten in einem geeigneten Zahnschema registrieren, würde die Suche von zahnärztlicher Seite erleichtern.

• Die den Abrechnungsstellen übergebenen Behandlungsdaten von Zahnärzten sollten unter Gewährleistung der zahnärztlichen Schweigepflicht dem BKA zugänglich gemacht werden.

• Software-Hersteller sollten Suchroutinen entwickeln, die es möglich machen, nach einem bestimmten Zahnschema in den Stammdaten der Praxis oder KZV zu suchen, was bis heute nicht möglich ist.

Bei den Veröffentlichungen in den „Zahnärztlichen Mitteilungen“ sollte eine gute Platzierung, eventuell im Anschluss an das Inhaltsverzeichnis, gewählt werden. Eine farbige Hervorhebung oder Fotos der unbekannten Leichen könnten eine größere Aufmerksamkeit erzielen.

Sehr wichtig erscheint ein verbindlicher Daten-Algorithmus mit einem einheitlichen Layout. Falls die zahnärztlichen Computerprogramme über entsprechende Suchroutinen für Zahnschemata verfügen, wäre es denkbar, die Anzeige in der Presse mit einer Chipkarte zu versehen, die die Daten des Zahnschemas enthält und vom Chipkarten-Lesegerät gelesen werden kann, um auf diese Weise schnell entscheiden zu können, ob die unbekannte Person in der Praxis behandelt worden ist.

• Kieferorthopäden behandeln vorwiegend Kinder im Alter zwischen sieben und 14 Jahren und fertigen in diesem Zeitraum alle zwei Jahre Röntgenaufnahmen sowie Situationsmodelle an. Auf diese Weise sammelt sich genügend Dokumentationsmaterial an. Zahnärzte sollten gebeten werden, Gipsabdrücke und Röntgenaufnahmen aufzubewahren.

Zusammenfassung

Es wurde überprüft, wie effektiv die Identifizierung unbekannter Toter anhand des Zahnstatus ist. Hierzu werden 205 in den zm publizierte post-mortem-Befunde herangezogen. Durch spezielle Fragebögen, die an die einzelnen Polizeidienststellen versandt wurden, konnte nachgewiesen werden, dass in etwa einem Drittel der Fälle eine odontostomatologische Identifizierung möglich war. In 65,9 Prozent der Fälle war die Identifikation nicht möglich. Die Analyse der aufgeklärten Fälle ergab auch Hinweise auf eine jahreszeitliche Abhängigkeit mit einem deutlichen Sommerloch.

Kontaktadresse:Prof. Dr. Dr. med. Dr. Dr. h.c.Norbert SchwenzerKlinik u. Poliklinik für Mund-,Kiefer- und GesichtschirurgieOsianderstr. 2-8D-72076 Tübingen

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