Kauflächen aus Gold oder doch lieber Keramik?
Als Thema der Tagung drängte sich daher eine Fragestellung auf, die bislang von den verschiedenen Fachgesellschaften unter unterschiedlichen Aspekten behandelt wurde: Die Zusammenhänge zwischen der Okklusion und dem innovativen Restaurationsmaterial Keramik.
Tatsächlich hatte die Funktionslehre in den vergangenen Jahrzehnten zeigen können, dass fehlerhafte oder problematische okklusale Gestaltungen zumindest Anlass für die Entstehung von Parafunktionen sein können, die als eine der möglichen Ursachen für die Entstehung von Funktionsstörungen des Kauorgans, so genannten „cranio-mandibulären Dysfunktionen“, beschrieben sind. In den vergangenen Jahren waren darüber hinaus zwar zahlreiche experimentelle und epidemiologische Arbeiten auf den Jahrestagungen der AGF vorgestellt worden, die die Bedeutung nicht-okklusaler Faktoren für die Krankheitsentstehung behandelten.
Im Bereich der materialkundlichen Forschung und damit auch auf den Jahrestagungen der Arbeitsgemeinschaft für Grundlagenforschung war darüber hinaus in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Studien vorgestellt wurden, die materialkundliche Fragen im Hinblick auf die Bewährung moderner Keramiken behandelten. Insofern bot es sich an, im Rahmen dieser Gemeinschaftstagung aufzuzeigen, inwieweit die Verwendung derartiger Materialien Funktionsstörungen des Kauorgans mit bedingen kann, beziehungsweise. inwieweit in der Therapie von Patienten mit derartigen Problemen keramische Materialien aus heutiger Sicht einsetzbar sind.
Die beiden Hauptvorträge, die dieses Jahr daher in einem „Workshop Funktionslehre“ zusammengefasst wurden, behandelten das Thema dann auch aus beiden Gesichtspunkten. Im ersten Referat berichtete dabei Prof. Dr. Wolfgang B. Freesmeyer, FU Berlin, über den aktuellen Stand der medizinischen Literatur im Hinblick auf die Verwendung von Gold zur Restauration von Zahnhartsubstanzen allgemein und im Speziellen auf die dabei zu berücksichtigenden Faktoren im Hinblick auf die okklusale Gestaltung. Dabei konnte der Referent zeigen, dass die heute zur Verfügung stehenden Edelmetall-Legierungen auf Grund ihres hohen E-Moduls geeignet sind, verloren gegangene Zahnhartsubstanzen so zu ergänzen beziehungsweise zu ersetzen, dass auch eine Wiederherstellung der Kaufunktion in der ursprünglichen Form möglich ist. Verschiedene moderne Okklusionskonzepte in Verbindung mit der Simulation in geeigneten Artikulatoren ermöglichen es dabei, ein im Rahmen reversibler Therapiemaßnahmen bewährtes Okklusionskonzept in definitive Restaurationen zu überführen. In diesem Zusammenhang verwies Freesmyer auf die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Funktionslehre in der DGZMK zur Therapie von Funktionsstörungen des Kauorgans (siehe www.dgzmk.de).
Funktion und Keramikrestauration
Im zweiten Hauptvortrag berichtete Dr. Stephan Paul, Oberarzt in der Abteilung für Zahnärztliche Prothetik an der Universität Zürich, über die therapeutischen Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Verwendung moderner Dentalkeramiken. Dabei konnte er zeigen, dass die modernen Keramiken heutzutage sowohl im Hinblick auf deren Randschlussverhalten, als auch auf deren okklusales Verschleißverhalten ausgesprochen gut untersucht sind. Aus verschiedenen In-vitro-Simulationen sowie In-vivo-Studien lässt sich dabei zusammenfassen, dass bei geeigneter Insertionstechnik heute die Keramiken hohe Erfolgsraten gewährleisten, was allerdings eine korrekte Indikationsstellung sowie die Einhaltung der vergleichsweise sehr aufwändiger Verarbeitungsvorschriften voraussetzt.
Im Hinblick auf die okklusale Gestaltung und die dabei zu erwartenden Verschleißeigenschaften verwies der Referent auf die hierzu vorliegenden Untersuchungen, die in der Regel das Verschleißverhalten – allerdings im Rahmen von entsprechend entwickelten Simulationen – als materialspezifischen Vergleichswert beurteilen. Dabei konnten verschiedene Studien zeigen, dass heute Dentalkeramiken zur Verfügung stehen (zum Beispiel Empress, Fa. Ivoclar Vivadent), die in ihrem Abrasionsverhalten dem natürlichen Zahnschmelz vergleichsweise ähnlich sind.
Einig waren beide Referenden sich in der Frage, dass sie trotz gezielter Recherche keinerlei Publikationen nachweisen konnten, die die Eignung moderner Dentalkeramiken im Rahmen funktionstherapeutischer Behandlungen klinisch-experimentell untersuchen beziehungsweise belegen. Allein dieses eine Beispiel illustriert, dass die vielfach erhobene Forderung, alle (zahn-)ärztlichen Entscheidungen und Maßnahmen nach Möglichkeit auf der Basis der Ergebnisse evidenzstarker Studien zu fällen, in der Praxis nicht durchführbar ist, weil die ent-sprechenden Studien auch mit erheblichem Suchaufwand nicht nachweisbar sind. Für den Kliniker ergibt sich hieraus als einzige Alternative, auf Informationen der nächsten Evidenzstufe zurückzugreifen, nämlich die Meinungen entsprechender Experten, wie sie auf derartigen Jahrestagungen ausgetauscht werden.
Interdisziplinäre Behandlungsstrategien
Weitere Vorträge stellten die Ergebnisse aktueller Studien und moderne Konzepte vor. Dabei konnte die interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus der Medizinischen Hochschule Hannover ihre Untersuchungsergebnisse über das Auftreten von Funktionsstörungen der Halswirbelsäule einerseits und des Kauorgans andererseits vorstellen. Wie die Vortragende, PD Dr. Meike Stiesch-Scholz, Hannover, erläuterte, legen es diese experimentellen Ergebnisse nahe, zukünftig im Rahmen der klinischen Funktionsanalyse auch der Funktion der oberen Halswirbelsäule Beachtung zu schenken. Sie bestätigte damit Vorschläge der Hamburger Arbeitsgruppe aus den Jahren 1996 und 2000.
Eine große Anzahl von CMD-Sprechstunden verschiedener Universitätskliniken arbeitet derzeit im Rahmen einer multizentrischen Studie zusammen, um den therapeutischen Nutzen verschiedener Formen der Initialbehandlung zu vergleichen. Da hierfür eine ausgesprochen gute Übereinstimmung in der Vorgehensweise der verschiedenen Untersucher unabdingbar ist, konnte PD Dr. Alfons Hugger, Düsseldorf, die Ergebnisse einer hierfür durchgeführten Kalibrierungsveranstaltung vorstellen. Dabei zeigte er, dass die Reproduzierbarkeit der erhobenen Befunde aus der klinischen Funktionsanalyse bei einer Vielzahl von Untersuchern für die einzelnen Befunde unterschiedlich, im internationalen Vergleich jedoch sehr groß ist. Für die klinische Praxis bestätigt diese Untersuchung die Eignung der klinischen Funktionsanalyse als Weichen stellende Untersuchung, die Aufschluss über die Art von Funktionsstörungen gibt und so eine Grundlage für die Entscheidung über weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen bildet.
Eine weitere Arbeitsgruppe aus fünf Universitäten stellte zudem einen Vorschlag zur Zuordnung der Befunde aus der instrumentellen Funktionsanalyse zu entsprechenden Initialdiagnosen aus der klinischen Funktionsanalyse vor. Das von Dr. M. Oliver Ahlers, Hamburg, gemeinsam mit Prof. Dr. Holger Jakstat, Leipzig, Prof. Dr. Wolfgang B. Freesmeyer, FU Berlin, PD Dr. Alfons Hugger, Düsseldorf und Prof. Dr. Georg Meyer, Greifswald, erarbeitete Konzept ermöglicht künftig ein systematisches Vorgehen zur Bestätigung oder Widerlegung der Initialdiagnose aus der klinischen Funktionsanalyse.
Mitgliederversammlung
Im Rahmen der diesjährigen Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft für Funktionslehre wurden darüber hinaus verschiedene berichtenswerte Entscheidungen getroffen. Dabei entschieden die Mitglieder, einem Antrag des Vorstands zu folgen, die Vereinigung umzubenennen in „Arbeitsgemeinschaft für Funktionsdiagnostik und Therapie“, fortan abgekürzt als „AFDT“. Dadurch soll stärker deutlich werden, dass die AFDT die nationale Fachgesellschaft nicht nur in der Lehre, sondern in allen Fragen der Funktionsdiagnostik und -therapie ist. Zur besseren Vertretung dieser Kompetenz im internationalen Rahmen wird die AFDT darüber hinaus als erste Gruppierung innerhalb der DGZMK auch einen englischen Namen mit gleicher Buchstabenfolge tragen; die Bezeichnung lautet „Academy for Functional Diagnostics and Therapy (AFDT)“. Die Übereinstimmung der Buchstabenabkürzung ist dabei bewusst gewollt.
Ebenfalls beschlossen wurde, den bisherigen „Förderpreis der Arbeitsgemeinschaft für Funktionslehre“ umzubenennen in „Alexander Motsch-Preis“. Mit dieser Umbenennung soll der Bekanntheitsgrad dieses hochdotierten Forschungspreises erhöht werden, einhergehend mit einer Würdigung der Verdienste des am längsten amtierenden Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft, Prof. Dr. Alexander Motsch, dem durch seinen frühen Tod die überfällige Ehrenmitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft versagt blieb.
Im kommenden Jahr findet die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Funktionsdiagnostik und Therapie wieder am angestammten Ort, dem Kur- und Kongresshotel in Bad Homburg, statt. Das Thema der Jahrestagung wird lauten: „Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie bei CMD“. Nähere Informationen hierzu im Internet auf der Webseite (siehewww.dgzmk.de).
Dr. M. Oliver Ahlers, OberarztAbteilung für Zahnerhaltung und präventiveZahnheilkunde, Klinik und Poliklinik für Zahn-,Mund- und KieferheilkundeUniversitätsklinikum Hamburg-Eppendorf20246 Hamburg