Gastkommentar

Rürup-Kommission: Chance und Grenzen

Die Kommission zur nachhaltigen Finanzierung der Sozialsysteme hat eine Chance. Sie liegt in der Unfähigkeit der Politik, brauchbare Alternativen allein zu entwickeln. Das neue Gremium wird es dennoch schwer haben, seine Vorstellungen in die Zielgerade zu bringen, kann aber womöglich die blockierte gesundheitspolitische Diskussion endlich flott machen.
Dr. Rudi Mews
Freier Korrespondent in Berlin

Wenn du Zeit gewinnen willst, gründe eine Kommission, heißt es in der Politik. In dieser Tradition steht auch das von der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung berufene neue Gremium. Es belegt – mehr noch als die Hartz-Kommission –, dass die Politik mit jahrzehntelang verdrängten Problemen des deutschen Sozialsystems allein nicht fertig wird. Die Parteien haben zwar Konzepte. Diese sind aber ähnlich wie die Vorstellungen der Interessenverbände und Standesvertretungen jeweils auf ihre Klientel bezogen. Der immanente Zwang zur Wiederwahl blockiert den Konsens.

Der Chef der Kommission, der Wirtschaftsweise Prof. Bert Rürup, hat von vornherein gezeigt, dass er unabhängig ist. Wiewohl SPD-Mitglied, hat der Darmstädter Finanzwissenschaftler den ersten Widerspruch aus seiner eigenen Partei noch vor seiner offiziellen Berufung erfahren. Rürup sagte unmissverständlich, dass er Drehungen an der Beitragsschraube der Sozialversicherung für zu kurzatmig halte. Längerfristig verweigert er schon jetzt einer heiligen Kuh den Kniefall: der paritätischen Finanzierung des Gesundheitssystems durch die Sozialpartner. Rürup regt an, über eine steuerfreie Auszahlung des Arbeitgeberanteils der Krankenversicherungsbeiträge sowie über personenbezogene Finanzierungselemente nachzudenken. Ähnlich wie die Riester-Rente trotz des anfänglichen Widerspruchs der Gewerkschaften private zusätzliche Vorsorge verwirklicht hat. Anders sind weder die Generationengerechtigkeit zu garantieren noch medizinischer Fortschritt zu bezahlen.

Die Kommission hat Grenzen. Sie vereinigt Wissenschaftler, Wirtschaftler, Gewerkschafter und Arbeitnehmervertreter, aber kein Arzt, Zahnarzt, Pharmazeut oder Krankenhausmanager, also kein Leistungsanbieter ist dabei. Der Einspruch der Ärzte hat aber weder den Bundeskanzler noch seine Gesundheitsministerin umstimmen können, die Namensliste zu ändern. Hier mag nachwirken, dass die SPD die dezidierten Stellungnahmen einiger Verbände im vorigen Wahlkampf als Einmischung zugunsten einer schwarz-gelben Mehrheit verstanden hat. Rürup ist ein besonnener Realist. Er sagt ehrlich, dass seine Kommission vermutlich keinen Kompromiss liefern kann wie die Hartz-Kommission. Die war ein Kinderspiel gegenüber dem Reformbedarf im Gesundheitswesen. Weitere Limits hat Ulla Schmidt der Kommission bereits bei deren Vorstellung in Berlin gesetzt: Das Gremium wird seine Vorschläge im nächsten Herbst vorlegen, aber die Bundesregierung wird entscheiden, was sie davon übernimmt. Hinzu kommt, dass auch die SPD eine konkurrierende gesundheitspolitische Kommission gründet, gleichfalls die CDU und ebenso der DGB. Skeptiker fürchten einen ähnlich wirkungslosen Papierausstoß wie beim gesundheitspolitischen Runden Tisch der vorigen Legislaturperiode. Überdies ist zu fragen, ob der aktuelle Leidensdruck anhielte, wenn die Konjunktur wieder besser liefe und den Sozialsystemen zeitweilig Luft schaffte. Kasse macht Politiker nicht nur sinnlich, sondern kurzatmig.

Propheten sagen für das nächste Frühjahr schon eine große Koalition von SPD und CDU voraus, weil die Probleme nur von den beiden großen Volksparteien zusammen zu bewältigen seien. Rot-grüne Divergenzen im Detail, die den Eindruck erwecken, die Bundesregierung habe kein Gesamtkonzept, bestärken diese Auguren. Aber auch sie wissen nicht, wie die Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen ausgehen. Danach könnte sich der Zwang zur Lösung verstärken. Im Wahlkampf beschimpfen die Parteien nur einander. Statt als Regierung brauchbare Gesetzentwürfe vorzulegen oder als Opposition die Regierung mit überzeugenden Alternativen herauszufordern. Der Druck ist groß, die Hysterie des Boulevards aber übertrieben. Sie verdeutlicht jedoch, dass keine Zeit mehr zu verlieren ist.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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