Sonderkongress in Jena

Preventive Dentistry 2002

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Heftarchiv Zahnmedizin
Am 22. und 23. Februar 2002 fand nunmehr zum zweiten Mal ein durch die Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde der Friedrich-Schiller-Universität Jena organisiertes Symposium „Preventive Dentistry“ statt, zu dem namhafte europäische Wissenschaftler nach Thüringen eingeladen waren, um aktuelle Fragen zur systemischen und lokalen Fluoridapplikation, zur Chlorhexidinwirksamkeit und zu gegenwärtigen Trends in der Kariesdiagnostik zu diskutieren.

Aktuelle Fragen zu zwei der bedeutendsten Kariespräventiva, den Fluoriden und dem Chlorhexidin, standen auf der Tagesordnung. Da seit mehreren Jahren die Wertigkeit der systemischen und lokalen Fluoridapplikation zwischen den kinderzahnärztlichen und pädiatrischen Fachgesellschaften kontrovers diskutiert wird, rückte diese Thematik in den Mittelpunkt des Interesses. Von den pädiatrischen Gesellschaften wird durch die praktizierte Kopplung mit der Vitamin-D-Rachitisprophylaxe nach wie vor die systemische Fluoridtablettengabe in den ersten Lebensjahren favorisiert. Demgegenüber passte die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), dem hohen Evidenzniveau des nationalen und internationalen Schrifttums folgend, ihre Fluoridanwendungsempfehlung dem beobachteten Fluorosesrisiko an und favorisiert die Verwendung einer fluoridhaltigen Kinderzahnpaste mit 500 ppm Fluorid ab dem Durchbruch des ersten Milchzahnes (siehe Tabelle). Die Anwendung von Fluoridtabletten sollte nach Ansicht der DGZMK nach einer ausführlichen Fluoridanamnese auf Patienten mit einem hohen Kariesrisiko begrenzt werden.

Diagnose des Kariesrisikos

Prof. Wim H. van Palenstein-Helderman, Nijmegen/Niederlande, unterstrich die einfache Handhabung seines Modells zur Kariesrisiko-Prognose und leitete daraus die Notwendigkeit zur Prophylaxe, die fluoridund/ oder chlorhexidingetragen sein kann, ab. Prof. Karl E. Bergmann, Berlin, verwies auf die Essentialität von Fluorid als Spurenelement bei der Entwicklung des Skelettsystems. Er zeigte den Fluorideffekt auf das Knochenwachstum und den Zahndurchbruch auf. Die Frage, welche minimalen Fluoridmengen jedoch für ein optimales Wachstum erforderlich sind, konnte anhand der vorgestellten Studie noch nicht beantwortet werden. In seinem Exkurs in die Grundlagenforschung referierte Prof. Colin Robinson, Leeds/England, zu Fluorideffekten während der Schmelzbildung und veranschaulichte den günstigen Einfluss des Fluoridions auf die Stabilisierung des Apatitkristalls während der Schmelzreifung. Im Weiteren stellte Robinson die einzelnen Phasen der Schmelzreifung (Sekretions-, Übergangs- und Reifungsphase) dar und zeigte für die Übergangsphase den Schmelzresistenz begünstigenden Fluorideffekt auf; allerdings besteht zu diesem Zeitpunkt auch die Möglichkeit des Auftretens einer Fluorose, sofern die Fluoridkonzentration 10 μmol/l im Blut übersteigt. Anhand dieser Ergebnisse wurde einmal mehr unterstrichen, dass bereits die minimale Anwesenheit des Fluoridions einen kariespräventiven Einfluss auf den Schmelz hat. Prof. Bob ten Cate, Amsterdam/Niederlande, beschrieb die physikalisch-chemischen Interaktionen von Fluoriden mit dem Zahnschmelz und unterstrich die Wirksamkeit topisch applizierter Fluoride, die als stabile Kalzium-Fluorid-Deckschicht bei sich ändernden pH-Werten als Fluoridreservoir und Schutzschild dienen und daher gehäuft bei Kariesrisiko-Patienten eingesetzt werden sollten. Aus klinischer Sicht fasste Prof. Dr. Elmar Hellwig, Freiburg, die Kenntnisse zur Wirksamkeit lokal verabreichter Fluoride zusammen und bezifferte die Kariesreduktion durch fluoridhaltige Zahnpasten mit 32 Prozent und für Fluorid-Gele sowie -Lacke mit 22 Prozent beziehungsweise 38 Prozent. Er unterstrich die Notwendigkeit, Fluoridlacke mindestens viermal pro Jahr bei Kariesrisiko-Patienten zu verwenden, da anderenfalls kein kariesprotektiver Effekt zu erwarten sei.

Im weiteren Tagungsverlauf nahm Prof. Göran Koch, Jönköping/Schweden, Stellung zu Diskussionen um den effektivsten Fluoridgehalt in Zahnpasten. Er konnte anhand eigener klinisch-kontrollierter Untersuchungen die grundsätzliche Dosis-Wirkung-Beziehung zwischen zunehmendem Fluoridgehalt und steigendem kariesprotektiven Effekt bis über 2000 ppm Fluorid bestätigen. Der Fluoridgehalt von 500 ppm in Kinderzahnpasten gewährleistet dabei aber noch einen wirksamen Kariesschutz.

Bewertung des Kariesrisikos

Prof. Dr. Gisela Hetzer, Dresden, stellte bei der Fluoridbilanz an Drei- bis Sechsjährigen eine optimale tägliche Fluoridzufuhr von 0,05 bis 0,07 mg Fluorid/kg/Körpergewicht fest. Besonders beachtenswert war an diesen Bilanzdaten, dass 30 Prozent der aufgenommenen Menge aus verschluckter Zahnpaste stammte und überschüssiges Fluorid ausnahmslos auf Fluoridtabletten zurückzuführen war. Prof. Dr. Lutz Stösser, Jena, zeigte, dass die Verfügbarkeit von Fluorid an der Schmelzoberfläche zur Bewertung des Kariesrisikos bei Kindern und Jugendlichen genutzt werden kann und die Befunde auch auf die Beherrschbarkeit einer erhöhten Kariesanfälligkeit durch häufige Fluoridanwendungen deuten. Separate oder mit Fluorid kombinierte Chlorhexidin-Anwendungen lassen keine Überlegenheit der kausalen antibakteriellen Strategie erkennen. Die Notwendigkeit letzterer versuchte Prof. Annerose Borutta, Jena, auf Grund des Zusammenhanges zwischen der Höhe der Mutans-Streptokokken im Speichel der Kinder und ihrem Kariesbefall abzuleiten. Priv.-Doz. Susanne Kneist, Jena, unterstütze diese These durch Befunde zur Keimtransmission von der Mutter auf das Kind. Die Chlorhexidin-Applikation könnte in diesem Zusammenhang eine weiterführende Präventionsmaßnahme darstellen. Klinische Erfahrungen zum Chlorhexidineinsatz bei Kindern präsentierte Dr. Margaret Grindefjord, Stockholm/Schweden, wobei die wirksame Verabreichung einen nicht vertretbaren hohen täglichen Aufwand erforderte. Prof. Svante Twetman, Umeå/Schweden, betonte einerseits die hervorragenden Eigenschaften des Chlorhexidins, zum Beispiel Bakteriostase oraler Mikroorganismen, Plaquereduktion und Ermöglichung der Remineralisation mit Fluoriden, verwies andererseits aber auch auf ungeklärte Probleme. So fehlt bis in die Gegenwart die Evidenz einer effektiven Kariesreduktion in Hochrisiko-Gruppen, wie auch der Nachweis, ob ein kombinierter Fluorid-Chlorhexidin-Einsatz tatsächlich Vorteile bringt. Der in wenigen Studien aufgezeigte antibakterielle Effekt an Molaren wurde kritisch hinterfragt, so dass weitere evidenzbasierte Untersuchungen zu diesem Problem erforderlich sind. Die abschließende Diskussion kann mit Prof. Bente Nyvad, Aarhus/Dänemark, „We can’t kill bacteria – we have to live in peaceful harmony with bacteria“ zusammengefasst werden.

Kariesdiagnostik ist immer noch therapieentscheidend

Die Kariesdiagnostik-Thematik wurde durch Dr. Ingo Häberlein, Seefeld, mit der Vorstellung eines neuen Diagnostiksystems zur Erfassung der site-spezifischen Stoffwechselaktivität der Plaque (= Kariesrisiko?!) basierend auf einem Alginatabdruck mit Lactat-Nachweis eingeleitet. Möglicherweise können damit in Zukunft im Abdruck kariogene „hot spots“ dargestellt werden. Nachfolgend wiesen alle Referenten auf die klinische Notwendigkeit der Entwicklung objektiver Methoden zur Differenzierung zwischen Schmelz- und Dentinläsion und zur Quantifizierung des kariösen Prozesses für die Verlaufskontrolle präventiver Interventionsmaßnahmen hin. Nyvad forderte die Erfassung von nicht kavitierten Läsionen, um einer Unterschätzung des Kariesbefalls in bevölkerungsrepräsentativen Studien entgegen zu wirken. Da sich eine Vielzahl kariöser Läsionen der alleinigen klinischen Inspektion entziehen, ist die Bissflügel-Aufnahme nach Prof. Ingrid Mejare, Stockholm/Schweden, eine wichtige Ergänzung der klinischen Untersuchung zur Erfassung approximaler und okklusaler Läsionen. Neben der Detektion von restaurationsbedürftigen Dentinläsionen stellt die Röntgendiagnostik eine Entscheidungshilfe für weiterführende präventive Betreuungsmaßnahmen und zum Monitoring approximaler Läsionen dar. Mit dem Ziel, im Rahmen der Kariesdiagnostik auf Röntgenstrahlung zu verzichten, wurden die Fiberoptische Transillumination (FOTI), die elektrische Widerstandsmessung (ECM), die Laserfluoreszenzmessung (DIAGNOdent ®) und die Quantitative Lichtinduzierte Fluoreszenzmessung (QLF) entwickelt. Während Prof. Cynthia Pine, Liverpool/England, FOTI als Hilfsmittel zur Erfassung approximaler Schmelzläsionen (D1-Niveau) positiv bewertete, wurde das Verfahren an der Okklusalfläche ebenso wie die elektrische Widerstandsmessung Prof. Marie-Charlotte Huysmans, Groningen/Niederlande, als ungenau eingestuft. Die Laserfluoreszenzmessung mit dem DIAGNOdent-Gerät ist nach Prof. Roswitha Heinrich-Weltzien, Jena, ein Schritt in die richtige Richtung, obwohl die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Diagnosesicherheit einer Schmelzbeziehungsweise Dentinkaries noch nicht zufrieden stellend waren. Die Quantitative Lichtinduzierte Fluoreszenzmessung (QLF) erlaubt nach Prof. Birgit Angmar-Månsson, Huddinge/Schweden, die Quantifizierung und damit das „kontinuierliche“ Monitoring bukkaler Initialläsionen. Da die computergestützte Bewertung der Läsion nach wie vor sehr zeitintensiv ist und noch kein praxisreifes Gerät zur Verfügung steht, wird der Einsatz von QLF vorerst wissenschaftlichen Fragestellungen vorbehalten bleiben.

Mit dem Symposium „Preventive Dentistry 2002“ ist es der Universität Jena gelungen, eine interessante Veranstaltung zu organisieren. Dass auch mehr als einhundert niedergelassene Kollegen den Weg nach Jena fanden, ist als positives Zeichen für das steigende Interesse an einer wissenschaftlich fundierten präventiven Zahnheilkunde zu werten.

Dr. Jan Kühnisch

Friedrich-Schiller-Universität Jena

Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde ZHK

Nordhäuser Strasse 78, 099089 Erfurt

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