Das erste bundesweite Hausarzt- und Hausapothekenmodell

Lotse und Schutzengel auf großer Fahrt

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz stellten Barmer Ersatzkasse (BEK), Deutscher Apothekerverband (DAV) und Deutscher Hausärzteverband (BDA) es am 22. Dezember 2004 in Berlin vor: das erste bundesweite Hausarzt-Modell mit Einrichtung der Hausapotheke. Für weniger Geld besser behandelt und besser beraten werde der Patient hierbei, so das Credo der Initiatoren.

Mehr Arzneimittelsicherheit, höhere medizinische Behandlungsqualität und finanzielle Entlastung der Versicherten – das versprechen sich und den Teilnehmern Dr. Eckart Fiedler, Vorstandsvorsitzender der BEK, und Klaus H. Richter, BEK, von dem neuen Hausarzt-/ Hausapothekervertrag. Als Partner zeichnen der Hausärzteverband und der Apothekerverband sowie die Freiwilligen aus der Schar aller Versicherten der BEK.

Und wieder lockt das Geld

Der Vertrag gilt ab Januar bundesweit. Nach einer Vorbereitungszeit von zwei Monaten für Praxen und Apotheken können sich ab 1. März die Versicherten der BEK einschreiben. Die Teilnahme ist für alle Beteiligten, auch für Ärzte und Apotheker freiwillig. Nach eigenen Angaben reagiert die BEK mit dieser neuen Versorgungsform auf den ausdrücklichen Wunsch ihrer Versicherten, von denen laut einer unabhängigen Befragung 2004 70 Prozent an einer hausarztorientierten Versorgung teilnehmen wollten und größtenteils für ein Hausapothekenmodell offen seien. Die Beweggründe für diesen Vertrag seien:  

• Den Wettbewerb um Qualität und Wirtschaftlichkeit forcieren, „offensiv alle Chancen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG)“ sowie die entsprechenden neuen gesetzlichen Regelungen zu nutzen.

Diese brechen die bisherigen Vertragsmonopole sowohl der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) als auch der Verbände der gesetzlichen Krankenkassen auf.

• Qualitative Defizite in der medizinischen Versorgung beseitigen. Überflüssige medizinische Leistungen – wie oppeluntersuchungen – und Scheininnovationen als Kostentreiber seien vermeidbar.

• Dem drohenden Kostenschub 2005 auf dem Arzneimittelsektor entgegenwirken durch sachgerechte Information der Ärzte und bessere Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker.

• Primärprävention fördern, so Gesundheit, Lebensqualität und Leistungsfähigkeit wirksam und nachhaltig verbessern.

• Katastrophale Folgen von Arzneimittelwechselwirkungen vermeiden. An diesen stürben in Deutschland jährlich nahezu viermal so viele Menschen wie im Straßenverkehr, bis zu 300 000 Patienten im Jahr müssten wegen solcher Zwischenfälle ins Krankenhaus. Die Kosten dafür betrügen allein bei der BEK weit über 50 Millionen Euro.

• Gezielte finanzielle Entlastung der BEKVersicherten mit Blick auf den Sonderbeitrag von 0,9 Beitragspunkten ab 1. Juli 2005. Nimmt ein Versicherter teil, zahlt er zwar beim ersten Hausarztbesuch im Jahr die Praxisgebühr, ist aber die restlichen Quartale davon befreit. Im Gegenzug schränkt er seine freie Arztwahl ein.

Der NAV Virchow-Bund der niedergelassenen Ärzte Deutschlands wittert hier den größten Bluff des Jahres – und die Aushöhlung der freien Arztwahl zu Gunsten der Kasse, die sich auf diesem Wege mehr Einschreibungen für Chronikerprogramme und damit den Löwenanteil am Risiko-Strukturausgleich sichern wolle. Ein Plus an Qualität sieht er nicht.

Fragen Sie ihren Arzt …

Der Hausarzt wird zum „Lotsen“ im Gesundheitssystem für (freiwillig) eingeschriebene volljährige Versicherte. Er sorgt für eine gezielte Überweisung der Patienten zu Fachärzten und Krankenhäusern. Gynäkologen und Augenärzte darf der Patient auch direkt aufsuchen, muss dann allerdings die Praxisgebühr bezahlen. Der Hausarzt dokumentiert alle Befunde und Behandlungen. Diese Lotsenfunktion darf der Hausarzt übernehmen wenn er sich gemäß vertraglicher Bestimmungen qualifiziert und jährlich mindestens eine evidenzbasierte medizinische Leitlinie in seine hausärztliche Tätigkeit aufnimmt. Bei der Prävention übernimmt der Hausarzt Gesundheits- Check-ups aus der Palette der über 100 BEK-Angebote.

Der BDA lobt, mit diesem Vertrag werde erstmalig eine Versorgungsstruktur angeboten, die Qualität und Wirtschaftlichkeit zusammenführt, und die erstmals die Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Apothekern definiert. Die gesetzlichen Regelungen seit dem GMG (§§ 140 a ff SGB V) lassen Strukturentscheidungen wie die für ein freiwilliges Hausarztsystem in diesem Vertrag ausdrücklich zu. Die Lotsenfunktion des Hausarztes, die der Verband seit fast einem Jahrzehnt propagiert, sei ein klares Plus für das System. Auch Qualitätsdaten von Krankenhäusern würden in diesem Vertrag kommuniziert, wodurch auch hier die Qualität der Versorgung optimiert werde.

Ein zukunftsorientiertes KV-System solle diesen Vertrag positiv begleiten, um die ambulante Versorgung insgesamt zu stärken und das für die ambulante Versorgung notwendige Honorar nicht etwa in andere Bereiche abfließen zu lassen, fordert BDA-Chef Ulrich Weigeldt. Seit Ende Dezember gebe es eine positive Bewegung in der KBV, eine Anschubfinanzierung von einem Prozent der Gesamt- und Krankenhausvergütungen sei vorgesehen.

Gemeinsam mit der KBV habe der BDA gegenüber der BEK die Prämisse festgezurrt, dass alle Hausärzte mit der erforderlichen Qualifikation an dem Vertrag teilnehmen dürfen, sprich wenn sie über eine EDV-Anlage verfügen, ihren Fortbildungsverpflichtungen strukturiert nachkommen und ein Qualitätsmanagement einführen. Damit sei ausgeschlossen, dass die Kasse im Alleingang einzelne Hausärzte als Partner auswähle (siehe § 73 b SGB V). Die Hausärzte erhalten für Leistungen aus diesem Vertrag bundesweit einheitliche, feste Euro-Beträge statt floatende Punkte.

… oder Apotheker

Der Hausapotheker, für den sich der teilnehmende Versicherte neben seinem Hausarzt entscheiden muss, wird „Schutzengel“ und Vertrauter in Sachen Arzneimittel. Er führt – mit Einverständnis des Versicherten – eine Liste aller für ihn abgegebenen Arzneimittel einschließlich der Selbstmedikation und checkt diese auf Wechsel-, Neben- und Doppelwirkungen; bei Auffälligkeiten kontaktiert er den Hausarzt. Mit der Einführung eines Hausapothekers soll die Arzneimittelsicherheit erhöht und so das Risiko von Todesfällen und Krankenhauseinweisungen durch unerwünschte Arzneimittelwechselwirkungen halbiert werden. Während bislang der Hausarzt zwar im Idealfall die gesamte Krankheitsgeschichte des Patienten kenne, die Medikationsgeschichte aber nur teilweise, kann er letztere künftig in toto (?) von dem Hausapotheker erfahren. Der prüft im Modell die Medikamente auf gegenseitige Unverträglichkeiten, Stichwort Arzneicheck, liefert bei Bedarf auch nach Hause, Stichtwort Homeservice. Letztlich wird mit dieser Arzneimittelkontrolle die Lücke geschlossen, die einst der Gesetzgeber riss, als er die Versichertenkarte statt Original-Krankenschein einführte und damit den Hausarzt als zentrale Anlaufstelle aushebelte. Jetzt allerdings rückt der Apotheker in die Position dessen, der die Medikation überwacht.

Der Patient wird von dem Therapienetz zwischen Hausarzt und Hausapotheker profitieren, betont der DAV. Es trage zu mehr Sicherheit, Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung bei; Einsparungen von 15 Prozent gegenüber den heutigen Ausgaben werden angepeilt. Direkte Rabattverhandlungen mit Herstellern von Arzneimitteln sollen weitere Ersparnisse liefern. Ein unabhängiges Institut soll das Verfahren wissenschaftlich begleiten. Der Apotheker wird laut BEK an Einsparungen aus dem gemeinsamen Vertrag beteiligt.

Hermann S. Keller, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), betont, Kosten und Wettbewerb bestimmten allerdings zu oft die Diskussion. Die so genannten Leistungserbringer würden bislang in Konkurrenz zueinander geschickt. „Wenn aber Apotheker und Ärzte ihre Hauptenergie in den Wettbewerb steckten, beschäftigten sie sich zu sehr mit der Konkurrenz untereinander und der Patient kommt dann zu kurz“, meint Keller. Und weiter: „Also versuchen wir Apotheker gemeinsam mit Ärzten und der Barmer Ersatzkasse ein verbessertes integriertes System zu formen“. Fiedler und Richter von der BEK geben sich begeistert: „Dieses neue Produkt regelt eine patientenzentrierte hausärztliche-/Hausapotheken- Versorgung auf der Basis eines Integrationsvertrages und deckt gleichzeitig die Erwartungen des Gesetzgebers nach einer hausarztorientierten Versorgung ab.“ Klartext: die BEK geht als erste Kasse bundesweit in das bisherige Hoheitsgebiet „Vertragsregelung“ der KVen.

Der zahnärztliche Sektor aber bleibt von dem Modell unberührt, denn „Alle Zahnärzte sind Hauszahnärzte“, wie die KZBVSpitze die Debatten um Hausarztmodelle bereits im Sommer kommentierte.

Grünes Licht von Ulla Schmidt

Als Durchbruch zu mehr Qualität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit lobte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt prompt die drei Vertragspartner für das erste bundesweite Modell. Schließlich werden erstmalig bundesweit die Offerten aus dem GMG ausprobiert. Auf der Basis der Integrierten Versorgung würden „Veränderungen im Gesundheitswesen für viele Menschen erlebbar“. Dabei gehe es nicht allein um die bessere Abstimmung der ärztlichen Versorgung mit dem Hausarzt als Lotsen. Durch die Hausapotheke würden vor allem die Bedingungen für eine rationale Arzneimitteltherapie verbessert.  

Schmidt sieht als Basis die neuen Möglichkeiten aus Hausarztzentrierung und integrierter Versorgung an: „Solchen Modellen, die Qualität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit verbinden, gehört die Zukunft … Die Praxis gibt den Innovationen Recht. Die Versicherten nehmen die neuen Angebote an.“ Die regionalen Hausarztmodelle der Ortskrankenkassen in Sachsen-Anhalt und Baden- Württemberg 2004 hätten rasch starken Zuspruch gefunden bei Hausärzten wie bei Patienten. Damit rechne sie auch bei dem BEK-Modell: „Die Verkrustungen im deutschen Gesundheitswesen werden aufgebrochen. Der Reformzug gewinnt an Fahrt. Ich fordere alle Verantwortlichen im Gesundheitswesen auf, die Signale für Veränderungen auf Grün zu stellen“, ergänzt Ulla Schmidt.

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