Deutscher Zahnärztetag - zm-Interview mit Dr. Fedderwitz, Prof. Dr. Dr. Meyer und Dr. Dr. Weitkamp

Stellung beziehen, einvernehmlich handeln

Der vierte Deutsche Zahnärztetag (in Erfurt vom 23. bis 25. November 2006) lässt deutliche Positionen zur Entwicklung im deutschen Gesundheitswesen erwarten. Zentralveranstaltung, BZÄK-Bundesversammlung, KZBV-Vertreterversammlung wie auch das wissenschaftliche Programm und die Hauptversammlung der DGZMK demonstrieren Richtung Politik und Gesellschaft berufspolitische Einheit und eine hohe Leistungsfähigkeit des Berufsstandes. Die zm sprachen mit den Organisationsspitzen Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, Dr. Jürgen Fedderwitz und Prof. Dr. Dr. Georg Meyer über Stand, Selbstverständnis und Ausrichtung der Zahnärzteschaft im politisch so prekären Umfeld

um vierten Mal veranstalten die großen Interessensvertretungen der Zahnärzteschaft gemeinsam den Deutschen Zahnärztetag. Herr Dr. Weitkamp, hat sich dieses Großereignis in der Zahnärzteschaft inzwischen etabliert?

Dr. Weitkamp:Vieles spricht dafür. Dass wir bereits zum vierten Mal diesen Jahres- Event unter einem Dach umsetzen, bringt inzwischen auch andere ins Nachdenken. Ich jedenfalls bin überzeugt, dass die auch von außen gut wahrnehmbare Gemeinschaft des Berufstandes uns gesellschaftlich wie politisch großen Nutzen bringt.

zm:Große Gemeinschaften scheinen – zumindest im Widerstand gegen die aktuellen Pläne der Bundesregierung zur Gesundheitsreform – wieder eine Rolle zu spielen. Aber trotz lautstarker und radikaler Proteste aus fast allen Teilen der Gesellschaft hat die große Koalition ihren Minimal-Konsens zur Gesundheitsreform retten und auf die politische Entscheidungsagenda heben können. Jetzt reden Teile der Ärzteschaft von Boykott. Wird die Zahnärzteschaft ähnliche Töne einschlagen?

Dr. Weitkamp:Man muss wissen, dass die Gemeinschaft, wie wir Zahnärzte sie seit Jahren kennen und praktizieren, sehr spezifisch ist. Eine so breit gefächerte, stark diversifizierte Interessenslage wie beispielsweise in der Ärzteschaft gibt es in unserem Beruf – trotz aller Spezialisierungsmöglichkeiten – nicht. Spezifisch ist aber auch, dass es eine Reihe gesonderter gesetzlicher Regelungen für Deutschlands Zahnärzte gibt. Sicherlich haben wir mit Allgemeinärzten eine gemeinsame Basis, auch die gemeinsame Überzeugung, dass die jetzt anstehenden Gesetze unglaublich stark Richtung Staatsmedizin drängen. Dennoch sind wir bereit, exakt zu differenzieren. Die Festzuschüsse zum Beispiel haben uns zumindest in einem Teilbereich andere Voraussetzungen geschaffen. Hier wird die Kostenerstattung für uns Freiberufler andere Möglichkeiten eröffnen.

zm:Festzuschüsse und Kostenerstattung sind „big Points“, die von der zahnärztlichen Phalanx in der politischen Diskussion gemeinsam vorangetragen werden. Die Festzuschüsse im Zahnersatz sind politisch mittlerweile in trockenen Tüchern und allgemein anerkannt. Das macht Mut. Herr Dr. Fedderwitz, wo geht es für die KZBV weiter?

Dr. Fedderwitz:Ja, das Festzuschuss-System ist etabliert, jetzt geht es mehr um die Feinabstimmung: weniger kompliziert, dafür transparenter. Und sicher hier und dort eine überfällige Korrektur und Anpassung. Der ZE-Motor läuft zunehmend rund, davon sind inzwischen fast alle Beteiligten überzeugt. Wie der Festzuschuss-Motor in andere Karossen passt, müssen wir allerdings erst genau prüfen. Klar ist, dass wir mit den Festzuschüssen auf dem richtigen Weg sind. Aber in der aktuellen gesundheitspolitischen Großwetterlage ist für jedes denkbare Modell anderer Festzuschussbereiche exakte Vorarbeit erforderlich. Die DMS IV (s. Titelstory dieser Ausgabe, Anm. der Redaktion) zeigt, welche Herausforderungen wir in den kommenden Jahren annehmen müssen. Der Kampf gegen die Karies ist eine beeindruckende Erfolgsgeschichte, den gegen Parodontitis müssen wir mit vereinter Kraft verstärkt angehen – auch indem wir den Gesetzgeber überzeugen, dass er mit den bisherigen Antworten der GKVen zu diesem Thema nicht mehr zurecht kommen wird.

Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, Präsident der Bundeszahnärztekammer

zm:Herr Prof. Meyer, der diesjährige wissenschaftliche Kongress der DGZMK unter dem Generalthema „Entscheidungsfindung in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ stellt auch für den Bereich der Parodontologie den aktuellen wissenschaftlichen Stand zur Diskussion. Die in Zusammenarbeit von BZÄK, KZBV und Wissenschaft erstellte Neubeschreibung der Zahnheilkunde stellt den Stand der Möglichkeiten dar. Sind Deutschlands Zahnärzte für die künftigen Herausforderungen gut gerüstet?

Prof. Dr. Meyer:Soweit es rein fachlich das synergetische Zusammenwirken von Wissenschaft und Berufspolitik betrifft sowie den notwendigen Wissenstransfer zwischen den Hochschulen und den Praxen, sehe ich derzeit keine Defizite. Den weiteren Herausforderungen durch die Rahmenbedingungen der Gesundheitspolitik des Bundes für die Praxis und die der Kultusminister für die Hochschulstandorte stehen die drei großen Organisationen der deutschen Zahnmedizin jedenfalls in sich geschlossen gegenüber. Die politische Akzeptanz etwa der gemeinsam erstellten Neubeschreibung der ZMK wird sich jedoch erweisen müssen, da sind dann mehr als bloße Lippenbekenntnisse gefragt. Wie weit erkennt Politik die von uns eingebrachten und wissenschaftlich abgesicherten Leistungsbeschreibungen im Bereich einer präventionsorientierten ZMK konkret an? Unser Kongressthema zum DZT „Entscheidungsfindung in der ZMK“ lässt sich deshalb auch als Anspruch an die Regierung übertragen, auch wenn es sich in Erfurt natürlich auf diagnostische und therapeutische Themenbereiche bezieht. Die zahnmedizinische Wissenschaft unterstützt inzwischen die Berufspolitik nach besten Kräften – und das war nicht immer so.

Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, Präsident der Bundeszahnärztekammer

zm:Einig sind sich Wissenschaft, BZÄK und KZBV, dass die Neubeschreibung und die daraus resultierenden Positionen die eigentliche Maßgabe für die zahnärztliche Versorgung darstellen müssen. Halten diese Maßstäbe Eingang in die anstehende Novellierung der GOZ, Herr Dr. Weitkamp?

Dr. Weitkamp:Wir haben aus der Neubeschreibung das Verzeichnis zahnärztlicher Leistungen ganz innovativ entwickelt und diese auf Basis einer präventionsorientierten Zahnheilkunde erstellte Leistungsbeschreibung in die derzeitige Diskussion eingebracht. Die Politik, die jetzt am Zug wäre, hat sich noch nicht eindeutig und abschließend geäußert, wie sie mit dieser auf wissenschaftlicher Basis erstellten Neukonzeption umgehen will. Auffällig ist, dass die Arbeitsgruppe GOZ im Bundesgesundheitsministerium sich in diesem Umfeld gegenwärtig recht starr zeigt. Die Politik weiß, dass wir Flickenteppiche in der qualitativ und wissenschaftlich so starken zahnmedizinischen Versorgung nicht mittragen werden. Diese anerkannt hohe Qualität ist nicht zum Nulltarif einzustreichen.

zm:Der Gesetzgeber will seine Schranken für andere Praxisformen und auch die Bildung von Praxisketten künftig aufheben. Wird mit diesen Plänen ein Dammbruch der herkömmlichen Versorgungsstrukturen eingeleitet?

Dr. Fedderwitz:Wir haben jedes Bemühen der Politik nach mehr Liberalisierung und Flexibilisierung begrüßt und unterstützt. Jetzt scheint der Gesetzgeber auf halbem Wege stecken zu bleiben: Wer Zweigpraxen KZV-übergreifend will, muss konsequenterweise auf Schraubzwingen wie Budgets und Degression verzichten. Wer Praxisketten zulassen will, entscheidet sich auch für einen Einzug von grundkapitalgesteuerten Versorgungsformen.

Wir als Interessensvertreter dürfen diese Wege nicht verbauen, müssen aber vor allem auch darauf achten, dass die normalen Praxen im Wettbewerb bestehen können. Letztlich darf ein Zahnarzt in der Ausübung seiner zahnmedizinischen Tätigkeit nicht durch Dritte eingeengt werden. Deshalb gilt es, weitere, rein ertragsmotivierte Übergriffe Dritter auf die Therapiefreiheit und das Direktverhältnis zwischen Zahnarzt und Patient zu verhindern.

Dr. Weitkamp:Entscheidend ist, dass der Beruf des Zahnarztes ein freier Beruf bleibt. Der freiberuflich tätige Zahnarzt in eigener Praxis hat hier das Anrecht auf Unterstützung, damit er in diesem politisch initiierten und gewollten Wettbewerb mit ebenso langen Spießen ausgerüstet ist wie seine jetzt herbeigerufenen Wettbewerber.

zm:Der in der zahnmedizinischen Versorgung vom Gesetzgeber provozierte – angesichts der politischen Rahmenbedingungen eher ,unlautere’ – Wettbewerb schafft in den Praxen neue Druckelemente. Deutschlands Universitäten haben auf Grund der stiefmütterlichen Bildungspolitik seit Jahren zu kämpfen. Herr Prof. Meyer, wird Deutschlands zahnmedizinische Forschung und Wissenschaft die Sparmentalität von Staat und Ländern aushalten und sich international behaupten können?

Prof. Meyer:Nein, ich fürchte, das wird sie nicht. Und wir brauchen uns gar nicht in die Zukunft zu flüchten, bei Licht besehen halten unsere zahnmedizinischen Hochschulstandorte diesen würgenden Sparstrumpf mit einer ausufernden Bürokratie und der mangelnden Flexibilität des Öffentlichen Dienstes schon heute nicht mehr aus. Frustierte Kollegen suchen da über kurz oder lang das Weite. Die Auswanderungszahlen aus Deutschland insgesamt erreichen in diesem Jahr Rekordwerte der unmittelbaren Nachkriegszeit. Und darunter sind sowohl gut ausgebildete Zahnmedizinerinnen und –mediziner als auch hochqualifizierte Lehrstuhlinhaber, die in jüngerer Vergangenheit ins Ausland gegangen sind oder das konkret planen. Allein aus Greifswald sind mir zwei Fälle bekannt: ein junger Zahnmedizin- Professor ist nach London gewechselt, ein Privatdozent hat kürzlich eine Stelle an einer australischen Universität angenommen. Etliche gut ausgebildete Zahnärztinnen und -ärzte hat es in die skandinavischen Länder oder nach Großbritannien gezogen. Einen solchen Kompetenz-Exodus können wir bei Lehrstuhlinhabern nur für wenige Jahre kompensieren. Wenn das so weitergeht, hängen andere Länder uns in Forschung und Wissenschaft ab – mit unseren dann ehemals eigenen Leuten. Und hinzu kommt: Die Rahmenbedingungen an den Hochschulen werden immer unattraktiver, beispielsweise durch deutliche Rückstufung der Gehaltsgruppen, Stellenkürzungen und Erhöhungen der Lehrdeputate. Zugleich wird das Ringen um Forschungsmittel immer härter.

zm:Die große Koalition will mit einem Wust an Neuordnungen über unterschiedliche gesetzliche Schienen das GKV-Sachleistungssystem über die nächsten Jahre retten. Die zahnärztliche Praxis wird damit schon im Jahr 2007 mit ganz anderen Voraussetzungen konfrontiert. Herr Dr. Weitkamp, welche Hilfen für den Praxisalltag erhoffen Sie sich vom diesjährigen Deutschen Zahnärztetag?

Dr. Weitkamp:Die Delegierten werden sich den aus dem Gesetzeswerk erwachsenden Fragen stellen, die Implikationen diskutieren und, so erwarte ich es, klare Positionen beziehen, die uns in unseren Verhandlungen mit der Politik unterstützen. Was der Gesetzgeber diesmal auftischt, ist eine eindeutige Kursänderung Richtung Staatsmedizin. Das erfordert deutliche Kritik und Widerstand. Wir dürfen als freiberufliche Zahnärzte nicht unreflektiert nur allgemeinen Protest artikulieren. Kritik ja, auch Verweigerung, aber da, wo sie für unsere spezifischen Verhältnisse sinnvoll ist. Wo sich – wie in den Übergriffen auf das PKVSystem – ein gesetzgeberischer Kahlschlag abzeichnet, brauchen wir klaren Widerstand auf der einen, aber auch eine dezidierte Aufklärung über die Folgen auf der anderen Seite.

Dr. Fedderwitz:Gegenwärtig sind die Absichten des Bundesgesundheitsministeriums, ein Einheitssystem unter strikter staatlicher Kontrolle zu schaffen, auch in der Politik noch nicht ausdiskutiert, die Tore für Auswege aus dem Desaster also noch nicht endgültig geschlossen. Es ist unsere Pflicht, in Erfurt die gegenwärtige Situation einer nüchternen Analyse zu unterziehen und daraus Handlungsmaximen für unser direktes, aber auch für unser mittel- und langfristiges Handeln zu entwickeln. Bisher haben Deutschlands Zahnärzte immer ihren eigenen, spezifischen Weg durch den Dschungel staatlicher Reglementierungen genommen – das aber in ausdrücklicher berufspolitischer Einheit auf Bundes- wie auf Landesebene. Dieser Weg war oft individuell, aber bisher weitgehend erfolgreich. Hier muss auch Erfurt entsprechende Signale setzen.

zm:Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte zm-Chefredakteur Egbert Maibach-Nagel

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