Jugendschutz im Netz

Falsche Freundin

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Magersucht verherrlichen? Klingt makaber – viele Kids steigen aber voll auf diesen Trend ein. Vor allem junge Mädchen erheben die Essstörung in Internetforen zum Lifestyle. Die bekannteste Online-Community der Magersuchtfans nennt sich Pro Ana – kurz für pro Anorexia. Ein gefährliches Spiel mit der eigenen Gesundheit, vor dem jetzt auch die Internetfahnder von www.jugendschutz.net warnen.

Eine beunruhigende Bilanz: Acht von zehn Pro-Magersucht-Websites – insgesamt 270 wurden untersucht – sind für die Betroffenen gefährlich. In seinem ersten Bericht zur Verherrlichung von Essstörungen im Internet warnt jugendschutz.net vor den Seiten der Ana-Bewegung. Sie bestätigten Jugendliche „in ihrer oft lebensbedrohlichen Magersucht und können diese sogar noch verstärken“, sagte Katja Rauchfuß, Sprecherin der Organisation, die 1997 von den Jugendministern der Bundesländer gegründet wurde.

Post von Ana

Die Anas, wie sich die Anhängerinnen des Magerwahns selbst nennen, sind meist zwischen zwölf und 20 Jahren alt. In Foren tauschen sie Tipps aus, wie man möglichst schnell möglichst viele Kilos verliert, das Hungergefühl bekämpft und den Gewichtsverlust vor Familie und Freundeskreis verbirgt. Sie kreieren „Thinspiration“-Videos, in denen der eigene und andere abgemagerte Körper als Idealbild glorifiziert werden.

Wie perfide sich der Schlankheitswahn in den Köpfen der Pro-Ana-Anhänger festsetzt, drückt unter anderem der im Internet kursierende „Brief von Ana“ aus, in dem die Krankheit in der ersten Person von sich spricht: „Erlaube mir, mich vorzustellen. Mein Name, oder wie ich von sogenannten Ärzten genannt werde, ist Anorexie. Mein vollständiger Name ist Anorexia nervosa, aber du kannst mich Ana nennen. Ich hoffe, wir werden gute Freunde. In nächster Zeit werde ich viel Zeit in dich investieren und ich erwarte das Gleiche von dir.“ Die neue, beste Freundin übernimmt sofort das Kommando und lässt keine Zweifel über die Marschrichtung: „Ich folge dir den ganzen Tag durch. In der Schule, wenn du dich nicht konzentrieren kannst, gebe ich dir etwas zum Nachdenken: Zähle die Kalorien für den Tag nach. Es sind zu viele. Ich fülle deinen Kopf mit Gedanken über Essen, Gewicht und Kalorien. Denn jetzt bin ich bereits in dir. Ich bin in deinem Kopf, deinem Herzen, deiner Seele.“ Die fiktive Ana – es gibt auch eine Mia, angelehnt an Pro-Bulimie – ist sich nicht zu schade, mit Liebesentzug zu drohen: „Wenn du dich entschließt, gegen mich anzukämpfen, zu jemandem zu gehen und ihm zu sagen, was ich mit dir mache, wird die Hölle los sein. Niemand darf es herausfinden! Niemand kann diesen Panzer, mit dem ich dich beschützte, knacken. Ich habe dich geschaffen, dieses dünne, perfekte, seine Ziele erreichende Kind. Du gehörst mir. Mir ganz allein! Ohne mich bist du nichts mehr. Also kämpfe nicht gegen mich an.“

Viele Betroffene beteuern, dass der Brief kaum eine Rolle für sie spiele. Es sei einfach so, dass sie sich für die Krankheit als Lebensweg entschieden hätten. Dennoch: In Manifesten wie Anas Brief schlägt sich mangelnde Krankheitseinsicht nieder. Die Betroffenen nehmen die Risiken ihrer Essstörung bewusst in Kauf. Sogar, dass sie daran sterben könnten. Diese Entschlossenheit spiegeln auch die Pro-Ana-Seiten wider, auf denen die Mädchen Gleichgesinnte treffen, mit denen sie sich über ihren Way of Life austauschen können. Die Foren sind schwer zu finden, anders Denkende sollen außen vor bleiben – und die Anas unter sich.

Manche Therapeuten bewerten diese Online-Communitys als teilweise positiv, gäben sie den Betroffenen doch die Möglichkeit, ihr Schweigen zu brechen, ohne Scham über die Magersucht zu sprechen und sich gegenseitig zu unterstützen. Aber: Zentrales Identifikationsmerkmal ist der Wille zu hungern. Dafür gibt es Support und nicht zum Durchbrechen des Magerwahns. Dadurch halten die Foren die Dynamik der Krankheit in Gang und das macht sie so gefährlich.

Magere Aussichten

Gegen solche Angebote geht jugendschutz. net jetzt entschlossener vor. Laut eigenen Angaben hat die Organisation in 70 Prozent der Fälle Erfolg, und die Provider sperren die Seiten. Hier wünscht sich jugendschutz. net jedoch noch deutlich mehr Engagement. Die Anbieter von Internetdiensten müssen „solche Foren, Gruppen, Blogs oder Videos in ihren Geschäftsbedingungen untersagen, sie löschen und statt dessen auf seriöse Beratungsangebote wie magersucht.de oder magersucht-online.de verweisen“, fordert Sprecherin Rauchfuß. Derzeit arbeiten die Fahnder an Tipps, wie Provider verantwortungsvoll mit Pro-Ana-Angeboten umgehen. Helfen kann aber auch jeder User, der beim Surfen auf eine schädliche Seite stößt, und die URL unterwww.jugendschutz.net/hotlinemeldet. Ob Bewegungen wie Pro-Ana oder Pro-Mia dadurch gestoppt werden können, dass man die entsprechenden Webseiten löscht, bleibt fraglich. Die Zahl der Foren und Blogs ist unüberschaubar, und ein neuer Provider lässt sich immer schnell finden.

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net

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