CSU-Wahlprogramm

Kehrtwende in der Gesundheitspolitik

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Die CSU will den „Weg in eine zentralistisch gesteuerte Einheitsversorgung“ beenden. Mit ihrem aktuellen Papier „Für eine solidarische und menschliche Medizin“ vollzieht die Partei nicht nur eine Kurskorrektur, sondern eine Kehrtwende ihrer bisherigen Gesundheitspolitik.

Die Parteispitze reagiert damit auch auf die Wahlschlappe, die ihr bei der Landtagswahl im Herbst 2008 vor allem die bayerischen Hausärzte bescherten. Die Folge war ein Verlust der absoluten Mehrheit. Denkbar auch, dass die Koalition mit der FDP in Bayern – mehr noch die Aussicht auf ein schwarz-gelbes Regierungsbündnis nach der Bundestagswahl im Herbst – zu neuen Erkenntnissen geführt hat.

Für viele Gesundheitspolitiker in der CSU bleibt die Parteiführung jedoch – insbesondere Gesundheitsminister Dr. Markus Söder – hinter den selbst geweckten Erwartungen zurück. Söder hatte sich mit seinen vollmundigen Ankündigungen eines radikalen Umbaus im Gesundheitssystem darauf verlassen, dass auch Ministerpräsident Horst Seehofer, gestern noch glühender Befürworter des Gesundheitsfonds, die Kehrtwende mit vollzieht. Der jedoch schreckte vor Kritik an der Bundesregierung – wohl auf Intervention von Kanzlerin Angela Merkel auf der CSU-Klausurtagung Anfang April – wieder einmal zurück. So bleibt vieles im Ungefähren.

Immerhin sieht die CSU-Spitze das deutsche Gesundheitswesen nicht länger als Kostentreiber, sondern würdigt den Beitrag der Leistungsträger zum Bruttoinlandsprodukt. Rund 10,6 Prozent davon werden durch die Gesundheitsbranche erwirtschaftet. Damit zählt die Gesundheitsversorgung zu den krisenfesten Zukunftsbranchen schlechthin. Dennoch bedeuten permanente bürokratische Eingriffe eine Gefahr für das Gesundheitssystem. Allerdings stellt sich die CSUParteiführung ihrer eigenen Verantwortung für die Überreglementierung nur zögerlich. Nein, nicht einzelne Maßnahmen – zu denken wäre an die unter Seehofer eingeführte Budgetierung –, sondern „die Summe der Eingriffe“ zwinge zu einem Neuanfang.

So richtig die Feststellung ist, der von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt eingeschlagene Weg führe in eine zentralistisch gesteuerte Staatsmedizin, so richtig bleibt auch der Fakt, dass die Union insgesamt – bis auf wenige Ausnahmen, darunter der heutige Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) – bei der Schlussabstimmung über das GKV-Wirtschaftlichkeitsstärkungsgesetz (GKV-WSG) im Deutschen Bundestag diesen Kurs unterstützte. Heute meint die CSU-Spitze dazu: „Dieser Weg verunsichert die Patienten, aber auch die Krankenkassen und die Leistungserbringer, insbesondere die Ärzte, Psychotherapeuten, Zahnärzte, Pflegekräfte, Apotheker und Physiotherapeuten.“

Plötzlicher Sinneswandel

Im Rahmen eines „bürgerlich-föderalen Gesundheitsmodells“ fordert die CSU jetzt einen Neustart. Ziel bleibt, die medizinisch erforderliche Versorgung, einschließlich Spitzenmedizin, für jeden Patienten zu gewährleisten, unabhängig von Einkommen, Alter und Herkunft. Grundlage dafür sollen Regeln einer sozialen Medizinwirtschaft bilden. Das CSU-Modell geht von der aktuellen Versorgungsrealität aus und verfolgt – schlagwortartig zusammen gefasst – folgende Prinzipien: Therapie statt Bürokratie, Regionalität statt Zentralismus und Freiberuflichkeit statt Staatsmedizin, also eine Entideologisierung der Krankenversicherung.

Zumindest in diesen Überschriften folgt die Parteiführung den Beschlüssen ihres Gesundheitspolitischen Arbeitskreises (GPA). Der hatte bereits im März vergangenen Jahres gefordert, den Gesundheitsfonds und den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich sowie den bundeseinheitlichen Orientierungspunktwert nicht umzusetzen. Vor Verabschiedung des Gesetzes im Dezember 2006 hatten auch die Heilberufe-Kammern in Bayern, angeführt vom Präsidenten des Verbandes Freier Berufe, Dr. Wolfgang Heubisch (heute Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kultur), den damaligen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber aufgefordert, der Gesundheitsreform nicht zuzustimmen und ausdrücklich vor einer „Verstaatlichung der Selbstverwaltung“ gewarnt. Entgegen allen Versprechungen blieb diese Intervention ohne Konsequenzen; zu sehr fühlte sich die CSU-Spitze damals noch nächtlichen Vereinbarungen im Berliner Koalitionsausschuss verpflichtet.

Versprechen im Konjunktiv

Auch in ihrem aktuellen Papier zur Gesundheitspolitik scheut die CSU-Spitze klare Aussagen. Sollten nach Einführung des Fonds die Patienten schlechter versorgt werden und Ärzte weniger Geld bekommen, dann – so heißt es – „müsste der Gesundheitsfonds ersetzt werden“. Als Alternative „könnten künftig die Krankenkassen wieder die Autonomie erhalten, eigene Beiträge festzusetzen und zu erheben“. Die Pluralität bei den gesetzlichen Kassen, die Auswahl von Zusatzversicherungen und die private Krankenvollversicherung „könnten dabei erhalten bleiben“. Die vielen Konjunktive machen deutlich, dass die CSU und mit ihr die Union insgesamt noch nicht wissen, wohin sie der Weg in der Gesundheitspolitik führen wird. Andere Formulierungen sind in erster Linie als Reaktion auf aktuelle Proteste der Ärzteschaft zu verstehen. Zu diesen Forderungen zählt beispielsweise, die geltende Honorarordnung durch eine neue Gebührenordnung für Vertragsärzte, „die sich an die private Gebührenordnung für Ärzte anlehnt“, zu ersetzen. Droht damit eine Einheits-Gebührenordnung? Dann wäre man von der Bürgerversicherung à la SPD nicht weit entfernt. Vage und unbestimmt bleibt auch die Aussage, am Sachleistungsprinzip grundsätzlich festhalten zu wollen. Im selben Atemzug nämlich fordert die CSU die Transparenz der Abrechnung gegenüber den Patienten. Das bedeutet doch wohl Kostenerstattung?

Nicht nur Hausärzte, sondern auch Fachärzte sollen künftig – außerhalb der Kassenärztlichen Vereinigung – Versorgungsverträge mit den Krankenkassen abschließen können. Nach dieser Logik will die CSU die „Zwangsmitgliedschaft“ in den Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen ebenso auf den Prüfstand stellen, wie ihren Körperschaftsstatus. Durch eine Neuregelung der vertragsärztlichen Vergütung hätten die KVen die „Chance, sich als Interessensvertreter für die Ärzteschaft neu zu etablieren“. Letzteres wird aber kaum dadurch erreicht, dass man das Verhandlungsmandat der Körperschaften in Frage stellt. Diffus bleibt auch das Bild von KV oder KZV, die „als Dienstleister insbesondere Qualitätsstandards weiter definieren, Ärzte qualifizieren und für Beratungen zur Verfügung stehen“ sollen.

Spannend wird es, wie die CSU-Spitze zur künftigen Finanzierung des Gesundheitssystems Position bezieht. Um Rationierungen zu vermeiden, plädiert man für einen „ausgewogenen Mix aus Beiträgen, sozialverträglichen Selbstbeteiligungen und Steuermitteln“. Dabei sollen die Steuern zum Ausgleich für gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf Dauer weiter erhöht werden. Dies gilt insbesondere für eine beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und nicht berufstätigen Ehegatten. Ob die geplanten 14 Milliarden Euro dafür reichen, darf bezweifelt werden. Populismus pur ist die Ankündigung, „die seniorenmedizinischen Angebote und Hilfestellungen, zum Beispiel Haushaltshilfen für kranke Senioren, auszubauen“. (Der Vorschlag, das „betreute Schlafen“ von Senioren zu bezuschussen, kann angesichts der demografischen Entwicklung nur noch als Realsatire durchgehen.)

Nach Auffassung der CSU-Spitze sollen die Versicherten stärker als bislang in die Wahl ihrer Versicherungsleistungen eingebunden werden. Die private Krankenvollversicherung bleibt demnach erhalten. So eindeutig diese Aussage, so mehrdeutig der darauffolgende Satz des CSU-Programms: „Auf der Ausgabenseite sollen an die Stelle von staatlicher Budgetierung und Rationierung Transparenz, hohe Qualitätsstandards und Wettbewerb treten.“

Gemessen an den vagen Äußerungen der Parteispitze enthält das Papier des GPA-Landesvorstandes, dem Vertreter aller Gesundheitsberufe, Kammern, Krankenkassen- und -versicherungen sowie einzelner Berufsverbände angehören, eine Vielzahl von Konkretisierungen. Dort wird vor allem gefordert, die Entscheidung über die Teilhabe am medizinischen Fortschritt von der Politik hin zu den Patienten sowie Leistungs- und Kostenträgern im Gesundheitswesen zu verlagern. Jeder Einzelne müsse zunächst seinen Beitrag zur Gesunderhaltung leisten. Solidarischer Versicherungsschutz – so heißt es im Grundsatzpapier des GPA – „ist dort notwendig, wo Krankheiten finanzielle Risiken bedeuten, welche die Leistungsfähigkeit des Einzelnen übersteigen“. Die Solidargemeinschaft der Versicherten – nicht die Politik, nicht der Staat – müsse sich auf einen Katalog verständigen, der diese Leistungen klar definiert und auch die Frage beantwortet, welche Beitragsmittel erforderlich sind, um diese Leistungen zu erbringen.

RA Peter Knüpper, Hauptgeschäftsführer derBayerischen Landeszahnärztekammer,Fallstraße 34, 81369 München

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