Medizinhistorisches Museum der Charité

Goldgefüllt und perlengleich – 300 Jahre Zahnmedizin in Berlin

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Heftarchiv Gesellschaft
pr
Vor 180 Jahren wurde die Zahnheilkunde in Berlin mit der Einrichtung eines Studiums in akademische Bahnen gelenkt. Vor 125 Jahren wurde das Zahnärztliche Universitätsinstitut eröffnet und vor 90 Jahren wurde in Berlin der erste Zahnarzt promoviert: Anlass genug für das Medizinhistorische Museum der Charité, die Ausstellung „Goldgefüllt und perlengleich: 300 Jahre Zahnheilkunde in Berlin“ zu zeigen.

Ein martialisches Gemälde empfängt den Besucher: Eine Reproduktion zeigt Theodor Rombouts „Zahnreißer“ bei der Arbeit. Einige Schaulustige sehen der Operation schaudernd zu. Im Vordergrund liegen Instrumente, die die Schau in natura präsentiert: eine Mundsperre etwa, die zum Offenhalten im 18. Jahrhundert benutzt wurde, wenn Zähne auszubrennen waren.

Jene Zahnreißer waren Handwerker. Berühmt war Johann Andreas Eisenbarth (1663 bis 1727), der auch Blasensteine, Brüche und Grauen Star operieren konnte und mit Musikern und Schauspielern über Land fuhr. Der Staat reglementierte die Ausbildung solcher medizinischen Tausendsassas zunehmend, Zahnärzte in spe hatten sich vor einer gewählten Medizinerkommission einer Prüfung zu unterziehen. Von 1725 an bestimmte ein Medizinaledikt, ein Privileg des preußischen Königs, wer eine Barbierstube eröffnen durfte.

Auf Distanz zum fahrenden Volk

So distanzierten sich die ersten regelrechten „Zahn-Aerzte“ im 18. Jahrhundert vom fahrenden Volk. Zu ihnen zählte Philipp Pfaff (1713 bis 1766), preußischer Hofzahnarzt Friedrichs des Großen. Pfaff legte 1756 die „Abhandlung von den Zähnen“ vor, sie gilt heute als Fundament der wissenschaftlichen zahnmedizinischen Literatur. Pfaff beschrieb erstmals eine Überkappung vitalen Zahnmarks mit Gold.

Die Erkenntnisse der Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert aus Anatomie, Entwicklungslehre und Mikrobiologie beeinflussten die Zahnmedizin erheblich und wurden Teil des Faches. Von großer Bedeutung war die Anästhesie. Allmählich erhielt die Zahnheilkunde ihren Platz im Kanon der medizinischen Universitätsfächer: Am 20. Oktober 1884 wurde das Zahnärztliche Universitätsinstitut zu Berlin eröffnet.

Die Exponate der Schau reichen von frühem Zahnersatz, gefunden an einem Schädel aus dem 18. Jahrhundert in Berlin, bis zur hypermodernen Praxiseinrichtung. Die damaligen Ersatzzähne waren aus Nilpferdhauern, Aluminium oder – etwas eleganter – Bernstein. Eindrucksvolle Instrumente wie Stoßeisen lassen qualvolle Behandlungen ahnen. Erst in den 1840er-Jahren entwickelte der Engländer John Tomes Zangen, die den anatomischen Verhältnissen angepasst waren.

Damals gab es an die vierzig Zahnärzte in Berlin für etwa 420 000 Einwohner. Ein Stadtplan zeigt, dass sich drei Viertel von ihnen in der Friedrichstadt niedergelassen hatten, also in der Gegend zwischen Leipziger Platz und der Fischerinsel. Die ärmere Bevölkerung im Norden und Osten musste mit ganzen zehn Zahnärzten auskommen. Zahnmedizin war lange eine reine Männerdomäne, von 1908 an durften Frauen in Preußen in der Universität immerhin hospitieren.

Zahnmedizinische Versorgung im Krieg

Auf die zahnmedizinische Arbeitswelt im 20. Jahrhundert konzentriert sich der zweite Raum der Ausstellung: Ein Zelt mit einem Feldstuhl zeigt, wie die Versorgung der Soldaten im Ersten Weltkrieg stattfand. Wachsmodelle und Fotos dokumentieren die schrecklichen Verletzungen durch Granatsplitter. Sie konnten auf dem Schlachtfeld jedoch nur provisorisch versorgt werden, die eigentliche Behandlung begann erst Monate später im Reservelazarett. Eine Fotodokumentation zeigt, wie etliche Operationen ein zerstörtes Gesicht wieder einigermaßen herstellen konnten.

Behandlungsstühle aus 130 Jahren demonstrieren den Fortschritt von der gusseisernen Fußtrittbohrmaschine aus dem 19. Jahrhundert bis hin zur futuristisch anmutenden Liege mit Massagefunktion und fast unsichtbarer Bohreinheit unserer Tage.

Judith MeisnerSüdwestkorso 7612161 BerlinJudithMeisner@web.de

Botschaften zur Eröffnung der Ausstellung

Die Leistung des Fachs im Spiegel der Zeit

Die Berliner Charité wollte zu ihrem 300-jährigen Jubiläum etwas Besonderes zeigen und hat für ihre Ausstellung das Thema Zahnmedizin ausgewählt. Vertreter von Wissenschaft und Standespolitik würdigten zur Eröffnung die Leistung des Fachs im Spiegel der Jahrhunderte.

Die Ausstellung schlage die Brücke von brachialen Methoden und berechtigten Ängsten zu „absoluter Hochleistungszahnmedizin, wie es der Direktor des Medizinhistorischen Museums, Prof. Dr. Thomas Schnalke, bei der offiziellen Eröffnungsfeier am 20. Oktober formulierte. Der Titel „goldgefüllt und perlengleich“ solle auch ein Zeichen setzen gegen die sonst üblichen Assoziationen verbunden mit Schmerzen und vielmehr die Leistungen des Faches in Form, Funktion und Ästhetik übermitteln. Dass eine Berliner Tageszeitung sich nicht davon abhalten ließ, den Beitrag über die Ausstellung mit „au Backe“ zu verbinden, sei allerdings nachvollziehbar: Der größte Teil der Ausstellung zeige eben genau jene Bilder und Gerätschaften, die heute ein Schaudern hervorrufen – für ihre Zeit aber herausragende Innovationen waren.

Die Charité wolle zu ihrem 300-jährigen Jubiläum etwas Besonderes zeigen, sagte der Vorstandsvorsitzende der Charité-Universitätsmedizin, Professor Karl Max Einhäupl, und habe daher das Thema Zahnmedizin in den Fokus gestellt. Er selbst sei, gab er zu, mit den Zahnärzten „nicht immer glimpflich umgegangen“ in seiner zurückliegenden Funktion als Vorsitzender des Wissenschaftsrates und habe von ihr vor allem mehr Anstrengungen in der Forschung verlangt – er sehe allerdings auch, dass die „medizinischen Fächer dabei selbst beteiligt waren, dass die Zahnmedizin oft abgedrängt wurde“. Heute sei es an der Zeit, den einen oder anderen Gedanken wieder auszutauschen und dem Fach und damit auch der Charité „wieder Glanz zu geben wie schon so oft in der Geschichte“. Die neue Ausstellung habe gute Chancen, auch zu einem Erfolg für die Zahnmedizin zu werden.

Bereicherung für die Berliner Zahnärzte

Das Thema „Zahnmedizin an der Charité“ griff Berlins Kammerpräsident Dr. Wolfgang Schmiedel auf und bezeichnete die Ausstellung als eine Bereicherung für die Berliner Zahnärzte, die in den zurückliegenden Jahren vor allem verloren hatten: Den Zahnärzten aus dem Ost-Teil sei die Ausbildungsstätte Schumannstraße genommen worden, den Zahnärzten in Mitte der Standort der „Zahnklinik Nord“, den Zahnärzten in der verbliebenen Klinik in der Aßmannshauser Straße der nur halbwegs ausreichende Platz zum qualitativ hochwertigen Lernen – und dieser Klinik nun auch noch eine verlässliche Zukunft. Gewonnen hätten alle Berliner Zahnärzte mit dieser Ausstellung die Erinnerung an und die Verbundenheit mit ihrer großen gemeinsamen Geschichte: „Wir alle, auch diejenigen, die vieles – manche auch den Boden unter den Füßen – verloren haben, wir haben eine gemeinsame Geschichte, und ich sage bewusst und historisch nachprüfbar, eine ehrenvolle, eine verdienstvolle und nicht zuletzt deshalb eine erfolgreiche Geschichte.“ Der Forderung nach mehr Forschung müsse allerdings die derzeitige Realität durch politische Eingriffe entgegengestellt werden.

Die größte medizinische Disziplin

Welch Fundament Berlin für die deutsche Zahnmedizin war und ist, betonte auch Dr. Peter Engel, Präsident der Bundszahnärztekammer, die mit Beiträgen aus dem eigenen Museumsbestand die Ausstellung im Medizinhistorischen Museum ergänzt hat: Berlin sei vor 150 Jahren der Geburtsort des Zentralvereins der Deutschen Zahnärzte gewesen, aus der die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hervorgegangen sei – heute sei die Zahnmedizin die größte aller medizinischen Disziplinen. Mit einem kurzen Rückblick über die großen Forscher und auch Leistungen der deutschen Zahnmedizin betonte er, dass es kennzeichnend für die Entwicklung des Berufsstandes gewesen sei, dass er ohne jegliche politische Gängelei funktioniert und sich so eindrucksvoll weiterentwickelt habe: „Ich befürchte, die Berufspolitiker überschauen nicht wirklich alle Folgen ihrer Entscheidungen.“ So bedauerlich es sei, Recht habe doch Immanuel Kant mit seinem Satz: „Die Politik ist das Schicksal, und dem müssen wir uns stellen.“ pr/zahndienst.de

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