Gastkommentar

Weg mit den alten Zöpfen

Schneller als den Koalitionspartnern CDU und CSU lieb ist, wird Bundesgesundheitsminister Philip Rösler die liberale Farbe ins Gesundheitswesen bringen müssen, will er nicht am schwierigen Erbe von Ulla Schmidt frühzeitig scheitern, meint Thomas Grünert, Chefredakteur Vincentz Network Berlin.

100 Tage Schonfrist wird es für den neuen Gesundheitsminister Philip Rösler nicht geben. Spätestens wenn nach Jahresanfang das gesundheitspolitische Geschäft in Berlin wieder auf Touren kommt, ist für den freundlichen Mediziner aus Niedersachsen „Schluss mit lustig“. Das hat seinen Grund. Wohl nie zuvor war der Widerspruch zwischen Aufbruchstimmung im Gesundheitswesen und der Hinterlassenschaft eines unterfinanzierten und überregulierten Systems der gesetzlichen Krankenkassen so groß wie zurzeit. Der überwiegende Teil der Akteure ist die Mangelverwaltung in nahezu allen Bereichen des Gesundheits wesens leid. Der Begriff Wettbewerb soll endlich nicht nur im Munde und in den Namen von Gesetzen geführt, sondern tatsächlich im Rahmen eines freiheitlichen Systems ermöglicht werden. Leistungsgerechtigkeit soll endlich auch in einem System möglich werden, dass zu Recht auch das Prinzip des Sozialausgleichs beinhaltet. Das alles wurde mit dem Koalitionsvertrag versprochen.

Verständlich ist, dass vor den NRW-Landtagswahlen im Mai das Problem der einkommensunabhängigen Prämie für alle Versicherten mit dem dazugehörigen Sozialausgleich nicht so zu lösen ist, dass bewusst angeheizte öffentliche Diskussionen nicht kontraproduktiv ausgehen könnten. Deshalb ist eine Regierungskommission der richtige Weg. Der Minister muss, ungeachtet aller Zwischentöne, die mittlerweile aus Bayern dröhnen, Experten benennen, die das Gesundheitswesen auf neue Füße stellen. Der ungeliebte Gesundheitsfonds hatte als Finanzierungsbasis schon mit seinem Start ausgedient. Immer neue Defizite lassen das Instrument zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen zu einem Fass ohne Boden werden. Zudem impliziert der Fonds eine radikale zentralistische Steuerung, die schon im Kerngedanken einer notwendigen innovativen und individuellen Gesundheitsversorgung widerspricht.

Andere Länder wären froh, hätten sie das Gesundheitssystem, das mit der Gesundheitspolitik der letzten Jahre langsam zermürbt wird. Röslers Aufgabe ist es, hier schnell eine Kehrtwende einzuleiten. Auch gesellschaftlich bedarf es eines neuen, gestärkten Bewusstseins um den Wert eines fortschrittlichen und innovationsoffenen Gesundheitssystems.

Strukturellen Fehlentwicklungen gilt es entgegen zu wirken. Dabei dürfte das „Youngster-Team“ im Bundesgesundheitsministerium ruhig etwas mutiger sein. Eine mehr marktorientierte Gesundheitswirtschaft nutzt allen Akteuren und wird auch der Tatsache gerecht, die ihrem Stellenwert als einem der wichtigsten Faktoren der inländischen Wirtschaft entspricht. Eine „Soziale Gesundheitswirtschaft“ könnte zu einem Motor und einer tragenden Säule für den Aufschwung werden.

Nur – wie sagte schon Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Nach der ungewöhnlich langen Phase der Liberalen, ihre Mannschaft für das Ministerium zu finden, muss Rösler jetzt das Heft in die Hand nehmen. Dazu gehört es, gleich Anfang des Jahres einen Orientierungsrahmen zu setzen, der dem ehrgeizigen Plan des Koalitionsvertrags entspricht. Mag sein, dass der Newcomer auf dem Chefsessel des Gesundheitsministeriums noch nicht mit allen Details des „Haifischbeckens Gesundheitswesen“ vertraut ist. Umso wichtiger ist es deshalb, Berater und einen neuen Sachverständigenrat zu etablieren, die die liberalen Ziele aus Überzeugung mittragen. Alte Zöpfe gilt es abzuschneiden, will man sich nicht jeden Ansatz zu einer Neuorientierung zerreden lassen. Gelingt dieses, wird 2010 sicherlich ein gutes Jahr für das deutsche Gesundheitswesen.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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