Gastkommentar

Herr Doktor – die Rechnung bitte

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pr
Die FDP will es gesetzlichen Versicherten erleichtern, sich gegen Rechnung vom Arzt behandeln zu lassen. Die CSU lehnt dies strikt ab. Die CDU sucht zu vermitteln. Die politische Linke und die Krankenkassen mobilisieren Widerstand. Sozialpolitik-Journalist Walter Kannengießer analysiert die Lage.

Kostenerstattung ist das übliche Versicherungsprinzip. Der Versicherte bezahlt die Rechnung und bittet seine Versicherung um Kostenerstattung. Dieses System funktioniert. Das gilt, auch mit gewissen Einschränkungen, für privat versicherte Bürger. Für gesetzlich Versicherte gilt dagegen das „Sachleistungsverfahren“. Der Versicherte legitimiert sich beim Arzt mit der Versicherungskarte. Dieser rechnet dann mit der Kasse ab. Der Versicherte hat allerdings auch die Möglichkeit, sich für die Kostenerstattung zu entscheiden. Der Arzt schreibt seine Rechnung aus, der Patient zahlt und bittet die Kasse um Erstattung. Die gesetzliche Kasse erstattet allenfalls das, was sie als Sachleistung hätte aufwenden müssen. Das ist in der Regel weit weniger, als der Rechnungsbetrag. Kostenerstattung ist teuer. Nur wenige der gesetzlich Versicherten haben sich dafür entschieden.

Das gilt allerdings nicht generell. Die Zahnärzte weisen zurecht daraufhin, dass die Kostenerstattung beim Zahnersatz funktioniere. Sie öffne dem Versicherten die Tür zum medizinischen Fortschritt, ohne dass er seinen Anspruch auf die Kassenleistung verliere. Kostenerstattung bei Zahnersatz lässt sich freilich nicht mit Kostenerstattung in der Praxis niedergelassener Ärzte vergleichen. Die Kosten für Zahnersatz lassen sich in der Regel vor Beginn der Behandlung zuverlässig kalkulieren. In der ärztlichen Praxis sind die Kosten der Behandlung allenfalls dann zu überschauen, wenn die Diagnose gestellt ist. Über die Preise beim Zahnersatz kann man mit dem Zahnarzt sprechen, weil es um präzise, bestimmbare Leistungen geht. Mit dem Arzt wird man bestenfalls über den Multiplikator der Gebührenordnung verhandeln können, sofern dieser nicht durch Gesetz festgeschrieben wird. In unserem, durch die Sachleistung geprägten System, haben weder Patienten noch Ärzte gelernt, über Geld zu reden. Wer nicht abschätzen kann, was an Kosten für die Behandlung auf ihn zukommt, wird dem Arzt auch weiterhin die Versichertenkarte vorlegen. Minister Rösler will mehr Kostenerstattung. Sie schaffe Transparenz und stärke die Eigenverantwortung. Das ist richtig. Doch wer Kostenerstattung attraktiv in das Sachleistungssystem implantieren will, sieht sich einer Reihe kaum überwindbarer Hürden gegenüber. Die Kassen müssen alle Versicherten gleich behandeln. Der Spielraum für Rösler, Kostenerstattung attraktiver zu gestalten, ist damit gering. So kann den Versicherten nicht gestattet werden, kurzfristig je nach individueller Opportunität zwischen Sachleistung und Kostenerstattung oder umgekehrt zu wechseln. Das widerspräche vernünftigen Versicherungsprinzipien. Früher war klar: Kostenerstattung, finanziert mit risikobezogenen Beiträgen, ist das Modell der privaten Krankenversicherung und Sachleistung, finanziert mit einkommensbezogenen Beiträgen, das Modell der gesetzlichen Versicherung. Minister Rösler will diese Unterschiede überwinden. Die Kassen sollen feste Zusatzbeiträge erheben, der Sozialausgleich fließt aus dem Steuertopf, Kostenerstattung wird zu attraktiven Bedingungen angeboten. Das sind Röslers Eckpunkte für einen langen Reformprozess, der bei der Privatisierung der Krankenversicherung enden könnte. Die Koalition erscheint heute jedoch nicht in der Verfassung, einen solchen politischen Kraftakt durchzustehen.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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