Differentialdiagnose eines ausgedehnten Mundhöhlentumors

Epulis mit metaplastischer Ossifikation

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Heftarchiv Zahnmedizin

Ein 76-jähriger Patient wurde uns zur weiteren Abklärung eines ausgedehnten Tumors im linken Unterkiefervestibulum zugewiesen. Bei der Erstuntersuchung war er in gutem Allgemeinzustand. An Allgemeinerkrankungen lag eine medikamentös behandelte arterielle Hypertonie vor.

Intraoral zeigte sich im linken Unterkiefervestibulum ein schmerzloser, derber, ausgedehnter Tumor (Abbildung 1). Die Oberfläche war teilweise epithelial bedeckt, größere Anteile zeigten aber auch ein erosives und granulomatöses Oberflächenrelief. Auffällig waren die enge Lagebeziehung zur Dentition und die fehlende Verschieblichkeit gegen den Alveolarkamm.

Die Unterkieferfrontbezahnung war hochgradig gelockert. Radiologisch (Abbildung 2) imponierten im Orthopanthomogramm (OPG) ein unscharf begrenzter Osteolysebezirk in Regio 32 und 33 sowie eine deutliche periradikuläre Aufhellung an Zahn 43. In Anbetracht des klinischen Erscheinungsbildes wurde als Verdachtsdiagnose eine Epulis angenommen und der Befund zunächst lokal exzidiert. Der Tumor von Pflaumengröße (Abbildung 3a) war überaus fest und zeigte im Anschnitt kleine Hartgewebszonen, die in Abbildung 3b als Rauigkeit auf der Schnittfläche erkennbar werden.

Interessanterweise wurde die klinische Verdachtsdiagnose histologisch zunächst nicht bestätigt, da vor allem eine schwere Fibrose mit Entzündung und Hartgewebsbildung imponierte. In der Zusammenschau der klinischen und der histologischen Befunde ergab sich dann aber abschließend die ungewöhnliche und seltene Diagnose einer fibromyxoiden Epulis mit metaplastischer Ossifikation.

Als ergänzende therapeutische Maßnahme erfolgte anschließend die Entfernung der stark parodontal geschädigten Unterkieferbezahnung 34 bis 43 und die Zystektomie in Regio 43.

Diskussion

Obwohl es sich um ausgesprochen häufige Läsionen handelt, gibt der Begriff der Epulis seit jeher Anlass zu Diskussionen und verursacht einige Schwierigkeiten in der Terminologie. Neben der ursprünglichen Verwendung für unterschiedlichste Läsionen in der Nachbarschaft der Zähne ist die Epulis im engeren Sinne heute ein Sammelbegriff für reaktive Gewebevermehrungen unterschiedlichster Ursachen (traumatisch-irritativ, hormonell oder auch medikamentös). Die große Zahl der analog verwendeten Bezeichnungen (Granuloma teleangiektatikum, pyogenes Granulom, peripheres Riesenzellgranulom, Epulis granulomatosa/ gigantocellularis/fibromatosa) zeigt aber bereits, dass sehr unterschiedliche Vorstellungen zur Pathogenese und zum histopathologischen Korrelat existieren. So wurde beispielsweise der Begriff des pyogenen Granuloms von Hartzell im Jahre 1904 eingeführt, nachdem das klinische Phänomen bereits 60 Jahre zuvor von Hullihen im Jahre 1844 beschrieben worden war. Die Bezeichnung „pyogenes“ Granulom war und ist allerdings irreführend, da es sich nicht um eine putride-infektiöse Erkrankung handelt [Jafarzadeh et al., 2006].

Darüber hinaus führen die Formvarianten immer wieder zu Problemen der klinischen und sogar gelegentlich auch der histopathologischen Einordnung. Im Rahmen dieser Fortbildungsreihe hatten wir bereits einmal über einen ähnlichen Fall berichtet, bei dem initial die histopathologische Diagnose eines ossifizierenden fibromyxoiden Tumors (OMFT) gestellt wurde und letztlich erst die Referenzpathologie zu einer Neubewertung der Läsion geführt hatte [Klein und Kunkel, 2007]. Die Ähnlichkeit des klinischen Erscheinungsbildes (Abbildung 4) ist gut erkennbar und erlaubte beim aktuellen Fall trotz der ungewöhnlichen Größe eine unmittelbare klinische Verdachtsdiagnose. Charakteristisch sind der direkte Bezug zum Parodont, die derbe Konsistenz und die Oberflächentextur, die neben Zonen einer glatten Epithelisierung auch erosive, fibrinbelegte Areale enthält. Therapeutisch ist immer die chirurgische Entfernung erforderlich, wobei eine relevante Rezidivrate beobachtet wird. Daher bedarf es regelmäßiger Verlaufskontrollen.

Für den Praxisalltag soll der Fall vor allem darauf hinweisen, wie wichtig das klinische Erscheinungsbild auch in der Entscheidungsfindung für den Pathologen sein kann. Hier bietet beispielsweise die fotografische Befunddokumentation eine sehr einfache Möglichkeit zu einer effizienten Kommunikation und Diskussion mit dem Pathologen. Tatsächlich müssen Diskrepanzen zwischen dem klinischen Verdacht und der histopathologischen Diagnose immer geklärt werden. Aufseiten der Zahnheilkunde gegebenenfalls durch eine erneute Biopsie oder durch die Einbeziehung einer spezialisierten Klinik, aufseiten der Pathologie durch die Einbeziehung eines Referenz- Instituts.

Dr. Tarik MizzianiProf. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und plastischeGesichtschirurgieRuhr-Universität BochumKnappschaftskrankenhaus Bochum-LangendreerIn der Schornau 23-2544892 Bochumtarik.mizziani@rub.demartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de

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