Jubiläum in Freiburg

Der Volkskrankheit besonders begegnen

Mit einem Symposium wurde das Fünfjahresjubiläum des Online-Fortbildungsprogramms „Master-Parodontologie“ an der Universität Freiburg begangen. Eine Veranstaltung, an der nicht nur „frische“ Absolventen, sondern auch inte-ressierte Praktiker, Nachwuchswissenschaftler und sogar Studenten teilnahmen. Sie besprachen grundlegende Fragen zu der Erkrankung, von der doch über 90 Prozent der Bevölkerung betroffen sind, sowie aktuelle Therapiekonzepte.

Einer Parodontopathie im Vorfeld begegnen, bedeutet richtiges Putzverhalten zu erlernen, eingefahrene falsche Verhaltensmuster erkennen und über den Haufen werfen können und neue Muster strukturiert im Unterbewusstsein zu verinnerlichen, so dass sie zur Routine werden. Wie das alles neurophysiologisch umsetzbar ist, damit beschäftigte sich Dr. Martin Hirsch, Humanbiologe und Gehirnforscher, dessen Tagesgeschäft unter anderem die Erforschung innovativer Lehr- und Lernkonzepte darstellt. Hirsch ist Mitglied des „Humanwissenschaftlichen Zentrums“ der LMU München und des Arbeitskreises „Berliner Sprachtechnologie“ des Deutschen Forschungsinstituts für Künstliche Intelligenz (DFKI).

Er ließ die Zuhörer staunen, indem er Folgendes berichtete: Während die Pädagogik derzeit noch auf Hochtouren daran arbeitet, die erste große Welle Computerverursachter Veränderungen im Lehr- und Lernbetrieb wie durch multimediale Komponenten, Interaktive Medien und mehr zu verarbeiten, bahnt sich bereits eine zweite, deutlich tiefgreifendere Veränderung in Sachen Lernen ihren Weg.

Lernen 3.0 – visuell, vernetzt, mobil

Diese speist sich, so Hirsch, aus drei Quellen:

1. Wissenstechnologien (adaptives Web, semantische Technologien, Sprach-Interfaces),

2. Vernetzungstechnologien (Mobile Endgeräte, Kollaborations-Plattformen, Soziale Netzwerke, On-/Offline-/Videochat und andere ).

3. Neue Erkenntnisse aus der Denk- und Lernforschung (konstellatives Denken, Bildkompetenz, visuelles Denken, Chunk- Decomposition, Constrain-Relaxation sowie Wichtigkeit von Motorik und Teamarbeit).

Während nun wissenschaftliche Erkenntnisse und Wissenstechnologien eher neue Möglichkeiten für die Verbesserung von Lehren und Lernen eröffnen, können Vernetzungstechnologien eine Veränderung in der Art und Weise bewirken, wie sich Menschen heute Informationen besorgen. Und wie sich diese so gestaltete Infor-mation verbreitet und wie letztendlich Wissen entsteht. Hirsch machte deutlich, dass sich jede pädagogische Einrichtung diesem Kulturwandel stellen muss. Er präsentierte den Zuhörern eine Reihe von Beispielen aus dem Lebens- und Praxisalltag. Dabei sensibilisierte er nicht nur für die Herausforderungen, sondern zeigte konkrete Optionen auf, wie man diesem Wandel begegnen, ihn nutzen und ihn mit- gestalten erlernen kann. Und das auch im Hinblick auf wichtige Informationsvermittlung rund um die Parodontologie.

Genfrage auf dem Prüfstand

Der Frage „Bekommt man die Parodontitis in die Wiege gelegt?“ ging PD Dr. Henrik Dommisch, Bonn, nach und präsentierte Neues aus der Genetik-Forschung. Da die Parodontitis eine komplexe Erkrankung darstellt, die durch genetische Risikofaktoren, mikrobielle Infektionen, Lebensumstände und Umweltfaktoren mitbestimmt wird, liegt diese Fragestellung auf der Hand. Viele genetische Risikofaktoren sind bereits untersucht worden, ohne dass jedoch eindeutige kausale Zusammenhänge bezüglich Ent- stehung und Progression der Parodontitis aufgedeckt werden konnten, wie er sagte. „Offenbar sind unterschiedliche Gene gleichzeitig für ein potenzielles Risikoprofil verantwortlich“, vermutete Dommisch.

Neuere Genom-weite Untersuchungen können belegen, dass spezifische genetische Risikofaktoren mit Parodontitis assoziiert sein können.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass genetische Parallelen zwischen Parodontitis und kardiovaskulären Erkrankungen zu existieren scheinen.

Chirurgische Aspekte rund ums Parodont

Parodontologie funktioniert im fortgeschrittenen Stadium selten ohne eine chirurgische Komponente. So vermittelte Dr. Daniel Etienne, Paris, seine Erfahrungen mit dem Weichgewebe-Management um Zahnimplantate, fokussierte dabei jedoch seinen Blick vorwiegend auf die chirurgische Behandlung von gingivalen Rezessionen. Es geht letztendlich darum, die gesamte Wurzel mit Epithel zu bedecken. Aber noch nicht alle Praktiker seien in der Lage, hierbei einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen. Ihm sei bewusst, dass die Meinungen weit auseinandergehen, er unterstrich aber, wie wichtig es sei, für jede Rezession alle Risiko-Parameter zu hinterfragen, und diskutierte den Einfluss auf den gingivalen Zustand durch verschiedene Materialen.

Einsatz von Antibiotika als Therapieadjuvanz

Einer Kolonisation der Zahnoberfläche mit parodontalpathogenen Mikroorganismen ist unbedingt zu begegnen, was jedoch mit zunehmender Taschensondierungstiefe bei parodontalen Prozessen immer schwieriger wird. Denn sie haben über den Speichel und das Sulcusfluid Zugang in Bereiche, die dem mechanischen Zugriff mit Scaler und Kürette verwehrt bleiben. Hier könnte die Anwendung von systemischen Antibiotika einen Vorteil für den Patienten bringen, wie Prof. Dr. Benjamin Ehmke, Münster, am Beispiel des ABPARO-Projekts (Langzeitauswirkungen auf den Krankheitsverlauf und die mikrobiologische Besiedlung in der Mundhöhle) deutlich machte. Dies zeige die Konzeption und Durchführung einer Multizenterstudie zur systemischen Antibiotikatherapie bei Patienten mit Parodontitis. Ehmke präsentierte erste Ergebnisse. Dieses Projekt war entwickelt worden, da es sich gezeigt hatte, dass zum Thema adjuvante systemische Antibiotikatherapie zwar eine unüberschaubare Menge an Publikationen vorliegt, diese aber keine klare Empfehlung für die tägliche Routine aussprechen.

Compliance und Non-Compliance

Letztendlich ist die Compliance des Patienten das A und O einer jeden erfolgreichen Therapie, was besonders in der lebenslangen Parodontal-Therapie-Begleitung eine besondere Herausforderung darstellt, wie Prof. Dr. Stephan Doering, Wien, herausarbeitete. Eine Non-Compliance zeige sich in der Zahnarztpraxis in Form von nicht ein-gehaltenen Terminen aber auch in unkooperativem Verhalten, mangelnder Mundhygiene oder im Nichttragen von Prothesen. Die Ursachen für dieses Verhalten sind vielfältig, wobei nicht selten psychische Belastungen oder Erkrankungen (Life-Events) eine erhebliche Rolle spielen. An erster Stelle stehe hier natürlich die Zahnbehandlungsangst, aber auch Depressionen oder hohe Stressbelastungen im Alltag können die Compliance des Patienten beeinträchtigen. Darüber hinaus spielen auch demografische Variablen sowie Art und Schwere der zahnmedizinischen Erkrankung und Therapie eine Rolle, erklärte Döring.

Er machte deutlich, dass dem Zahnarzt weitreichende Möglichkeiten zur Förderung der Compliance seines Patienten zur Ver- fügung stehen. Von größter Bedeutung ist dabei das zahnärztliche Gespräch, sei es im Rahmen der Anamneseerhebung, der Aufklärung und Behandlungsplanung oder der Angstlösung vor und während der Behandlung. Der Referent empfahl, dies in den Vordergrund einer jeden Therapie zu stellen.

Implantate im parodontal reduzierten Gebiss

Orale Implantate werden seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt, um verloren gegangene Zähne zu ersetzen. Aber immer heikel wird es im durch Entzündung geschädigten Parodont, wie Prof. Dr. Giovanni Salvi, berichtete. Trotz guter Langzeitergebnisse bei implantatgetragenen Rekonstruktionen kann es nach einer erfolgreichern Osseointegration doch immer mal wieder zu Entzündungen der periimplantären Gewebe kommen. Dabei stellt die periimplantäre Mukositis eine reversible Entzündung dar, die lediglich die das Implantat umgebende Mukosa betrifft. Er arbeitete den Unterschied zur Periimplantitis heraus, die im Gegensatz dazu als eine chronische entzündliche Veränderung der periimplantären Gewebe mit irreversiblem Knochenverlust definiert ist.

Er machte deutlich, dass Implantate bei Patienten mit einer parodontalen Vorgeschichte tiefere Überlebens- und Erfolgsraten aufweisen als Implantate bei Patienten ohne ein solches parodontales Ereignis.

Neben dem parodontalen Vorgeschehen sind eine schlechte Mundhygiene und Rauchen Risikoindikatoren für die Genese einer Periimplantitis. Als Quelle für die bakterielle Besiedlung an Implantaten gilt Plaque benachbarter Zähne und Schleimhäute.

Langzeitergebnisse haben gezeigt, dass eine regelmäßige Betreuung von Implantaten in Patienten mit einer parodontalen Vorgeschichte die Implantatverlustrate sowie die Inzidenz von Periimplantitis deutlich reduzieren kann. Salvi plädiert aufgrund dieser Erkenntnisse für eine parodontale Infektionskontrolle vor Inserierung eines Implantats sowie für eine engmaschige Betreuung von Parodontitispatienten, um biologische Komplikationen und Implantatverluste zu verhindern.sp

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