Deutscher Zahnärztetag - Frankfurt am Main 2012

Was wirklich zählt

Rund 420 Vertreter aus Politik, Standespolitik, Wissenschaft und Verbänden kamen zur Eröffnungsfeier des Deutschen Zahnärztetages am 8. November in die Frankfurter Messe. Eingeladen hatten die Spitzenvertreter von BZÄK, KZBV und DGZMK. Die zentralen Botschaften drehten sich um das Wesen und die Wertigkeit zahnärztlichen Handelns. Viel Stoff zum Nachdenken brachte die Festrede der Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche, Prof. Dr. Dr. Margot Käßmann, über christliche Werte in der Gesellschaft.

Wir als Berufsstand sind angetreten, Patienten gesund zu erhalten oder gesund zu machen. Das ist Sinn und Zweck unserer Profession.“ Mit diesen Worten begrüßte BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel die Festgäste. Dennoch sei die zahnärztliche Existenz bedroht. Sich dagegen zu wehren, sei eine Sisyphos-Aufgabe, so Engel. Deutschlands Gesundheitswesen sei auf eine strikte Durch-Ökonomisierung getrimmt. Dahinter stecke die Strategie einzelner Krankenversicherer zugunsten von Kassentöpfen, aber zulasten der Patienten und der Struktur eines eigentlich exzellenten Gesundheitswesens. Ärzten und Zahnärzten gewähre man immer schlechtere Rahmenbedingungen und dem Einzelnen erwachse dadurch die Notwendigkeit, die Schlagzahl erhöhen zu müssen. Gleichzeitig steige der Bürokratieaufwand in den Praxen.

Bürokratieaufwand

Engel: „Es kann doch nicht unser aller Ziel sein, steigenden Kosten und massiven demografischen Veränderungen mit ausufernder Verwaltung und Kontrolle zu begegnen. Das macht doch keinen Sinn!“ Der Präsident begrüßte die Bemühungen des Gesetzgebers zur Entbürokratisierung, zu denen auch die Zahnärzteschaft Vorschläge gemacht habe. Allerdings seien dies nur Tropfen auf den heißen Stein. Nach wie vor gebe es in Deutschland eine der besten medizinischen Versorgungen der Welt, wichtig sei aber, dass man auch jedem Zahnarzt ermögliche, seinen Beruf fachgerecht auszuüben. Denn das sei doch die Richtschnur für jedes zahnärztliche Handeln. Engel verwies auf die gesellschaftliche Teilhabe und die Verantwortung des Berufsstands, sichtbar etwa durch den ehrenamtlichen Einsatz bei Hilfsaktionen oder beim Engagement für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Um die Weichen für die Zukunft zu stellen, müsse man aber auch die Berufsstarter im Blick behalten und Modelle einer praktikablen Work-Life-Balance schaffen, um den Bedürfnissen der nachrückenden Generation gerecht zu werden. Engels Fazit: „Unsere Freiberuflichkeit können und werden wir nicht aufgeben. Sie ist nicht Selbstzweck, sondern wir sind sie dieser Gesellschaft schuldig.“

Gute Fortschritte

Eine gemischte Bilanz des vergangenen Jahres zog der Präsident der DGZMK, Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake. Die Umsetzung der neuen Approbationsordnung sei bedauerlicherweise erneut ins kommende Jahr verschoben worden. Grund seien die ständigen Rangeleien um Curricula-Normwerte und Kapazitätsfragen, wieder habe ein Veto von Länderseite den gesamten Prozess zum Stehen gebracht. Als positiv unterstrich Schliephake hingegen die Arbeit am nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalog (NKLZ), sie habe gute Fortschritte gemacht. Die in 23 Arbeitspaketen ausge-arbeiteten Lernziele würden zum Ende des Jahres als Lesefassung vorliegen und auf einer Konsensuskonferenz im nächsten Mai verabschiedet werden. Durch die parallele Entwicklung mit dem Lernzielkatalog Medizin werde die dringend notwendige enge Verbindung der Zahnmedizin mit der Medizin erreicht. Es handele sich um eine grundlegend reformierte Lehre des Faches, die interdisziplinäres Denken fördere und wissenschaftlich fundierte Konzepte für die spätere praktische Tätigkeit vermittle.

Als problematisch skizzierte Schliephake die Folgen des Anfang 2011 in Kraft getretenen Krankenhausentgeltgesetzes. Damit sei die Hochschulmedizin chronisch unter-finanziert, was auch Auswirkungen auf die Zahnmedizin habe. Schliephake forderte, gemeinsam mit der Medizin Wege in die Politik zu suchen, um zusätzliche Finanzierungsformen zu eröffnen. Auch bei der Frage nach Evidenz in der Zahnmedizin müsse man relativieren: Nicht jede beste Therapie könne in randomisierten, kon- trollierten Studien identifiziert werden. Die Prozesse seien außerdem sehr personal- und zeitintensiv, die Einhaltung von Qualitätsstandards erfordere einen hohen Finanzierungsbedarf: „Unabhängige Evidenz kann sich keiner kaufen, aber sie muss bezahlt werden.“ Trotzdem sei die Zahnmedizin auf diesem Feld nicht untätig. So seien in diesem Jahr sechs hochrangige Leitlinien unter Führung oder Mitarbeit der DGZMK verabschiedet worden, zehn weitere seien in Arbeit. Zur Förderung der Forschung sei die Einrichtung einer Wissenschaftsagentur durch die DGZMK in Vorbereitung, die über den Zugang zu Forschungsnetzwerken und öffentlichen Mittelgebern Forschungsaktivitäten vorantreiben soll.

Verantwortung

Der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz griff Engels Aussagen über Freie Berufe auf: „Freiberuflichkeit ist ein wesentliches Element unserer Tätigkeit und Grundstein zahnärztlichen Handelns. Sie ist geprägt von Gemeinwohlorientierung, persönlicher Leistungserbringung und der Verant- wortung für den Patienten. Wir leben dieses Wertesystem und wollen freiberuflich geprägt arbeiten.“

Fedderwitz verwies auf das tags zuvor von der KZBV-Vertreterversammlung verabschiedete Grundsatzpapier „Agenda Mundgesundheit“. Es beinhalte eine Handlungsmaxime der Vertragszahnärzteschaft für die Patientenversorgung der kommenden Jahre und sei auch an die Politik gerichtet. Langfristiges Ziel sei, dass die Menschen auch bei steigender Lebenserwartung ihre natürlichen Zähne bis ans Lebensende behalten und gesund erhalten sollen. Veränderte Versorgungsbedarfe und der medizinische Fortschritt seien dabei berücksichtigt.

Fedderwitz griff einige Schwerpunkte des Konzepts heraus. Ein wichtiger Punkt sei die Versorgung der jüngsten Patienten. Die frühkindliche Karies nehme zu, derzeit arbeite die KZBV an einem Konzept für die systematische Betreuung von Kleinkindern in der GKV. Die Versorgung von Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko sei ein weiteres Problemfeld. Der Zugang gerade zu dieser Patientengruppe sei schwierig, hier sei das Zusammenspiel aller Akteure notwendig. Der Prävention von Parodontalerkrankungen komme eine weitere große Bedeutung zu. Parodontitis trete überwiegend altersassoziiert auf, die alternde Gesellschaft bringe aber eine Reihe neuer Probleme mit sich. Fedderwitz verwies auf die wachsende Zahl von Pflegebedürftigkeit, von Demenz oder von Behinderungen bei Menschen, die nicht zum Zahnarzt gehen können. Hier müssten spezielle Konzepte greifen. Der Gesetzgeber habe das zahnärztliche Ver- sorgungskonzept für alte Menschen und Menschen mit Handicap bereits positiv aufgegriffen und im GKV-Versorgungsstrukturgesetz und im Pflegeneuausrichtungsgesetz schon erste Schritte zur Umsetzung ein- geleitet. Fedderwitz: „Wir sind bei dieser gesellschaftlichen Aufgabe auf einem guten Weg.“ Was aber noch fehle, sei ein systematisches Präventionsmanagement.

Allgemeingültige Werte

Für eine gemeinsame Wertehaltung in der Gesellschaft plädierte Prof. Dr. Dr. Margot Käßmann in ihrem Festvortrag und forderte eine Rückbesinnung auf christliche Werte. Für die Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche und Autorin hätten die Botschaften der zehn Gebote wie Barmherzigkeit, Nächstenliebe, die Ablehnung von Neid, Unrecht und Gewalt nichts von ihrer Relevanz verloren. Sie stellten allgemeingültige Grundweisheiten und Grundgebote des Zusammenlebens dar. Transferiert auf die jetzige Zeit böten sie auch heute noch eine Orientierung, auf die man sich unabhängig von einer bestimmten Religionszugehörigkeit oder Geisteshaltung besinnen könne.

Immer mehr Menschen stellten heutzutage die Sinnfrage und suchten nach einer geis-tigen Verortung: „Fünf Millionen Menschen besuchen jeden Sonntag einen Gottesdienst, aber nur 700 000 ein Fußball- stadion.“ Eine Gesellschaft werde auch daran gemessen, wie man mit den Alten umgehe, welchen Respekt man vor Menschen anderen Glaubens trage. Käßmann forderte eine Abkehr der „Geiz-ist-Geil“- Mentalität, eine Hinwendung zu mehr Bescheidenheit und eine Ethik des Genug: „Wir brauchen ein Konzept der Gemeinschaft im Zeitalter der Vereinzelung. Wir brauchen soziale Modelle, der Staat kann nicht alles. Und wir brauchen eine Zivilgesellschaft, die etwas leistet.“ Die ehemalige Bischöfin appellierte daran, in einer immer größer werdenden Spaßgesellschaft die Sinnfrage zu stellen und kritisierte die wachsende „Karnevalisierung“ des Lebens: „Leben macht nicht nur Spaß, Leben macht Sinn.“pr

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