Leitartikel

Die richtige Dosis

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die klassische Auffassung des „Viel hilft viel“ galt in Medizin und Zahnmedizin so gut wie nie als ernst zu nehmende Grundlage. Ausschlaggebend war in der Regel immer „die richtige Dosis“.

Dass dieser Grundsatz auch für die Erarbeitung qualitätsfördernder Maßnahmen hilfreich sein kann, ist eine wissenschaftstheoretische Erkenntnis, die sich in jüngerer Zeit fachlich mehr und mehr durchsetzt.

Die strukturierte Besinnung auf methodologische Klarheit hat dazu beigetragen, dass es in der Zahnmedizin inzwischen gelingt, wissenschaftlich definierte Orientierungshilfen zu schaffen, die in vielen Disziplinen unseres Faches bisher als schwieriges, wenn nicht sogar hoffnungsloses Unterfangen galten.

Zumindest weist die Diskussion jüngeren Datums einen deutlichen Trend auf: Nur klar formulierte Modelle und Vorgehensweisen verhelfen dazu, einen praktikablen und qualitätssichernden Handlungskorridor zahnmedizinischer Therapien aufzuzeigen.

Ein richtiger Ansatz. Denn nur so kann der bis vor wenigen Jahren noch breitenwirksame methodologische Wildwuchs, dessen Erkenntnisse im Zweifel oder mangels wissenschaftlicher Evidenz auf nur rudimentär abgesicherten Studien beruhten, sukzessive durch abgesicherte, methodologisch klar aufgebaute Leitlinien abgelöst werden. So funktioniert wissenschaftstheoretischer und für die zahnmedizinische Praxis relevanter Fortschritt. Wege und Ziele fachlicher Praxis lassen sich in einigen – zugegebenermaßen noch wenigen – Bereichen inzwischen nach klar definierten Methoden wissenschaftlich untermauern.

Dass damit aber von heute auf morgen eine flächendeckende Orientierungshilfe geschaffen werden kann, wird auf absehbare Zeit noch Wunschdenken bleiben müssen. Der Weg ist zwar beschrieben, aber trotzdem bleibt er lang und mühsam.

Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie hat auf ihrer Frühjahrstagung dargestellt, dass es in weiten Teilen an hoher Evidenz fehlt. Die Konsequenz: In vielen Feldern müssen gerade mangels hoher Evidenz vielleicht auch andere Erfahrungen als Grundlage für kollegiale Orientierung dienen. Also gilt: Evidenz ist nicht alles, ohne Erfahrung und Experten(er)kenntnis geht nichts! Und solange Fallstudien und von Experten getragene Behandlungskonzepte unseren Praxisalltag prägen, solange sind auch Leitlinien nicht das Maß aller Dinge.

Ein wichtiger methodologischer Schritt in die richtige Richtung ist sicherlich, dass Bundeszahnärztekammer, Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung inzwischen gemeinsam das Thema „Leitlinien“ angehen. Leitlinien sind gremienübergeordnete Angelegenheit. Die Tatsache, dass anerkannte Fachleute inzwischen damit nicht mehr hinterm Berg halten, dass es in ihren Fachgebieten methodologisch an wissenschaftlicher Evidenz fehlt, zeigt aber auch, dass sich die jetzt daraufhin geschaffenen Grundlagen für wissenschaftlich anerkannte Leitlinien durchsetzen.

Die Zeiten, in denen jede Fachgesellschaft ihre eigene Weisheit verkündete, sind vorbei. Methodisch haben wir in den vergangenen Jahren also einiges gelernt.

Die Tatsache, dass Deutschlands zahnmedizinische Wissenschaft hier einen neuen Bewusstseinsstand erreicht hat, drückt sich auch darin aus, dass sich unser Fach einigen konnte, die Quantität der zu schaffenden Leitlinien gering zu halten. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben uns hier Recht gegeben. Wir leben gut mit der Erkenntnis, qualitätssicherende Maßnahmen nicht abzuhaken, sondern gründlich und fundiert anzugehen. Nur so wird es in den nächsten Jahren gelingen, brauchbare und auch haltbare Handlungskorridore für die Arbeit in der Praxis zu schaffen.

Orientierung macht nur dann Sinn, wenn sie auf belastbaren und verlässlichen Erfahrungen beruht. Leitlinien werden nur helfen, wenn sie Raum für das individualisierbare Vorgehen zwischen Arzt und Patient lassen. Eine Zahnmedizin „von der Stange“ kann und wird es nie geben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jürgen Fedderwitz

Vorsitzender der KZBV

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