Neuer Lehrbaustein

Uni Greifswald startet „Cancer politics“

sf
Kernthema der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie ist die Behandlung von Mundhöhlenkarzinomen. In den vergangen zehn Jahren konnten mittels eines Recall-Systems die Heilungserfolge nachweislich verbessert werden. Ursächlich sind neben dem medizinischen Fortschritt in erster Linie gesundheitspolitische Leistungen. Prof. Dr. Dietmar Oesterreich trägt das notwendige Wissen im Rahmen seiner Honorarprofessur nun auch in die Lehre und verstärkt mit seinem Schwerpunkt „Krebsvorsorgepolitik“ die Arbeit der Greifswalder.

„Prof. Oesterreich ist bei der Bundeszahnärztekammer der Spezialist und Experte für präventive Zahnheilkunde geworden. Er hat dieses Feld in ganz ausgezeichneter Weise mit sehr vielen Publikationen, Vorträgen und Projekten ausgefüllt und die Fakten für die gesundheitspolitischen Entscheidungen geschaffen.“ Mit warmen Worten begrüßte Prof. Hans-Robert Metelmann, Direktor der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie die Gäste und Prof. Oesterreich zu dessen Antrittsvorlesung. Drei große „Familienstränge“ seien zu diesem Anlass in die Universitätsaula der Caspar-David-Friedrich-Stadt Greifswald gekommen, darunter die Vertreter der „akademischen Familie“, wie Rektoren, Spektabilitäten, Professoren, Oberärzte, Mitarbeiter und Studierende.

Den zweiten Strang bildeten die Vertreter der Standespolitik, darunter der Präsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Dr. Peter Engel, der BZÄK-Vize Prof. Dr. Christoph Benz, der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Dr. Jürgen Fedderwitz, und Dr. Wolfgang Eßer, der Stellvertretende Vorsitzende des KZBV-Vorstands. Die leibliche Familie Oesterreichs bildete nach Metelmann den dritten Strang.

Prävention in der Politik – ein hart erabeitetes Thema

Oesterreich skizzierte – mit Blick auf die Bedeutung der Prävention für die Zahnheilkunde – den zum Ende des letzten Jahrhunderts erreichten Paradigmenwechsel: „Das bis zu den Neunzigerjahren vorherrschende Versorgungssystem war vorwiegend geprägt durch die Reparatur von Schäden der Mundgesundheit und gab wenig Anreize für eine präventive Zielausrichtung.“ Bedingt durch international aufgezeigte Erfolge im Hinblick auf die Prävention zahnmedizinischer Erkrankungen, aber auch durch die zunehmenden wissenschaftlichen Publikationen zu den Möglichkeiten zahnmedizinischer Prävention sowie einer gesundheitspolitisch veränderten Ausrichtung auf gruppen- und individualprophylaktische Leistungen konnte dann zu Beginn der Neunzigerjahre der Wandel des Berufsstands weg vom „Handwerkermodell Zahnmedizin“ hin zur einem Verständnis einer gelebten und flächendeckend praktizierten „oralen Prävention“ realisiert werden. Dank Durchsetzung des bio-, psycho- und sozialen Krankheitsverständnisses habe dieser Prozess noch zusätzlich an Dynamik gewonnen.

Standespolitik gestalten – Themen richtig aufbereiten

Welche Facetten Oesterreichs Lehrtätigkeit haben wird, konnten die Gäste in Greifswald bereits erahnen: Am Beispiel eines der bedeutsamen Krankheitsbilder in der Zahnmedizin – der Karies – zeigte er entsprechende Handlungsansätze auf und erläuterte, welche Schlussfolgerungen unter Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse und theoretischer Überlegungen für eine nachhaltige Professionspolitik zu ziehen seien. Diese Vorgehensweise lasse sich auf andere Krankheitsbilder übertragen.

Thematisch will Oesterreich Schwerpunkte auf zeitgenössisch relevante Themen legen. So setzt er sich im Rahmen seiner Lehrtätigkeit auch mit der Frage auseinander, was Risikokommunikation für die Prävention -bedeutet. Hintergrund ist die wissenschaftliche Erkenntnis, dass dem individuellen Patientenverhalten große Bedeutung im Rahmen der Krankheitsentstehung und entsprechend auch bei der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention zukommt.

Hier besitze die gezielte Veränderung der Risikoverhaltensweisen durch eine umfassende und verständliche Risikokommunikation eine herausragende Bedeutung für den Erfolg der Therapie.

Angehende Zahnärzte müssten insbesondere auf die verstärkte Patientenorientierung im Gesundheitswesen vorbereitet werden. Denn in der Praxis bestimme die partizipative Entscheidungsfindung (shared decision making) zunehmend das Arzt-Patienten-Verhältnis auf dem Weg zur therapeutischen Intervention. Somit werde der Patient selbst ein wesentlicher Koproduzent von oraler Gesundheit. Um aber Einstellung und Verhalten im Hinblick auf gesundheitliche Risiken zu verändern, bedürfe es einer entsprechenden Kommunikation zur Wahrnehmung. Das könne mithilfe unterschiedlicher wissenschaftlich anerkannter Ansätze trainiert werden. Oesterreich: „Vor dem Hintergrund der Mortalität oraler Tumorerkrankungen, aber auch der Legitimation des zahnärztlichen Berufsstands, bedarf es auch der Kommunikation, dass zahnärztliche Kontrolluntersuchungen immer auch ein wesentlicher Bestandteil der Tumorfrüherkennung sind.“

Versorgungsforschung – methodisch vorantreiben

Darüber hinaus befasst sich Oesterreich in seinen „Cancer politics“ mit einem weiteren anwendungsorientierten Thema: der Versorgungsforschung. „Aus Sicht präventiver Ansätze sind insbesondere die zahnmedizinischen Versorgungsbedarfe, die Verteilungsgerechtigkeit, Fragen von Gesundheits- beziehungsweise Krankheitsindikatoren, aber auch der Zugang beziehungsweise die Inanspruchnahme zahnmedizinischer Dienstleistungen von Bedeutung“, führte er aus. Dabei sei es eine wichtige wissenschaftliche Aufgabe zielgruppenspezifische Zuschnitte zu definieren, zu nutzen und zu evaluieren.

Ein Erfolgsbeispiel: Das Versorgungskonzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ zur Verbesserung der zahnmedizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen und von Menschen mit Behinderungen sei durch gemeinsame Anstrengungen von Zahnärzteschaft, Wissenschaft und Professionspolitik entstanden und wirke nachhaltig in die Gesundheitspolitik hinein.

Langfristig gesehen sollen neue methodische Ansätze spezifisch für die zahnmedizinische Versorgung konzipiert werden. Durch seine Dreifachfunktion als Standespolitiker, Honorarprofessor und niedergelassener Zahnarzt begreift sich Oesterreich hier als „lebendige Schnittstelle“.

Schließlich möchte er traditionelle Präventionsansätze (Pathogenesesicht) in seinen Vorlesungen durch komplementäre Strategien (Salutogeneseansatz) ergänzen. sf

INFO

Vita

Prof. Dr. med. dent. Dietmar Oesterreich hat von 1976 bis 1981 Zahnheilkunde in Rostock studiert. Am 29. April 1990 wurde er zum Präsidenten der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern gewählt und hat das Amt seitdem inne. Seit 1991 ist er in eigener Praxis niedergelassen. Darüber hinaus ist er seit dem Jahr 2000 auch Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer. Er ist in zahlreichen Ausschüssen tätig. Unter anderem hat Oesterreich den Vorsitz des Ausschusses „Präventive Zahnheilkunde“ der Bundeszahnärztekammer. Sein Engagement wird jetzt durch die Honorarprofessur an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität ergänzt, wo er bereits zuvor Vorlesungen zur zahnärztlichen Berufskunde gehalten hat.

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