Zahnzusatzversicherungen

Bausteine der Versorgung

Zahnzusatzversicherungen boomen. Viele Versicherte versuchen, sich so den Anschluss an die moderne Zahnheilkunde zu sichern. Zahnärzte wiederum können auf diese Weise, dem Patienten jene Behandlung zukommen lassen, die zwar gewünscht wird, die aber über die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenkassen hinausgeht. Als Baustein der Versorgung kann die Versicherung lohnenswert für Patient und Arzt sein – wenn sie hält, was sie verspricht.

Stefan Grande

Zahnzusatzversicherungen gelten als die am häufigsten gewählte Zusatzversicherung im Gesundheitsbereich. Sowohl der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) als auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GdV) gehen davon aus, dass von den etwa 70 Millionen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zum Jahreswechsel 2011/2012 bereits 13,2 Millionen Versicherte eine derartige Police abgeschlossen hatten. „Seit 2006 ist der Gesamtbestand um mehr als 40 Prozent gewachsen“, sagt Sergei Bojew, Mitarbeiter beim Versicherer acio in Göttingen. Er sieht die Ursachen für diesen Zuspruch sowohl in der fortschreitenden Leistungsbeschränkung der gesetzlichen Krankenkassen, die eine Zusatzversicherung für immer mehr Kunden attraktiv erscheinen lasse, als auch in der seit Jahren zunehmenden Verflechtung der gesetzlichen Krankenkassen mit privaten Versicherern.

Über die Jahre hinweg hat er beobachtet, dass sich die anfangs etwas spärlichen Angebote der Versicherer zu Universalpaketen gewandelt haben: Nur noch die wenigsten Tarife beschränken sich auf reine Kernleistungen, wie Zahnbehandlung oder Zahnersatz. Stattdessen wird ein umfangreiches Portfolio an zahnärztlichen Dienstleistungen angeboten. Die Vielfalt der Angebote aber erschwert sowohl für die Verbraucher als auch für die Zahnmediziner den Überblick. Transparenz also passé: Die Angebote sind höchst unterschiedlich und ähneln in ihrer Kompliziertheit dem Markt unterschiedlicher Strompreis- oder Mobiltelefonanbieter. Seriöse interne Schätzungen aus dem Versicherungsbereich sprechen von rund 300 Tarifen, aus denen interessierte Kunden eine Auswahl treffen können/müssen.

Im Dschungel der Tarife

Dies scheint dann die Stunde der Ratgeber-Spezialisten zu sein: Um sich im Dickicht der Tarife zurechtzufinden, bieten Verbraucherschützer wie Stiftung Warentest, Institutionen wie der Bund der Versicherten, Medien wie Guter Rat, Capital oder Focus und Versicherungsmakler oder Internetvergleichsportale ihre Unterstützung an. Dabei sollte klar sein: Mit dem Begehr der Patienten, wissen zu wollen, welche für sie die beste Zusatzversicherung ist, lässt sich auch für Printmedien oder Internetvergleiche gut Kasse machen. Immer wieder werden neue Tests veröffentlicht, mit anderen Verfahren, anderen Schwerpunkten, anderen Gewinner-Versicherern. Und in der virtuellen Welt des Internets brauchen Patienten und Verbraucher gute Nerven: Gibt man etwa bei einer bekannten Suchmaschine im Internet die Stichworte „Zahnzusatzversicherung“ und „Vergleich“ ein, so erhält man in 36 Sekunden 403 000 Ergebnisse (Stand 01.03.2013).

Für die Versicherungswirtschaft scheint dieser Zweig ein lukratives Geschäft zu sein. Auf Nachfragen konnten zwar weder PKV noch GdV konkrete Umsatzzahlen nennen. Doch man braucht kein Prophet zu sein, um von Millionen-Geschäften auszugehen. Vom Bund der Versicherten war immerhin zu erfahren, dass die Margen der Makler zwischen sechs und neun Monatsbeiträge betragen, wobei die Gesamtprovision nicht höher als neun Monatsbeiträge sein darf, wie es hieß.

Allerdings dürften auch die Erstattungsleistungen der Versicherer eine stattliche Summe ausmachen – allesamt im Dienste der Mundgesundheit. Und das ist mehr, als manchem Versicherer lieb sein kann, weiß der Münchner Versicherungsmakler Hans Waizmann. „Denn auf lange Sicht muss jede Zahn-Zusatzversicherung – früher oder später – zahlen. Daher könnte man auch von der Versicherbarkeit letztendlich „vorprogrammierter“ Schäden sprechen.“ Sowohl der Zahnarzt wie der Patient seien Profiteure dieser Versicherung. Waizmann ist Herausgeber der sogenannten Waizmann-Tabelle, in der der Münchner die aus seiner Sicht besten Anbieter auflistet. Als freiberuflicher Makler vermittelt er gegen Provision Kunden an verschiedene Anbieter von Zahnzusatzversicherungen.

Aktive Risikoabwägung der Versicherer

Die Versicherer verfahren so, wie in der Branche der privaten Gesundheitsversicherungen üblich, Stichwort: Risikoeinschätzung. Die Bundeszahnärztekammer hat für Patienten Eckpunkte zur Information über Zahnzusatzversicherungen zusammengetragen. Darin heißt es: „Die meisten Ver- sicherungen lassen vor Vertragsabschluss kontrollieren, in welchem Zustand die Zähne sind. Für Behandlungen, die der Zahnarzt bereits vor Abschluss des Vertrags angeraten, geplant oder begonnen hat, muss die Versicherung später nicht zahlen. Auch ist Zahnersatz für Zahnlücken, die bereits bei Abschluss der Versicherung bestehen, in der Regel nicht mitversichert. Dies ist besonders zu beachten bei Versicherungsgesellschaften, die keine Gesundheitsprüfung vor Versicherungsbeginn fordern, aber im Fall der Leistungsinanspruchnahme den behandelnden Zahnarzt im Rahmen der Schweigepflicht-entbindung zur Auskunft auffordern.“

Zwar dürfte es für Zahnärzte zunächst sekundär sein, ob der Patient eine Zahnzusatzversicherung abgeschlossen hat, schließlich steht die zahnmedizinische Notwendigkeit einer Behandlung im Vordergrund. Aber da es in der Zahnmedizin mehrere Behandlungsoptionen für einen Befund gibt, rückt die Frage, ob die gewählte Methode wirtschaftlich, ausreichend und zweckmäßig ist, wie die Krankenkassen es fordern, oder ob sie dank Zusatzversicherung sich noch mehr an den Patientenbedürfnissen orientiert, stärker ins Zentrum.

„Die Patienten werden sich dank Zusatzversicherungen immer mehr für höherwertige Methoden entscheiden, da sie sich um eine Refinanzierung weniger Gedanken machen müssen“, so Bojew.

Seiner Meinung nach wird sich das Bild, das sich Patienten von einer Zahnarztpraxis machen wandeln, von der Notfallversorgung zu einem Gesundheitsdienstleister. Bojew: „Besonders die laufenden Prophylaxe- und anderen Programme werden mehr Zuspruch erfahren. Der daraus entstehende regelmäßige Patientenkontakt kann viele Vorteile für die Praxis und den Zahnstatus der Patienten mit sich bringen.“

Zahnärzte bewerten die Versicherungen und deren Erstattungsverhalten überwiegend mit „gut“. Zumindest geht dies aus einer Umfrage von Waizmann unter 40 000 deutschen Zahnmedizinern hervor. Die Auswertung lege den Rückschluss nahe, so der Umfrage-Initiator, dass eine hohe Anzahl Versicherter in einem Tarif mit hohem Leistungsumfang die Erstattungspraxis nachteilig beeinflusse. Die Gleichung sei: je mehr Versicherte und je höher der Erstattungsantrag, desto länger die Bearbeitungszeit und desto stärker die Nachfragetendenz des Versicherers beim Zahnarzt.

So sei erklärbar, wenn Anbieter mit vielen Versicherten und hohen (teilweise unbegrenzten) Leistungen eher am unteren Ende der Erstattungs-Bewertungsskala lägen, wie etwa die DKV mit über 800 000, die CSS mit rund 200 000 oder die ErgoDirekt mit über 400 000 Versicherten. Die Versicherungen überprüften die Anträge akribischer, die Rückfragen bei Zahnärzten seien zahlreicher.

Erstattungsleistung und Versicherungsrückfragen

Vor allem die CSS-Versicherung ist mit diesem Verhalten in den letzten Monaten sowohl bei Versicherten als auch bei Zahnärzten unangenehm aufgefallen. Ohnehin, so bestätigen Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, könnten die Praxen hierzulande für die Rückfrage-Flut der Assekuranzen bisweilen wenig Verständnis aufbringen.

Waizmanns Ergebnisse unterscheiden sich von anderen Testern. So hat etwa die Zeitschrift „Finanztest“ der Stiftung Warentest letztes Jahr 147 Tarife untersucht: Bei ihr liegen andere Tarife anderer Versicherer an der Spitze. Hier wird ein Unterschied in der Herangehensweise der Tester deutlich: Während die Verbraucherschützer von Stiftung Warentest bei ihren Untersuchungen vor allem die Erstattungen der Versicherer für Zahnersatz in den Mittelpunkt stellen, beziehen andere Tests die Erstattung für zahnerhaltende Maßnahmen wie etwa die Professionelle Zahnreinigung mit ein.

Problematisch seien die irreführenden Werbeaussagen einiger Versicherer und Krankenkassen, sagt Sergei Bojew. Es würden preisgünstige Tarife mit der Aussicht auf eine 100-prozentige Leistungserbringung für Zahnersatz beworben. Dies sorge spätestens bei der Behandlung für Unmut. Die 100 Prozent bezögen sich nur auf die Regelleistung der Kassen. Für höherwertige Leistungen würden 100 Prozent selbst bei Spitzentarifen nicht erreicht.

Werbung und Wirklichkeit

Auf die bisweilen bestehende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit verweisen denn auch  Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV).  „Zahnzusatzversicherungen nehmen heute einen wachsenden Anteil bei der Finanzierung zahnärztlicher Leistungen ein“, sagt Prof. Dietmar Oesterreich, Vize-Präsident der BZÄK. Da es im zahnmedizinischen Bereich für einen Befund oft mehrere wissenschaftlich anerkannte Optionen gebe und auch die Erwartungshaltung des Patienten eine wichtige Rolle bei der Therapieentscheidung spiele, erscheine eine Zusatzversicherung durchaus sinnvoll. „Gerade bei Patienten, die auf eine hochwertige Versorgung Wert legen, erfährt diese Lösung eine hohe Akzeptanz“, so Oesterreich.

Kritisch müssten aber die zunehmenden Auskunftsersuche der Versicherer und die damit einhergehenden Bürokratielasten für die Praxen gesehen werden. Die Schweigepflicht wie auch die Vorschriften der GOZ gelte es dabei genau zu beachten. Fast täglich würden Zahnärzte in ihren Praxen auf Zahnzusatzversicherungen angesprochen, der Patient erwarte dabei Beratung. Oesterreich: „Sicher ist es möglich, dem Patienten Auskunft über sein Erkrankungsrisiko zu geben. Empfehlungen zu einzelnen Zusatzversicherungen sollten aber nicht gegeben werden.“ Zur Patienteninformation hält die BZÄK auf ihrer Internetseite einen herunterladbaren Ratgeber bereit.

Und auch dem Vorstandsvorsitzenden der KZBV, Dr. Jürgen Fedderwitz, sind Wohl und Wehe der Versicherungen gut bekannt. „Zweifellos sind sie für den Patienten zu befürworten, da sie ihm leichter den Zugang zu einer modernen, wissenschaftlich anerkannten zahnmedizinischen Versorgung ermöglichen.“ In den Praxen seien aber zunehmend Klagen von Patienten zu vernehmen, dass die Versicherung, mit der der Vertrag abgeschlossen wurde, Probleme bereite, die beantragte und in Aussicht gestellte Erstattung auch zu leisten.

„Leider müssen wir auch feststellen, dass oft eine große Diskrepanz besteht zwischen den vollmundigen Ankündigungen von Kassen und Versicherern und der Situation, wenn der Ernstfall eintritt. Deshalb ist manche Empfehlungsliste vermeintlich unabhängiger am Markt agierender Preisvergleiche nicht immer ihr Geld wert. Ich habe meine Skepsis gegenüber vielen selbsternannten Ratgebern, die die Praxen mit ihren Informationen und Broschüren zu Zahnzusatzversicherungen überschütten. Das mag auf den ersten Blick hilfreich erscheinen, aber man darf dabei nicht übersehen, dass auch diese Herren Ratgeber ihr Geld mit dem Vermakeln von Zahnzusatzversicherungen verdienen.“

Kostenpläne bei Auktionsportalen gelandet

Auch musste die KZBV 2012 vor der Praxis einzelner Anbieter von Zusatzversicherungen warnen, die Heil- und Kostenpläne von Patienten an Auktionsportale im Internet weitergegeben hatten. Fedderwitz: „Es kann nicht angehen, wenn Versicherer Patienten an Auktionsportale für medizinische Leistungen navigieren. Das ist paradox. Die Patienten schließen eine Zusatzversicherung ab, weil sie eine hochwertige Versorgung haben wollen. Die Versicherung schickt sie aber Richtung Billigmedizin, um ihre Ausgaben zu minimieren.“

Info

Was man als Zahnarzt wissen muss

• Zusatzversicherungen decken gewöhnlich nicht die Kosten für den gesamten Zahnersatz, sondern nur für einen Teil. Dabei geben die Versicherer ihre Leistung zumeist als Prozentsatz an. Doch der Basisbetrag, auf den sich dieser Prozentsatz bezieht, kann unterschiedlich sein. Deshalb können 50 Prozent Erstattung in der einen Zahnzusatzversicherung mehr wert sein als 100 Prozent in der anderen. In manchen Tarifen erstattet der Versicherer beispielsweise 50 Prozent des gesamten Rechnungsbetrags. Andere orientieren sich allein am Festzuschuss der gesetzlichen Krankenkasse und verdoppeln diesen. Die prozentuale Kostenerstattung ist in der Regel nicht auf einen maximalen Rechnungsbetrag begrenzt. Bei solchen Versicherungen sollte genau abgewogen werden.

• Die fairste Lösung für den Kunden ist es, wenn der Versicherer sich auf den tatsächlichen Rechnungsbetrag bezieht und die Leistung der Kasse so weit aufstockt, bis 80 Prozent, 90 Prozent oder selten 100 Prozent der Rechnung bezahlt sind. Eine gute Zahnzusatzversicherung erstattet Zahnarzthonorare bis zum 3,5-fachen GOZ-Satz. Ferner gibt es keine Begrenzung der maximalen Erstattung bei Inlays und Implantaten. Implantatleistungen inklusive Knochenaufbau sind mitversichert und die Anzahl der Implantate pro Kiefer ist nicht begrenzt. Der Zahnersatz (Suprakonstruktionen) auf Implantaten ist ebenso mitversichert. Äußerst sinnvoll ist die Mitversicherung der Erstattung von prophylaktischen Leistungen wie etwa die professionelle Zahnreinigung.

Info

Patientenberatung

Um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht zu gefährden, empfehlen BZÄK und KZBV, bei Fragen von Patienten über den Abschluss einer Zahnzusatzversicherung, dass Zahnärzte diesen raten, Verbraucher-Informationsmaterial zu Rate zu ziehen und die Angebote zu vergleichen. Am wichtigsten ist eine Bedarfsanalyse und die Klärung der Frage: Wofür wird die Versicherung gebraucht? Als Informationsquellen kommen infrage: Bundeszahnärztekammer, Verbraucherschutzorganisationen, Institutionen wie der Bund der Versicherten, Print-Medien wie Stiftung Warentest und Vergleichsforen im Internet.

Info

Sparen oder versichern?

Patienten fragen sich bisweilen, ob es nicht ratsamer wäre, den Betrag für eine umfassende Zahnbehandlung zu sparen, anstatt eine Versicherung abzuschließen. Nötige Selbstdisziplin ist das eine. Das andere ist, dass Zahnzusatzversicherungen theoretisch durchaus in der Lage sind, ein Mehrfaches der eingezahlten Beiträge zu erstatten. Patienten sollten daher in jedem Fall wissen, wie es um ihren Mundgesundheitszustand bestellt ist und ob in den nächsten Jahren größere Behandlungen notwendig werden.

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