Zucker und Zuckerersatzstroffe

Bittere Süße

Morgens Marmeladenbrot mit gezuckertem Kaffee, mittags Heringssalat mit Limo und abends Pfannkuchen mit Apfelmus: Wir essen gut doppelt so viel Zucker wie empfohlen. Das kann nicht nur Karies auslösen, sondern auch Übergewicht, Diabetes oder eine Fettleber verstärken. Warum wir einen süßen Zahn haben und was wir dagegen tun können.

So sehen Kinderträume aus: riesige Hallen gefüllt mit bunten Bonbons, himbeerigen Schokoladen, leuchtenden Lollipops, gepuderten Zimtwaffeln, sauren Brause-Mäusen, knusprigen Pralinen und minzigen Kaugummis. Doch an den Ständen der Kölner Messe geht es zurzeit weniger darum, die Wünsche der Kleinen zu erfüllen, als die Gewinne der Großen zu steigern. Auf der Internationalen Süßwarenmesse (ISM) präsentieren 1 500 Anbieter aus 65 Ländern in der ersten Februarwoche ihre Süßwaren und Snacks.

Für Verfechter eines gemäßigten Zuckerkonsums ist das überwältigende Süßwaren-Sortiment ein Alptraum. Insbesondere amerikanische Wissenschaftler haben Zucker in jüngster Zeit als „Giftstoff“ ausgemacht, der dick und krank machen soll. Damit löst Zucker in der öffentlichen Debatte gerade das Feindbild Fett ab. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich vorgenommen, dem Verzehr von Karamellen, Cola und Co. einen Riegel vorzuschieben: Sie erwägt, die empfohlene Tagesdosis auf fünf Prozent der gesamten Kalorienzufuhr eines Erwachsenen zu beschränken – noch sind es zehn Prozent, was in der Praxis etwa zwölf Teelöffeln oder einem halben Liter Limonade entspricht.

Selbst davon sind wir hierzulande weit entfernt: Die Deutschen essen gut doppelt so viel wie von der WHO empfohlen. Jeder einzelne türmt im Laufe eines Jahres einen Zuckerberg von durchschnittlich 35 Kilogramm auf. Damit ist der Konsum in Deutschland zwar seit mehr als 40 Jahren relativ stabil, aber dieser bildet nur das Disaccharid Saccharose ab, also den Haushaltszucker, der industriell aus Rohr oder Rüben gefertigt wird.

Die WHO bezieht in ihre Empfehlung aber sämtliche „freien Zuckerarten“ ein, also alle Mono- und Disaccharide, die Lebensmitteln zugesetzt werden, inklusive Honig, Sirup und Fruchtsüße. Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) ist insbesondere der Verbrauch des Monosaccharids Glukose (Traubenzucker) heute fast doppelt so hoch wie noch vor 20 Jahren – eine Folge des gestiegenen Konsums gezuckerter Getränke und Schokoladen. Auch die Verbraucherzentralen weisen darauf hin, dass der Anteil versteckter Zucker in Lebensmitteln in Form von Glukosesirup, Maltodextrin oder Laktose in den vergangenen Jahren weiter gestiegen ist. Fakt ist: „Wir essen zu viel Zucker“, sagt Antje Gahl, Diplom-Ökotrophologin bei der DGE.

Problematisch: Stärke aus Hülsenfrüchten

Aber macht uns der süße Stoff auch dick und krank? Wie viel Zucker braucht der Mensch? Warum essen wir überhaupt so viel davon? Und was können wir gegen die chronische Überzuckerung tun? „Glukose ist der Brennstoff, den unser Körper benutzt – und der ist nicht per se toxisch. Der Haushaltszucker Saccharose besteht aus Fruktose und Glukose. Einem gesunden, schlanken und körperlich aktiven Menschen schadet Zucker nicht – abgesehen von der Karies“, sagt Prof. Dr. Andreas Pfeiffer, Leiter der Abteilung Klinische Ernährung beim Deutschen Institut für Ernährungsforschung und tätig an der Medizinischen Klinik für Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin der Berliner Charité.

Hauptfeind der Zähne ist die Saccharose, weil sie der am häufigsten vorkommende Zucker ist. Aber auch der Fruchtzucker, der vielen immer noch als gesund gilt, und auch lange Zeit für Diabetiker ein Zuckerersatz war, kann im gleichen Umfang Karies ver- ursachen. „Die Einfach- und Doppelzucker können gut in die Zahnbeläge hineindiffundieren und sofort von den Bakterien, die auf den Zähnen sitzen, zu Säuren verstoffwechselt werden“, sagt Prof. Dr. Zimmer, Leiter des Departments für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und Prodekan der Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke.

Aber auch komplexere Zucker wie Oligosaccharide, die vor allem in Hülsenfrüchten wie Erbsen und Bohnen vorkommen, und langkettige Kohlenhydrate wie Stärke können Karies verursachen. „Wenn man diese erhitzt oder lange genug dem Speichel aussetzt, werden sie in kurzkettige Zucker zerhackt, die dann wiederum in die Plaque eindringen und abgebaut werden können“, erklärt Zimmer. Dabei sei es weniger zahnschädlich, eine ganze Tafel Schokolade auf einmal zu essen, als wenige Weichkaramelle über den Tag verteilt. Denn zum einen sei nicht entscheidend, wie viel Zucker man isst, sondern wie oft er in den Mund wandert. Allerdings gilt im Leben: „Wer häufig Zucker ist, nimmt auch größere Mengen auf als jemand, der seltener Zucker isst“, sagt Zimmer.

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Zuckerbombe Obst

Zum anderen spielt die Konsistenz des Lebensmittels eine wichtige Rolle. „Sehr klebrige Bonbons sind besonders schädlich, weil sie stark an den Zähnen haften und die Bakterien über einen besonders langen Zeitraum sehr gut füttern.“ Das trifft auch auf Obst wie die gemeinhin als gesund geltende Banane zu, da der zerkaute Brei gut in die Zwischenräume des Gebisses eindringen kann. Problematisch sind auch getrocknete Datteln, Pflaumen und Feigen als Zucker- reservoir, während Apfelringe oder Aprikosen die Zähne weniger angreifen. „Daher kann man Trockenfrüchte nicht generell verteufeln“, betont Zimmer. Auch das Kariespotenzial von Honig sei nicht so dramatisch, wie oft angenommen: „Da er sehr gut wasserlöslich ist, ist er nicht zahnfeindlicher einzuschätzen als normaler Zucker.“ Gefährlich sind pikante Produkte wie Chips, Cracker oder Salzstangen. Neuere Unter- suchungen zeigen: „Diese Lebensmittel haben eine hohe Konzentration von Stärke in verarbeiteter Form und sind sehr klebrig“, sagt Ernährungsexpertin Gahl.

Konstanter Konsum, weniger Karies

Nicht nur Balsam für die Zuckerlobby ist, dass trotz ungebrochener Neigung zur Süße Karieserkrankungen in Deutschland deutlich zurückgegangen sind – bei zwölfjährigen Kindern seit Ende der Achtzigerjahre um 80 Prozent –, was auf eine verbesserte Mundpflege und Fluoridierung zurückzuführen ist. 70 Prozent der Zwölfjährigen haben mittlerweile kerngesunde Gebisse.

Von den verbleibenden 30 Prozent hat jedoch ein Drittel 60 Prozent der Karies, erklärt Zimmer. „Die Bevölkerung hat zwar durchgängig vom Kariesrückgang profitiert, aber sozial schwierige Lagen weniger als die gut Situierten“, so der Fachmann. Vor allem Vier- bis Fünfjährige in sozialen Brennpunkten litten heute verstärkt unter Milchzahnkaries. „Dort haben mehr als 35 Prozent der Kinder eine Saugflaschenkaries, weil sie stundenlang an zuckerhaltigen Getränken nuckeln.“

Könnten wir bei perfekter Mundhygiene und Fluoridierung also so viel Zucker essen wie wir wollten? Theoretisch ja: „Wer dafür sorgt, dass er keine Beläge auf den Zähnen hat, bekommt keine Karies“, sagt Zimmer. Aber das sei letztlich unrealistisch, da es komplett saubere Zähne gar nicht gebe.

Weil die Frequenz der Zuckeraufnahme von ganz wesentlicher Bedeutung ist, sollte man laut Zimmer vor allem bei den Getränken achtsam sein. „Das ist nicht limitiert auf Softdrinks. Viele von uns trinken über den ganzen Tag verteilt Kaffee oder Tee, der mit einem Teelöffel Zucker gesüßt ist. Das ist hochgradig kariogen. Wer seinen Kaffee oder Tee mit Süßstoff oder Zuckeraustauschstoffen trinkt, hat bereits einen wesentlichen Beitrag zur Kariesprophylaxe geleistet.“ Ein weiterer Tipp: Wer Zucker isst und sich anschließend nicht die Zähne putzen kann, sollte einen Zahnpflege- Kaugummi kauen.

Während also unbenommen ist, dass Zucker den Zähnen zusetzt, kann er nicht allein als Ursache für andere Erkrankungen verantwortlich gemacht werden. „Ein Problem damit hat nur, wer übergewichtig ist, eine Fettleber oder Stoffwechselstörungen hat“, sagt Ernährungsmediziner Pfeiffer. Diese Menschen profitierten davon, wenn sie vergleichbare Kohlenhydrate mit einem deutlich niedrigeren glykämischen Index äßen. Denn Zucker wirkt nachteilig auf den Stoffwechsel: Er wird sehr schnell resorbiert, bedingt einen hohen Insulinanstieg und verursacht die Sekretion eines Hormons, das eine Fettleber auslösen kann. „Dafür sind nicht die einzelnen Elemente Glukose oder Fruktose verantwortlich, sondern deren Verknüpfung. Das haben wir gerade in einer Studie gezeigt.“

Nimmt man stattdessen Isomaltulose, einen Zucker, bei dem die gleichen Moleküle anders mitein- ander verbunden sind, entsteht keine Fettleber. Isomaltulose wird sehr langsam gespalten, erst später im Darm resorbiert und löst keine Hormonsekretion aus. Sie hat einen viel niedrigeren glykämischen Index als Haushaltszucker, Blutzucker und Insulin steigen in deutlich geringerem Maß an.

Bei Normalgewichtigen, die viel Zucker essen, ist das Risiko für Diabetes allerdings nicht erhöht. „Die weltweite Epidemiologie zeigt einen recht geringen Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Diabetes, dieser ist viel mehr verknüpft mit dem Gewicht. Hierbei die einzelnen Komponenten ausein-ander zu sortieren, ist natürlich schwierig“, so Pfeiffer. „Sie brauchen immer die Stoffwechselstörung durch die Adipositas, dann schlägt der Zucker zu, nicht umgekehrt. Zucker kann die Adipositas aber natürlich verstärken.“

Flüssige Gefahr

Zudem zeigten Studien, dass zuckerhaltige Getränke Übergewicht fördern könnten. „Wer eine Flasche Cola trinkt, ist nicht satt. Ein Drink, der Kohlenhydrate enthält, prädisponiert daher zum Überkonsum“, erklärt Ernährungsmediziner Pfeiffer. Darüber hinaus verursache Zucker in Lösungen eine „irre Insulinsekretion“ und führe bei einem Drittel der Menschen zu einer Unterzuckerung, wodurch sie wiederum mehr äßen.

In den USA sind solche Getränke mit Fruktose aus günstig verfügbarem Maissirup gesüßt, was ebenfalls zur Fettleibigkeit führen kann. Fruktose, die eine größere Süßkraft hat als Glukose, ist für unseren Stoffwechsel sogar ungünstiger, da wir sie nicht speichern können. Die Leber muss sie verstoffwechseln, wandelt sie in Glukose um oder produziert daraus Fett. Das treibt direkt die Fett- synthese in der Leber an – was allerdings erst in größeren Mengen, im Bereich von 30 bis 50 Gramm, schädlich ist. „Und dann wird es auch bei Haushaltszucker zum Problem, bei beiden kommt es auf die Menge an“, betont Pfeiffer. Auch hierzulande greifen Lebensmittelhersteller zunehmend zur Fruktose und vermarkten etwa Wellness-Wasser oder Saftschorlen „mit natürlichem Zucker“ als vermeintliche Gesundbrunnen.

Zucker im Überfluss – wohin das Auge auch schweift. „Energie und Nahrung sind pausenlos für wenig Geld verfügbar, wir müssen uns da zurückhalten. Dafür sind wir nicht gemacht“, sagt Pfeiffer. Der Hälfte der Menschen bereite das Schwierigkeiten, weil sie dann dick werden. Denn der Mensch habe eine angeborene Süßpräferenz: „Alles, was süß schmeckt, ist eher ungefährlich“, sagt Ernährungsexpertin Gahl. „Rein ernährungsphysiologisch bräuchten wir aber keinen zugesetzten Zucker. Wer Kartoffeln, Getreideprodukte oder Obst isst, nimmt ausreichend Zucker auf. Aber aus Gründen des Geschmacks und der Konservierung ist Zucker nicht aus unserer Ernährung wegzudenken.“

Trainiert auf Zucker

Das Dilemma ist: Der Geschmack ist in Wirklichkeit nicht der direkte Stimulus, sondern dieser ist immer verknüpft mit der Kalorienzufuhr – was laut Pfeiffer auch Experimente mit Mäusen gezeigt haben. „Das konditioniert unbewusst unser Hirn – wir sind hier viel schlauer gemacht als wir denken. Für uns ist der Konsum von wohlschmeckender Nahrung direkt mit hedonischen Gefühlen verbunden, sonst würden wir gar nicht genug essen.“

Und dieses Wissen um die Vorlieben der Menschen macht sich wiederum die Lebensmittelindustrie zunutze. So trainieren gesüßte Babynahrung und Kinderprodukte den Geschmack zusätzlich auf Zucker. „Uns werden viele süße Lebensmittel angeboten, welche dann auch im Erwachsenenalter gerne angenommen werden“, sagt Silke Schwartau, Abteilungsleiterin Ernährung und Lebensmittel bei der Verbraucher- zentrale Hamburg.

Wir sind also voll auf Zucker geeicht und getrimmt – sind wir sogar süchtig nach dem weißen Stoff? „Es existieren Studien, die einen Zusammenhang von Zuckerkonsum und Suchterscheinung untersuchen. Einige zeigten bei Ratten Suchtanzeichen, etwa Fressanfälle, wenn sie nach regelmäßigen Zuckerdosen keinen mehr bekamen“, berichtet Schwartau. Unter Wissenschaftlern sei aber umstritten, ob die Ergebnisse auf Menschen übertragen werden könnten. Pfeiffer bemängelt zudem die Qualitäts-standards der Untersuchungen. Er würde eher von Gewöhnung statt Sucht sprechen: „Wenn Sie sehr viel Süßes essen, nimmt die Sensitivität ab. Aber wir müssen essen. Daher ist es schwierig, einem Nahrungs-mittel ein Suchtpotenzial zuzuschreiben. Das ist sicherlich bei den Menschen sehr verschieden.“

Auch Gahl von der DGE ist der Auffassung: „Sucht, etwa nach Nikotin, verursacht körperliche Entzugserscheinungen. Dieses absolute Verlangen ist bei Zucker nicht gegeben, hier spielen eher psychologische Faktoren eine Rolle.“

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Bonbons aus Holz

Aber wie kommen wir in einer Gesellschaft, in der uns Cracker, Schokoflakes, Gummibärchen oder Sahnepudding in jedem Supermarkt zum Kaufen verführen, aus der Süßfalle Zucker heraus? Eine pragmatische Lösung dafür sind die Zuckerersatzstoffe, also Süß- und Zuckeraustauschstoffe. Allerdings setzt die Nahrungsmittelindustrie sowohl die kalorien-freien Süßstoffe wie Aspartam, Cyclamat, Saccharin oder die Stevioglykoside als auch die kalorien- reduzierten Zuckeraustauschstoffe, etwa die Polyole Sorbit, Xylit und Maltit, in Bonbons, Pralinen und Kaugummis immer noch vergleichsweise sparsam ein. „Lediglich zahnfreundliche Kaugummis haben sich weitgehend durchsetzen können“, sagt Zimmer.

Zurzeit besonders beliebt ist Stevia, das ursprünglich aus den Blättern der sub- tropischen Stevia-Pflanze, auch bekannt als Honigkraut, stammt. „Aber auch dieser Süßstoff ist kein natürliches Produkt mehr, da er inzwischen chemisch gewonnen wird. Daher hat er auch keinen Vorteil im Vergleich mit anderen Substanzen“, sagt Gahl.

Dabei sind Süßstoffe allein zu süß, um Bonbons herzustellen oder Kuchen zu backen. Ein Bonbon besteht üblicherweise zu 90 bis 95 Prozent aus Zucker, diesen gegen einen zweihundertmal so süßen Stoff zu tauschen, bedeutet, 200 Gramm Zucker durch ein Gramm Süßstoff zu ersetzen. „Dann gibt es kein Bonbon mehr“, erklärt Zimmer. „Daher werden meist noch andere Kohlenhydrate hinzugenommen, zum Beispiel Maltodextrin, das auch kariogen ist, allerdings nicht in dem Maß wie Zucker.“

Mehr Masse, aber weniger Kalorien

Oder es kommen Zuckeraustauschstoffe zum Einsatz, die den Zucker von seiner Masse her ersetzen können. Xylit, das man natürlich aus Holz herstellen kann, hat sogar die gleiche Süßkraft wie Zucker. „Wobei dahinter auch eine starke Lobby steht: Die Xylit-Industrie hebt gerne hervor, dass es sich hier um ein besonders wert- volles Polyol handelt. Das steht wissenschaftlich aber auf wackeligen Beinen“, gibt der Zahnexperte zu bedenken. Ein anderer Zuckeraustauschstoff ist Sorbit, das nur halb so süß ist wie Zucker. Zimmer: „Ein daraus hergestelltes Bonbon ist zwar genau so groß, aber es schmeckt nicht so süß. Daher kommt noch Süßstoff dazu.“

„Aus kariespräventiver Sicht sind Zucker- ersatzstoffe sicherlich eine gute Möglichkeit“, sagt Zimmer. „Sie sind nicht kariogen, was besonders bei Kaugummis und Bonbons von Vorteil ist.“ Vorsicht ist allerdings bei Light-Getränken angezeigt: Sie enthalten zwar keinen Zucker, können aber dennoch Karies verursachen, weil die enthaltene Säure den Schmelz angreifen kann. „Das gleiche gilt für Früchtetees, von denen die meisten allerdings nicht getestet sind. Es gibt lediglich einen Kindertee von Hipp, der zahnfreundlich ist“, sagt Zimmer.

Auch ernährungsmedizinisch können Zuckerersatzstoffe sinnvoll sein. Wenn zum Beispiel Menschen mit einem Diabetes mellitus einen Joghurt oder Quark mit einem Süßstoff essen, sei das eindeutig vorteilhafter, als wenn sie Zucker konsumieren, weil der den Blutzucker in die Höhe treibe, betont Pfeiffer. „Da ist Süßstoff sicherlich weniger problematisch, selbst wenn er schädlich wäre.“

Bitterer Beigeschmack

Ob zahnfreundliches Bonbon, Light-Limonade oder Diät-Praline: Vieles schmeckt aufgrund der verwendeten Süßstoffe längst nicht so gut wie die gezuckerten Produkte. Denn die meisten von ihnen, auch Stevia, aktivieren laut Pfeiffer Bitterrezeptoren – von diesen haben Menschen mit rund 25 im Vergleich zu anderen Lebewesen besonders viele, Hühner etwa haben nur vier. „Daher haben wir eine sehr differenzierte Bitterwahrnehmung. Die Empfindlichkeit der Menschen dafür ist aber unterschiedlich, wobei es auch immer auf die eingenommene Menge ankommt.“ Auf eine andere unerwünschte Wirkung von Süßstoffen hat jüngst eine Gruppe von israelischen Wissenschaftlern im Fachmagazin „Nature“ hingewiesen. Ihre Studie zeigte, dass der Blutzuckerspiegel bei Mäusen angestiegen war, nachdem sie sehr große Mengen von Süßstoff bekommen hatten. Offenbar beschleunigen Süßstoffe das Wachstum von Darmbakterien, die die Regulation des Blutzuckerspiegels stören.

„Derart grotesk hohe Dosen von Süßstoffen können natürlich auch das Mikrobiom verändern. Ansonsten hat das Paper eigentlich wenig gezeigt, außer dass der Zucker- anstieg etwas höher war“, sagt Pfeiffer. „Es gibt sicherlich Effekte von Süßstoffen, die aber relativ moderat sind. Leider fehlen Studien, die mit normalen Mengen von Süßstoffen experimentieren.“

Zur Vorsicht rät der Fachmann allerdings bei Kindern: „Kinder kommen sehr viel schneller an diese Grenzwerte heran, da sie weniger wiegen und mehr trinken. Darin könnte durchaus ein Problem bestehen – das sollte man aufmerksam verfolgen“, sagt er. „Es gibt auch immer wieder kritische Stimmen, die sagen, Süßstoffe könnten Krebs auslösen. Aber die Stoffe sind in Europa und vielen anderen Ländern der Welt nach strenger Prüfung der wissenschaftlichen Datenlage als Lebens- mittel zugelassen – und können daher getrost als unbedenklich eingestuft werden“, erklärt Zimmer dazu.

Wie Süßstoffe sind auch Zuckeraustauschstoffe nur in Maßen zu konsumieren, denn sie sind kalorisch. Alle können im Darm abgebaut werden – allerdings verzögert, weshalb die Kalorienausbeute geringer ausfällt. Xylit zum Beispiel hat nur halb so viele Kalorien wie Haushaltszucker. Aber dadurch wirken diese Stoffe auch abführend. Vor allem bei Menschen mit Fruktosemalabsorption können sie gastrointestinale Beschwerden auslösen. „Darum sollte man von den Zuckeraustauschstoffen im Schnitt lediglich 30 bis 35 Gramm pro Tag zu sich nehmen. Das ist auch der Grund dafür, dass es zahnfreundliche Bonbons fast nur als Hartkaramellen gibt, die eine relativ kleine Masse haben – wie zum Beispiel Smint“, erläutert Zimmer.

Tatsache ist auch: Wer Süßstoffe oder Zuckeraustauschstoffe verzehrt, ist deshalb nicht dünner. „Wobei die Datenlage dadurch verzerrt wird, dass Leute, die mit dem Gewicht kämpfen, eher dazu neigen, diese Zuckerersatzstoffe zu nehmen als schlanke“, sagt Ernährungsforscher Pfeiffer. Ernährungspsychologisch sieht Ökotrophologin Gahl zuckerreduzierte Lebensmittel kritisch: „Wenn ich einen Butterkeks oder ein Stück Kuchen essen möchte, dann sollte ich dieses Stück maßvoll genießen“, sagt sie. Zuckerreduzierte Süßwaren verführten eher dazu, mehr zu essen. Den Grundstein für eine zuckerarme Ernährung sollte vielmehr die Erziehung legen. Dazu gehört, Kindern von Anfang an einen bewussten und genuss- vollen Umgang mit Süßem beizubringen. „Süßigkeiten sollten nicht nebenbei aus Langeweile, beim Fernsehen oder Spielen gegessen werden. Ebenso wenig eignen sie sich als Belohnung oder Trostpflaster“, sagt Gahl. Sie rät auch dazu, Kindern beizubringen, sich Schokolade und Bonbons selbst über die Woche einzuteilen, bestimmte Naschzeiten zu vereinbaren und keinesfalls den Schokoladenteller frei im Raum stehen zu lassen.

Tipp: Die Süßschwelle senken

Außerdem gibt sie den Tipp, die Süß-schwelle zu senken, etwa beim Kuchen- backen rund ein Drittel weniger Zucker zu nehmen, als im Rezept steht, und frischen Produkten wie Obst oder Naturjoghurt mit Fruchtpüree den Vorzug zu geben. Von Verboten hält die Ernährungswissenschaftlerin nichts: „Das weckt dann wiederum Begehrlichkeiten.“ Auch Pfeiffer sagt: „Wenn Sie Zucker verbieten, werden Sie die Welt nicht dünn machen.“ Das Problem sei nicht nur einfach der Zucker. Hinzu komme viel mehr die mangelnde Bewegung, da viele Eltern ihre Kinder beispielsweise mit dem Auto in die Schule brächten statt zu Fuß oder mit dem Fahrrad.

Bewegung ist der Schlüssel 

Zucker ist also erlaubt – aber in Maßen: Da sind sich Zahnarzt, Ernährungsmediziner, Ökotrophologin und Verbraucherschützerin einig. Aber ist es wirklich mit einem Becher Fruchtjoghurt pro Tag gegessen, so wie es der WHO vorschwebt? Bleiben die ganzen Zartbittertäfelchen, Gummi- bärchen, Lakritze und Schokonüsse, mit denen die Süßwarenmesse gerade lockt, nur noch ein schöner Traum? Natürlich können wir die Nougatpralinen noch naschen, wenn wir uns ausreichend bewegen und ansonsten ausgewogen ernähren. Aber das ist vielen in den Lebenswelten der modernen Gesellschaft offensichtlich nicht mehr möglich. „Laut Angaben der WHO gibt es auf der Welt zwei Milliarden adipöse Menschen. Das ist eine der Hauptbedrohungen der Gesundheitssysteme überhaupt. Diabetes nimmt um das Zwanzigfache zu, wenn man dick ist, Arteriosklerose und Krebs steigen um das Drei- bis Vierfache an“, resümiert Pfeifer.

Darum mache es Sinn, dass die WHO mit ihren Leitlinien ein Signal setze und auf das Zucker-Problem aufmerksam mache. „Eigentlich müsste man solche Empfehlungen individuell anpassen. Aber wenn Sie das kommunizieren, machen wieder alle Witze darüber, wie kompliziert die Angaben sind. Deshalb wollen die Leute plakative Aussagen.“

Hanna HergtFachautori

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