Leitartikel

Wie gesund ist der Menschenverstand?

Christoph Benz

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

kürzlich hielt ich den Brief eines Kollegen in der Hand, der die Abschaffung der bürokratischen Fesseln für unseren Beruf forderte. Die Idee ist nicht neu, seine Argumentation aber interessant: Die Flüchtlingskrise habe gezeigt, dass uns Vorschriften und Gesetze unfähig machten, auf spontane Ereignisse zu reagieren. Die Zeit sei gekommen den „gesunden Menschenverstand“, den aktuell der Bundesinnenminister bei der Unterbringung von Flüchtlingen gefordert habe, nunmehr auf die gesamte Wirtschaft und insbesondere auch auf die Heilberufe anzuwenden. Jetzt könne es endlich gelingen, „die abgehobene staatliche Überbürokratisierung“ abzuschütteln.

Zunächst zwei eigene Erlebnisse mit Politikern: Als Bayerische Landeszahnärztekammer hatten wir einen Termin mit dem damaligen Bundesumweltminister Norbert Röttgen und wollten über die wenig zielführenden Röntgenaktualisierungen sprechen. Alles sah gut aus, bis Fukushima kam. Röttgen schrieb uns, dass die Reaktion der Bevölkerung klar zeige, wie sensibel das Thema Strahlensicherheit sei, und dass es ihm viel zu heiß sei, in dem Umfeld Erleichterungen zu schaffen.

Zweites Erlebnis: Mit dem damaligen bayerischen Gesundheitsminister Marcel Huber wollten wir über den Abbau der Hygiene-Bürokratie sprechen. Zu der Zeit ergoss sich gerade der kollektive Ekel über die Firma Müller-Brot, die das eine oder andere unappetitliche Tierchen in ihre Backwaren eingearbeitet hatte. Huber sinngemäß: „Ihr seht doch, wie sensibel die Bevölkerung auf das Thema Hygiene reagiert. Da werde ich mir nicht die Finger mit irgendwelchen Erleichterungen verbrennen.“

Die eingangs zitierte Argumentation lebt von der Vorstellung, der Staat sei eine Bürokraten-Sekte, die einem perversen Verordnungsfetisch weit ab von den Wünschen der Menschen folgt. Ticken Politiker so, oder sind wir als Volk mit unseren Mehrheitsmeinungen und Empörungsstürmen nicht doch öfter Täter als Opfer?

Der renommierte Soziologe Eugen Buß hat das mal so erklärt: Das Vertrauen in alle Berufsgruppen sinkt kontinuierlich. Ein wichtiger Kulturindikator in Deutschland sei die Unsicherheitsvermeidung. Immer wenn uns Dinge intransparent erscheinen, fordern wir Regeln, selbst unsinnige Regeln seien uns lieber als Zweideutigkeiten.

Jetzt mal Hand aufs Herz: Wer meint nicht, dass Doping im Sport endlich ausgerottet gehört, dass Politiker allzu leicht Lobbyisten erliegen und dass die Emissionen von Autos jetzt härter kontrolliert werden müssen? Dass wir damit viele ungedopte Sportler in einen Kontrollwahnsinn zwingen, Politiker sich nicht mal mehr trauen, zum Essen eingeladen zu werden, und Tausende unschuldige Ingenieure unter Generalverdacht stehen, ist uns völlig egal.

Die problematische Seite wird immer erst deutlich, wenn man selbst betroffen ist. Auch die Zahnmedizin liefert negative Schlagzeilen – oft nicht mal berechtigt. Dass die überwiegende Mehrheit ehrlicher, hart arbeitender Zahnärztinnen und Zahnärzte dabei unter Verdacht und Kontrolle geraten, ist der Gesellschaft – Sie ahnen es – völlig egal.

Helfen kann allein, das Vertrauen zu stärken, bevor Misstrauen entsteht. Die Zahnmedizin macht das übrigens ziemlich gut. In der einzelnen Praxis ebenso gut wie auch deutschlandweit – wie der Weisse-Liste-Report 2015 zeigt. Aktuelles Beispiel ist die BZÄK-Qualitätsbroschüre mit dem Schwerpunktthema Fortbildung. Da liest man, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte sich weit mehr als gefordert fortbilden.

Wir wollen keine Schnittchen-Fortbildungen, sondern hochwertige Veranstaltungen: Allein 85 Prozent der Fortbildungspflicht wird durch die Akademien der Länderkammern abgedeckt. Nutzen Sie den QR-Code und schauen Sie doch mal rein! Auch wenn der Menschenverstand damit nicht gesünder wird, ist es schön, auf den eigenen Berufsstand stolz sein zu können!

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Prof. Dr. Christoph Benz

Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer

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