Repetitorium Sepsis

Die Bedrohung nimmt zu

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Die Sepsis ist eine generalisierte, den ganzen Körper und seine Organe schädigende Entzündungsreaktion, die sich aus fast jeder lokal begrenzten Infektion entwickeln kann. Ohne adäquate und rechtzeitige Therapie verläuft eine Sepsis fast immer tödlich. Wegen der enormen Bedeutung der Erkrankung fordert die Globale-Sepsis-Allianz einen „Nationalen Aktionsplan gegen die Sepsis“.

In Deutschland erkranken jährlich rund 180 000 Menschen an einer Sepsis, etwa 60 000 Menschen versterben daran. Die Sepsis ist, so Angaben der Anti-Sepsis-Stiftung, in der westlichen Welt die dritthäufigste Todesursache bei weiterhin dramatisch steigenden Fallzahlen.

Hinzu kommt, dass bis zu 20 Prozent der Patienten, die eine Sepsis überleben, an erheblichen Spätfolgen wie einem post-traumatischen Stresssyndrom, motorischen und neuro-kognitiven Funktionsstörungen, Depressionen und einer Kachexie leiden.

Dabei ist die Sepsis als Erkrankung in der Öffentlichkeit bislang kaum bekannt, wie in einem Memorandum zum „Sepsis Summit Berlin“ beklagt wird, das von zwölf medizinischen Fachgesellschaften, den Präsidenten der Leopoldina und des Robert Koch-Instituts, einer Reihe von Landesgesundheitsministern und Landesärztekammern und weiteren Organisationen getragen wird. So werde die Sepsis üblicherweise mit dem Begriff der Blutvergiftung assoziiert. „Die meisten Menschen wissen nicht, dass die Sepsis die schwerste Verlaufsform und die Haupttodesursache von Infektionen ist“, heißt es in der Erklärung.

Grundlagen

Zur Sepsis kommt es, wenn Bakterien, Pilze oder andere Mikroorganismen oder die von diesen gebildeten Toxine sich bei einer Infektion vom lokalen Infektionsherd aus systemisch ausbreiten und eine generalisierte Infektion verursachen. Definiert ist die Sepsis als „Invasion von Mikroorganismen und/oder ihrer Toxine in den Blutstrom zusammen mit der Reaktion des Organismus auf diese Invasion“.

Unterschieden werden dabei die Sepsis aufgrund eines SIRS (Systemic Inflammatory Response Syndrome), also einer generalisierten hyperinflammatorischen Reaktion als Folge einer Infektion, einer Verbrennung oder eines Traumas, die schwere Sepsis mit Organdysfunktion und der septische Schock.

SIRS: Von einem SIRS ist auszugehen, wenn mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt sind:

•  Körpertemperatur > 38 °C oder < 36 °C

•  Tachykardie mit einer Herzfrequenz von  > 90/min

•  Tachypnoe mit einer Atemfrequenz von > 20/min oder einer Hyperventilation (PaCO2 < 4,3 kPa beziehungsweise 33 mmHg)

•  Leukozytose (> 12 000 weiße Blutkörper-chen/mm3) oder Leukopenie (< 4 000/mm3) oder > 10 Prozent unreife neutrophile Granulozyten im Differenzialblutbild

Schwere Sepsis: Sie liegt vor, wenn zusätzlich mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:

• Enzephalopathie: eingeschränkte Vigilanz, Desorientiertheit, Unruhe, Delirium

• Thrombozytopenie: Innerhalb von 24 Stunden Abfall der Thrombozyten um mehr als 30 Prozent oder Thrombozytenzahl < 100 000/mm3 bei Ausschluss einer  Erkrankung des Immunsystems oder einer akuten Blutung

• Arterielle Hypotension mit einem systoli-schen arteriellen Blutdruck < 90 mmHg oder einem mittleren arteriellen Blutdruck < 70 mmHg über mindestens eine Stunde trotz adäquater Volumenzufuhr bei Abwesenheit anderer Schockursachen

• Hypoxie: PaO2 < 10 kPa (75 mmHg)  oder ein PaO2/FiO2-Verhältnis < 33 kPa (250 mmHg) unter Sauerstoffverabreichung bei Ausschluss einer kardialen oder einer pulmonalen Vorerkrankung

• Akutes Nierenversagen: Harnproduktion (Diurese) < 0,5 ml/kg Körpergewicht/h  für mindestens zwei Stunden, trotz ausreichender Volumensubstitution und/oder Anstieg des Serumkreatinins um das Dop-pelte des lokal üblichen oberen Referenzbereichs

• Metabolische Azidose: BE < −5 mmol oder Laktat > 1,5-fach im Vergleich zum  lokal üblichen Referenzwert.

Die Sepsis, die schwere Sepsis und der septische Schock stellen ein Krankheitskontinuum dar, das laut Leitlinie über eine Kombination aus Vitalparametern, Laborwerten, hämodynamischen Daten und Organfunktionen definiert wird.

Zur Diagnose der Sepsis wird empfohlen, bei entsprechendem klinischem Verdacht infolge von Fieber, Schüttelfrost, Hypo- thermie, Leukozytose, Linksverschiebung im Differenzialblutbild, Erhöhung von Procalcitonin oder C-reaktivem Protein oder einer Neutropenie schnellstmöglich vor Einleitung einer antimikrobiellen Therapie Blutkulturen abzunehmen.

Pathophysiologie

Entscheidend für die Entwicklung der Sepsis ist das Zusammenspiel von Infektion und Immunreaktion, wobei es unerheblich ist, ob die Infektion durch Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten ausgelöst wurde. Denn laut Angaben der Sepsis-Gesellschaft sind prinzipiell alle Krankheitserreger in der Lage, eine Sepsis zu triggern.

Dabei kommt es zu einer Aktivierung immunkompetenter Zellen und zur Ausschüttung von Entzündungsmediatoren wie dem Tumor-Nekrose-Faktor alpha (TNF-alpha) sowie Interleukin-1 (IL-1). Diese primäre Immunantwort wird durch das Freisetzen einer Vielzahl von sekundären Mediatoren weiter verstärkt. Parallel zu der sich entwickelnden Hyperinflammation werden auch antiinflammatorische Mediatoren wie beispielsweise lösliche TNF-alpha-Rezeptoren, IL-1-Rezeptorantagonisten, IL-4 und IL-10 freigesetzt, und es wird die Apoptose, also der programmierte Zelltod immunkompetenter Zellen, induziert. Welche Auswirkungen das Zusammenspiel pro- und anti-inflammatorischer Mechanismen auf den klinischen Verlauf hat, ist laut Sepsis- Gesellschaft noch ungeklärt.

Gut bekannt aber sind die Konsequenzen der Reaktion. So kommt es zur Beeinträchtigung einer ganzen Vielzahl von Körperfunktionen.

Die physiologischen Antikoagulantien werden in ihrer Wirkung gehemmt, das Gerinnungssystem wird aktiviert und es droht eine disseminierte intravasale Gerinnung. Die von den Leukozyten freigesetzten zytotoxischen Substanzen schädigen das Endothel, was Störungen der Mikrozirkulation nach sich zieht. Es kommt zur Ausbildung von Kapillarlecks und eventuell dadurch bedingt zu massiven Flüssigkeitsverschiebungen und zu einem intravasalen Volumenmangel. Die Entzündungsmediatoren bewirken ihrerseits eine Vasodilatation und eine arterielle Hypotension. Es kommt zu einer reduzierten Herzleistung, wobei die kardiozirkulatorischen Störungen die Organperfusion beeinträchtigen. Das wiederum begünstigt eine Multiorgandysfunktion mit dem Risiko des Multiorganversagens als eigentlicher Todesursache von Sepsis-Patienten.

Behandlung

Bei der Behandlung der Sepsis steht die Fokussanierung im Vordergrund. Denn die vollständige Sanierung der septischen Infektionsquelle stellt laut Leitlinie eine wesentliche Voraussetzung für den Therapieerfolg dar, und eine nur unzureichende Fokussanierung ist mit einer hohen Letalität assoziiert.

Von zentraler Bedeutung ist ferner eine breite, hoch dosierte, frühzeitig applizierte antimikrobielle Initialtherapie. Allerdings fehlen bislang konkrete Empfehlungen aus prospektiven randomisierten kontrollierten Therapiestudien zum optimalen Vorgehen, da das Vorliegen einer Sepsis in solchen Studien in aller Regel als Ausschlusskriterium definiert ist.

Generell wird in den Leitlinien empfohlen, die antimikrobielle Therapie nach Abnahme der Blutkulturen, unbedingt jedoch frühestmöglich innerhalb einer Stunde (Golden Hour) nach der Diagnosestellung der Sepsis einzuleiten. Die Behandlung sollte intra- venös erfolgen, als kalkulierte, sich am individuellen Risikoprofil des Patienten und am mikrobiologischen Resistenzmuster ausgerichtete antimikrobielle Therapie. Dabei wird empfohlen, das gewählte antimikrobielle Regime alle 48 bis 72 Stunden anhand klinischer und mikrobiologischer Kriterien neu zu evaluieren, um das antimikrobielle Spektrum zu verengen und damit das Risiko von Resistenzen, die Toxizität und die Kosten zu verringern. Die Therapiedauer ist an den klinischen Reaktionen auszurichten und kann in aller Regel auf sieben bis zehn Tage begrenzt werden.

Neben der Fokussanierung und der antimikrobiellen Therapie sind selbstverständlich eine hämodynamische Stabilisierung des Patienten und die Sicherung der Vitalfunktionen unerlässlich. Im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung sind nicht selten eine Beatmung, eine Kreislauftherapie, eine Gerinnungstherapie und eventuell auch eine Nierenersatztherapie erforderlich.

Bedenkliche Zunahme

Die Zahl der Sepsisfälle nimmt in den Industrienationen jährlich um etwa sieben bis acht Prozent zu, so die offiziellen Angaben. Die Ursachen für die Zunahme sind vielfältig: So steigt insgesamt die Zahl der Menschen, die aufgrund ihres Alters sowie infolge chronischer Grunderkrankungen wie einem Diabetes oder einer koronaren Herzerkrankung ein erhöhtes Infektionsrisiko tragen und damit zwangsläufig auch ein erhöhtes Risiko, eine Sepsis zu erleiden.

Ferner steigt die Zahl der Menschen, die Immunsuppressiva einnehmen, sowie die hohe Zahl an Patienten nach Organtransplantation oder anderen invasiven Behandlungsmaßnahmen wie einer Chemotherapie bei Tumorerkrankungen, so dass die Zunahme der Sepsis letztlich auch dem medizinischen Fortschritt geschuldet ist.

Erhebliche Resistenzzunahme

Ein weiteres Problem ist die stetige Zunahme von nicht oder nur noch schwer behandelbaren Krankheitserregern bei gleichzeitigem Rückgang der Entwicklung neuer effektiver Antibiotika, so das Memorandum. Die WHO prophezeit daher bereits „eine post-antibiotische Ära“, in der es für viele herkömmliche Infektionen keine effektiven Therapiemöglichkeiten mehr geben wird. Auch das Weltwirtschaftsforum hat das Problem in seinen „Global Risk Report“ für das Jahr 2013 aufgenommen, und die Deutsche Nationale Akademie Leopoldina sieht die Entwicklung als „globale Bedrohung für die Menschheit“.

Als „äußerst besorgniserregend“ wird dabei festgehalten, dass beim Nationalen Referenzzentrum für multiresistente gram-negative Erreger (NRZ) hierzulande schon im Jahr 2012 knapp 600 Nachweise von Carbapenemase-bildenden Enterobakterien gemeldet wurden, für die es kaum noch Behandlungsmöglichkeiten gibt. Außerdem liegt Deutschland bei der Häufigkeit von Sepsisfällen durch Vancomycin-resistente Keime (VRE) bereits an vierter Stelle in Europa nach Irland, Griechenland und Portugal.

Die Situation dürfte sich, so die Einschätzung der Experten, vor dem Hintergrund des enormen Kostendrucks auf die Krankenhäuser, kombiniert mit einem strukturellen Mangel an in der Infektiologie und in der Hygiene gut ausgebildeten Ärzten und Pflegekräften zukünftig noch verschärfen.

Krankheitsfälle vermeiden

Vor diesem Hintergrund werden umfassende Maßnahmen gefordert, um die sich potenzierenden Probleme in den Griff zu bekommen.

Die Maßnahmen sollen im Wesentlichen darauf abzielen, eine sich entwickelnde Sepsis bereits im Frühstadium zu erkennen und als Notfall sofort zu therapieren.

Davon abgesehen sollen alle Anstrengungen unternommen werden, um die auslösenden Infektionen zu vermeiden, wobei vor allem der besseren Hygiene sowie Impfungen zentrale Bedeutung zukommt. Dadurch allein schon ließe sich, so die Schätzungen, die Zahl der Menschen, die an einer Sepsis versterben, um etwa 15 000 bis 20 000 Fälle pro Jahr in Deutschland verringern.

Nationaler Aktionsplan dringend gefordert

Als Schwerpunkte eines Nationalen Aktionsplans gegen die Sepsis fordern die Experten

• die Entwicklung und Implementierung von Qualitätssicherungsprogrammen zur Verbesserung von Prävention, Diagnose und Therapie in allen Sektoren des Gesundheitswesens,

• die Aufklärung der Bevölkerung über Präventionsmöglichkeiten und Frühsymptome,

• den Stopp des unsachgemäßen Einsatzes von Antibiotika in Medizin, Landwirtschaft und Tierzucht,

• die Vorbeugung und Eindämmung von lokalen, länder- und kontinentübergreifenden Erreger-Ausbrüchen.

Als Maßnahmen werden vorgeschlagen

• die Vermeidung von nosokomialen Infektionen durch die stringente Umsetzung von Hygienemaßnahmen in allen Bereichen des Gesundheitswesens,

• die konsequente Impfung von Risikopopulationen wie Kindern, älteren Menschen und Menschen ohne Milz gegen Sepsiserreger wie Pneumokokken, Meningokokken und Haemophilus influenzae B, entsprechend der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts,

• die Früherkennung von Infektionen und Sepsis und die konsequentere Umsetzung evidenzbasierter Diagnose- und Behandlungsrichtlinien in der täglichen Praxis durch innovative Implementierungsstrategien und Benchmarkprojekte,

• eine rationale Steuerung des Einsatzes antimikrobieller Substanzen (Antibiotic Stewardship) und ein Drugmonitoring,

• die Entwicklung und Implementierung spezifischer Behandlungskonzepte für die Nachbehandlung und Rehabilitation nach Beendigung der Akutbehandlung,

• den Aufbau eines nationalen Sepsisregisters, in dem zur Qualitätssicherung bundesweit die Entwicklung der Sepsishäufigkeit und der Sepsissterblichkeit dokumentiert wird,

• die Entwicklung und Evaluierung schnellerer und präziser diagnostischer Tests zur Erregerdiagnostik im Rahmen neuer Modelle der Kooperation zwischen forschender Industrie, öffentlichen Forschungseinrichtungen und klinischen Forschungsnetzwerken, um Therapiebeginn und Therapiedauer im Sinne einer personalisierten Medizin zu verkürzen,

• die Entwicklung neuer wirksamer anti- mikrobieller Substanzklassen durch innovative Modelle, zum Beispiel „Public Private Partnership“,

• die Entwicklung weiterer Impfstoffe gegen häufige Sepsiserreger und die Überwindung der Impfmüdigkeit,

• die Entwicklung adjunktiver Therapieansätze zur Modulierung der dysregulierten Wirtsantwort bei schwerer Sepsis zur Senkung der Sepsissterblichkeit

• sowie breit und langfristig angelegte Aufklärungskampagnen für die Öffentlichkeit zum Thema Vorbeugung und Früherkennung lebensbedrohlicher Infektionen in Anlehnung an die Anti-Aids-Kampagnen.

Christine Vetter

Merkenicher Str. 224

50735 Köln

info@christine-vetter.de

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