Initiativen in der ZFA-Ausbildung

Azubis: Learn it yourself!

In der Praxis lernen zahnmedizinische Fachangestellte sehr schnell on the job, worauf es im Alltag ankommt. Aber wie wird eigentlich an den Berufsschulen gelernt? In Hamburg hat die Berufsschule Gesundheitspflege seit mehreren Jahren vom klassischen Frontalunterricht auf einen Typ des individualisierten Unterrichts umgestellt - mit Erfolg. Das Hamburger Modell „Learn it yourself“ gibt der Diskussion, in welche Richtung sich die Ausbildung der ZFA entwickeln sollte, neue Impulse.

"Keiner kann mehr sagen, ich wusste gar nicht, dass wir das lernen sollten“, freut sich Stefan Kurbjuhn, Abteilungsleiter für Schulentwicklung an der Staatlichen Schule für Gesundheitspflege in Hamburg. Seine Freude gilt dem Konzept des individualisierten Lernens - eine Methode, bei der Schüler selbstbestimmt lernen sollen. Vor sechs Jahren hat Kurbjuhn seine Kollegen vom selbstorientierten Lernen überzeugt, 50 Prozent Zustimmung als Bedingung.

Die Idee für das Konzept des individualisierten Lernens stammt ursprünglich aber nicht vom Elbufer, sondern aus den Alpen. Es geht auf den Schweizer Pädagogen Andreas Müller zurück. Müller ist Besitzer und Direktor des Instituts Beatenberg, an dem eigenständiges Lernen im Vordergrund steht. Sein pädagogischer Leitsatz lautet „Relations and Questions are My Way to Succes“. Konkret bedeutet das, dass jeder Schüler in allen Fächern und in altersunabhängigen Niveaugruppen unterrichtet wird.

Selbst bestimmen, was man wann lernen will

Die Schüler haben somit die Möglichkeit, Lernstand und -tempo selbst zu bestimmen. Das gilt an der Hamburger Berufsschule allerdings nur für die beruflichen Unterrichtsstunden. Theoretische Fächer wie Wirtschaft und Gesellschaft, werden weiter lehrerorientiert – sprich frontal – vermittelt. Insgesamt sind die Auszubildenden zwölf Stunden in der Woche an der Schule. Acht Stunden davon sind berufsorientierter Unterricht, von denen die Schüler im ersten Jahr drei und in den beiden weiteren Schuljahren vier Stunden selbstorientiert lernen.

Auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) hat die Herausforderung der zunehmenden Heterogenität der Auszubildenden früh erkannt und sucht nach adäquaten Lösungen. Auf der letzten Koordinierungskonferenz für Zahnmedizinische Fachangestellte der Landeszahnärztekammern hat Kurbjuhn das Konzept des individualisierten Lernens den Referenten vorgestellt.

Kompetenzorientierung, selbstgesteuertes Lernen und Lerncoach-Beratung der ZFA-Azubis sieht auch Dr. Sebastian Ziller, Abteilungsleiter für Prävention und Gesundheitsförderung bei der BZÄK, als „sinnvolle Instrumente an, um den Unterricht so zu gestalten, dass er die heutige Berufsschülergeneration anspricht und begeistert“. Allerdings sei es aus BZÄK-Sicht nach wie vor erforderlich, dass fachspezifische Themen durch zahnärztliche Kollegen in der Berufsschule vermittelt werden. Gesundheitslehrer können die Spezifika einer Zahnarztpraxis laut Ziller nur eingeschränkt vermitteln.

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Sehnsucht nach dem Frontalunterricht

Trotz aller Offenheit für neue Konzepte war der Start des schülerzentrierten Lernens in Hamburg nicht ganz einfach. Bettina Schmalmack, Ausbildungsberaterin der Zahnärztekammer Hamburg, hat die Phase der Einführung des Konzepts von Anfang an begleitet. Sie erinnert sich gut an den „holprigen“ Start. „Wir haben damals kurz vor den Sommerferien bei einer Ausschusssitzung des Prüfungsausschusses von der Schulbehörde erfahren, dass das kompetenzorientierte Lernen an unserer Berufsschule nach den Ferien als Pilotprojekt eingeführt werden soll.“

Durch die kurze Frist musste viel improvisiert werden und es blieben zunächst einige Fragen ungeklärt. „Wir waren nicht vollends informiert und auch die Lehrer wussten teilweise nicht, wohin es geht.“ Mittlerweile wurde der dritte, selbstorientiert lernende Jahrgang geprüft. „Wir waren sehr gespannt und rechneten mit einem ganz schlechten Ergebnis“, erinnert sich Schmalmack, „aber es war das beste Ergebnis, das wir seit Langem hatten.“

Der Erfolg hat allerdings seinen Preis: „Für unsere Schülerinnen ist es teilweise sehr anstrengend“, erklärt Kurbjuhn, „wer morgens nicht anfängt, lernt auch nichts.“ Gerade am Anfang der Ausbildung brauche man viel Überzeugungskraft: „Viele Schüler sehnen sich nach dem Frontalunterricht, mit einem Lehrer als Vorturner.“ Denn es gehöre eine Menge an Disziplin und Motivation dazu, eigenständig zu lernen. Dilan Yapici ist im zweiten Ausbildungsjahr und kann sich gut selbst disziplinieren: „Ich lerne vormittags in der Schule, dann muss ich abends nach der Arbeit nichts mehr machen.“

Am Anfang fragte man sich: Hängen die nicht nur rum?

Es gibt laut Kurbjuhn aber auch Schüler, die den Vormittag nicht so effizient nutzen. Doch auch für sie gelten konkrete Lernzielvorgaben: In einem Jahr müssen mindestens vier Lernfelder geschafft werden. „Manche Schüler müssen dann zum Ende des Schuljahres innerhalb kürzester Zeit sehr viel Stoff nachholen“, erklärt Kurbjuhn. Das Risiko, dass dieses Ziel verfehlt wird, existiert seiner Meinung nach nicht. „Wir haben einen sehr guten Überblick, wer was macht und wer nicht und können die entsprechenden Schüler daher gezielt frühzeitig ansprechen und die Lerncoachings und die Betreuung intensivieren.“

Auch Dr. Michael Sereny, Referent des Vorstands für Ausbildung der BZÄK, hatte zu Beginn Vorbehalte: „Als ich das erste Mal von dem Konzept hörte, klang es schon sehr befremdlich“, sagt er. Die vielen Freiräume für die Auszubildenden legten den Verdacht nahe, dass sie „nur noch rumhängen“ oder sich nicht intensiv mit dem Stoff beschäftigen würden. Bei genauer Betrachtung werde allerdings schnell deutlich, dass dahinter ein großer Betreuungsaufwand steht. Es sei sogar besser möglich, die Jugendlichen da abzuholen, wo sie sind. „Und das ist eben häufig vor dem Computer oder vor dem Handy.“

Sereny wünscht sich daher für die Zukunft, die elektronischen Geräte aktiv in den Lernprozess einzubinden. Der Hürden ist er sich dabei durchaus bewusst: „Es muss den Politikern klar sein, dass man ein engagiertes Kollegium und natürlich auch einen sehr hohen Einsatz an finanziellen Mitteln braucht.“ Nicht zuletzt, um Aufmerksamkeit zu generieren, habe man das Konzept auf der Koordinierungskonferenz der Zahnärztekammern vorgestellt.

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„Auch die Lehrer müssen das ertragen können.“

Der Schultag beginnt in Hamburg damit, dass die Schüler sich im Selbstlernzentrum bei dem betreuenden Lehrer eigenständig anmelden. „Es war für einige Kollegen am Anfang nicht so leicht zu ertragen“, erinnert sich Kurbjuhn, „dass es keine Abwesenheitserfassung geschweige denn Konsequenzen für Fehlzeiten gibt.“ Doch das war nicht die einzige Herausforderung für die Lehrer.

Sie mussten sich auch damit anfreunden, dass nicht mehr sie im Mittelpunkt des Unterrichts stehen. Sie stehen den Schülern als Lerncoaches „nur“ noch beratend zur Seite. Hierfür haben sich zwölf Kollegen der Staatlichen Schule für Gesundheitspflege – nach dem Kieler Coaching-Modell – zu Lerncoaches ausbilden lassen. Wenn die Schüler sich angemeldet haben, können sie sich ihr Lernthema aussuchen. Der Lernplan gibt den Stoff für die dreijährige Ausbildungszeit vor. Insgesamt gibt es 13 Themenblöcke – diese sogenannten Lernfelder sind drei berufsbezogenen Fächern zugeordnet und können von den Schülern im eigenen Tempo erarbeitet werden.

Die unterschiedlichen Leistungsniveaus innerhalb einer Klasse lassen sich anhand der Lernfelder deutlich dokumentieren. „Es gibt Klassen da arbeiten einige Schüler noch am siebten Lernfeld, während andere schon beim elften sind“, sagt Kurbjuhn. Die Lernfelder werden in sogenannten Kompetenzrastern dargestellt. Das sind Tabellen, die das Lernfeld in Unterthemen und Schwierigkeitsgrade aufteilen.

In Lernfeldern, Checklisten und Lernjobs zur Kariestherapie

Das Lernfeld vier ist die Kariestherapie. Diese teilt sich in „Histologie des Zahnes“ (4.1), „Kariesentstehung und Kariesverlauf“ (4.2), „Vorbereitung und Durchführung der Assistenz“ (4.3), „Verwaltungstätigkeiten“ (4.4) und „Planung und Durchführung einer Gruppenprophylaxe mit Erstklässlern“ (4.5) auf. Die Schüler können sich bestimmte Subthemen, zum Beispiel „Histologie des Zahnes“ (4.1), aussuchen. Auch den Schwierigkeitsgrad bestimmen sie eigenständig. Sie können zwischen „hilfreich“ (1), „kompetent“ (2), „fortgeschritten“ (3) und „Experten“ (4) wählen.

„Am Anfang wollen die meisten auf der höchsten Stufe lernen“, erklärt Kurbjuhn „doch in der Regel merken sie schnell, wo sie tatsächlich stehen.“ Hinter den einzelnen Unterthemen des Kompetenzrasters verbergen sich wiederum Checklisten. Diese bieten einen Überblick der konkreten Lernjobs, also der Anforderungen, die die Schüler für die jeweilige Schwierigkeitsstufe erfüllen müssen. Reicht es im Rasterfeld „Histologie des Zahnes“ beispielsweise für das erste Level noch aus, die Zahnsubstanzen mit deutschen Begriffen zu benennen und ihnen ihre Funktionen zuzuweisen, muss man in der höchsten Schwierigkeitsstufe unter anderem in der Lage sein, die Funktion eines Calciumhydroxidpräparats zu erklären.

Erst frühstücken, dann pauken

Die Schüler können sich also vorab selbst ein Urteil darüber bilden, wie viel sie sich zutrauen. Die Übungen für diese Lernjobs sind übrigens auch für die Schüler zugänglich. Kurbjuhn will damit „den unterschiedlichen Lernwegen und Sicherheitsbedürfnissen“ entgegenkommen. Im schriftlichen Test jedoch sind die Schüler auf sich selbst gestellt.

Das Selbstlernzentrum der Berufsschule stellt den Schülern mehrere Computerarbeitsplätze, Gruppentische und einen Pausenraum zur Verfügung. Die Schüler können selbst entscheiden, wie sie ihren Arbeitstag einteilen. „Ein typischer Tag im Selbstlernzentrum beginnt bei mir mit einem Frühstück“, erzählt Yapici, „danach entscheide ich, was ich lernen will.“

Auch Hatice Dönenc, ebenfalls im zweiten Ausbildungsjahr, schätzt die Freiheit einerseits, kennt andererseits aber auch Nachteile: „Es kann hier schon mal so laut werden, dass man nicht mehr ungestört lernen kann.“ Der klassische Frontalunterricht sei schon bequem, findet Lisa Herbst aus dem dritten Ausbildungsjahr. Allerdings sei das auch sehr vom jeweiligen Lehrer abhängig: „Einige Lehrer können den Stoff nicht so gut rüberbringen, wenn man da einmal im Unterricht abschaltet, ist man gleich ganz aus dem Thema raus.“

Für diese Fälle sei das individualisierte Lernen sehr gut. Allerdings gebe es auch Grenzen. Die große Mehrheit der Auszubildenden gab in schulinternen Befragungen an, dass sie nicht mehr als vier Stunden selbstorientiert lernen wollen und das auch nur in den berufsorientierten Fächern.

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Im eigenen Tempo zum Ziel

Kurbjuhn kennt die Vorbehalte der Schüler: „Viele sind der Meinung, sie würden den Stoff im Frontalunterricht besser verstehen.“ Tatsächlich ist das nach seiner Erfahrung aber „ein Trugschluss“. Inzwischen könne nur noch ein kleiner Teil der Schüler konzentriert einem lehrerzentrierten Unterricht folgen. Oft seien am Morgen gelernte Inhalte, bereits am Nachmittag nicht mehr abrufbar. Daher sei das Erfolgserlebnis, sich selbst einen Stoff zu erarbeiten, so ein wichtiges didaktisches Mittel.

Auch Sereny beobachtet eine zunehmende Veränderung der Auszubilden: „Wir haben in unserem Bereich eine wirklich sehr heterogene Gruppe mit sehr individuellen Lerngeschwindigkeiten in der Ausbildung.“ Das selbstorientierte Lernen ist laut Kurbjuhn gerade für solche Gruppen ideal geeignet. „Individualisiertes Lernen bietet schnelleren Schülerinnen die Möglichkeit voranzukommen“, erklärt er, „die langsameren und Schüler mit Sprachschwierigkeiten können hingegen in Ruhe arbeiten.“

Notlösung ZFA?

Doch nicht nur die Bildungshintergründe unterscheiden sich stark. Immer häufiger erschweren laut Kurbjuhn auch psychische Verhaltensauffälligkeiten bei den Auszubildenden den Unterricht. Er verweist auf den Youth Self-Report (YSR/11–18) und die Child Behaviour Checklist (CBCL/4–18), wonach 12 bis 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland Verhaltensauffälligkeiten, Leistungs- oder emotionale Störungen aufweisen. Auch die Identifikation mit dem Beruf verändere sich. Laut einer Umfrage der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe aus dem Jahr 2013 ist für jede vierte Auszubildende (10 Prozent „Notlösung“, 17 Prozent „Ermangelung an Alternativen“) der Beruf ZFA nicht die erste Wahl.

Wenn die Schüler im Selbstlernzentrum der Berufsschule der Meinung sind, dass sie sich auf ein Thema ausreichend vorbereitet haben, können sie sich eigenständig beim Lerncoach für einen Kompetenznachweis anmelden. Drei Lerncoaches sind zu jeder Selbstlernzeit im sogenannten Teamraum, eine Art Mini-Lehrerzimmer, anwesend. Die Schüler können selbst bestimmen, ob sie für ihren Kompetenznachweis ein Plakat zeichnen, eine Präsentation halten oder ein Klappbild erstellen wollen.

„Hier merken wir sehr schnell, ob ein Schüler den Stoff wirklich verstanden hat oder nicht“, sagt Kurbjuhn. Und die Schüler erfahren Selbstwirksamkeit. „Das heißt, sie merken, ob sie ein Problem schon eigenständig bewältigen können oder noch nicht.“ Zudem haben die Schüler die Möglichkeit sich mit den Pädagogen zu Lerncoachings zu verabreden. Diese 45-minütigen Einzelgespräche sind laut Kurbjuhn äußerst beliebt, denn hier trauen sich die Schüler, Fragen zu stellen, die sie in der Gruppe oft nicht stellen.

Im Logbuch steht alles

Nicht alle Kompetenznachweise können eigenständig gewählt werden. Jeweils ein Rasterfeld des Lernfeldes muss mit einem schriftlichen Test abgefragt werden. Der große Vorteil in seinen Augen: „Unser Konzept verschafft sowohl den Schülerinnen als auch den Lehrern einen schnellen Überblick vom aktuellen Leistungsstand eines Schülers.“

Das passiert nicht zufällig, sondern wird systematisch angestrebt. Für bestandene Kompetenznachweise gibt es jeweils einen Punkt, der im sogenannten Logbuch eingetragen wird. Im Logbuch werden alle Leistungen der Schüler erfasst. Das verschafft sowohl den Schülern als auch den Lehrern einen schnell Überblick über den Leistungsstand. Das Logbuch ist auch für die Ausbilder zugänglich. Was diese aber laut Schmalmack leider nicht oft genug in Anspruch nehmen. „Das merken wir immer dann, wenn wir mit den Ausbildern Gespräche über Konflikte in der Praxis führen und nachfragen, ob sie sich überhaupt mal das Logbuch angeguckt haben. Dann kommt oft die Frage, was das denn sei.“

Grundsätzlich sei die Kooperation zwischen Kammer und Schule aber sehr gut. „Es war schon eine wilde Zeit die letzten Jahre, aber wir arbeiten gut zusammen und gehen sehr respektvoll miteinander um“, sagt die Ausbildungsberaterin. In der Außenwahrnehmung habe es anfangs dagegen durchaus eine Schieflage gegeben, erinnert sich Schmalmack. „Es gab Anlaufschwierigkeiten in der Kommunikation mit den ausbildenden Zahnärzten.“

Das selbstorientierte Lernen kann im Imbiss, in der Cafeteria oder eben in den dafür vorgesehenen Räumen stattfinden. „Wenn beim Ausbilder aber nur ankommt‚ wir sind immer bei McDonald’s und trinken Kaffee“, entsteht laut Schmalmack bei einigen Ausbildern die Befürchtung, dass die Auszubildenden komplett sich selbst überlassen sind. Hier sei noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten, auch wenn sich schon vieles verbessert habe.

###more### ###title### Umdenken und anders machen ###title### ###more###

Umdenken und anders machen

Diese Kommunikationsprobleme sind für Sereny kein Argument gegen das Konzept. Ganz im Gegenteil: Seiner Überzeugung nach kann jeder, der sich ernsthaft mit der Ausbildungssituation der ZFA beschäftigt, feststellen, dass die bisherigen Systeme an Grenzen stoßen. Er appelliert: „Wie müssen umdenken und uns bundesweit solchen Konzepten öffnen.“ Mancherorts hat man ihn offenbar schon gehört.

Zum Beispiel in Bremen am Schulzentrum Walle. Auch hier findet wöchentlich eine sogenannte Selbstlernzeit statt, in der die Auszubildenden selbstständig an selbst ausgewählten Themen arbeiten. In diesen zwei Stunden stehen Lehrkräfte für eine Einzelberatung, Coachings oder Sprachförderung zur Verfügung. „Unsere Auszubildenden sind durch das Prinzip des eigenverantwortlichen Lernens anfangs häufig verunsichert, weil sie selbstständiges und eigenverantwortliches Arbeiten nicht gewohnt sind“, beschreibt Nicole Ahlborn, Bereichsleiterin für Zahnmedizinische Fachangestellte die Reaktionen auf das selbstorientierte Lernen.

Selbst ist die Schülerin

Die Klassen am Schulzentrum Walle werden in drei gleich große Teams eingeteilt, die dann die Kompetenznachweise gemeinsam erarbeiten. Die ausgearbeiteten Ergebnispräsentationen werden nicht nur von den Lehrern, sondern auch von den anderen Auszubildenden bewertet. Laut Ahlborn ist diese eigenständige Arbeitsweise für die Berufsschule ein Vorteil, weil die Schule dadurch von den Auszubildenden anders als die allgemein-bildende Schule wahrgenommen wird. „Spezialisiertes Fachwissen verliert zunehmend an Bedeutung, persönliche Qualifikationen werden hingegen immer wichtiger.“

Häufig fehle es jedoch an Selbstlern- und an Teamkompetenz sowie an Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit. Daher bilde die kontinuierliche Begleitung zur Stärkung der Selbstwirksamkeit der Auszubildenden einen Schwerpunkt der pädagogischen Arbeit in Bremen. Auch in Hamburg ist der Königsweg noch nicht gefunden. Für die Zukunft wünscht Kurbjuhn sich, dass es den Lehrern noch besser gelingt, „dass die Schülerinnen Selbstwirksamkeitserfahrungen machen“. Es sollten noch mehr all die kleinen Erfolge hervorgehoben werden. Hierfür wäre sicherlich ein Blockunterricht besser geeignet als der Teilzeitberufsschulunterricht. „Die Schülerinnen müssen jetzt immer zwischen den Lernorten Betrieb und Berufsschule hetzen.“

Aber Lehrer werden nicht überflüssig

Allerdings sieht auch Kurbjuhn die Einsatzmöglichkeiten des individualisierten Lernens limitiert: Mehr als 50 Prozent selbstorientiertes Lernen hält er für sinnlos. „Es ist für die Schüler sehr anstrengend, man kann das mit einem Fernstudium vergleichen.“ Außerdem müsse dringend wieder systematisch gemessen werden, wie zufrieden die Schüler selbst mit dem Konzept sind und wo sie Verbesserungspotenzial sehen.

Auch wenn er bei vielen Schülern über die Jahre beobachtet hat, dass sie selbstbewusster und besser organisiert geworden sind, sieht er noch Optimierungsbedarf. Die letzte Evaluation ist vier Jahre her. Mit der Begrenzung des individualisierten Lernens hat Kurbjuhn auch die Lehrer selbst im Blick. „Wir sind überzeugte Pädagogen und wollen uns nicht selbst auflösen.“

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