Leitartikel

Kassen greifen nach Big Data

Wolfgang Eßer
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, von Zahnfüllungen, die Probleme machen, oder von Löchern ohne Boden konnte man dieser Tage in den Zeitungen lesen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

von Zahnfüllungen, die Probleme machen, oder von Löchern ohne Boden konnte man dieser Tage in den Zeitungen lesen. Es ging um die Berichterstattung zum jüngsten Barmer-GEK-Zahnreport, der vor allem die Qualität von Füllungen untersucht hat. Zwar wurde den Zahnärzten dieser Missstand nicht direkt in die Schuhe geschoben, aber der von der Barmer kolportierte mediale Subtext war klar. In den Praxen wird nicht gut genug gearbeitet. Ein Skandal? Dem Report zufolge müssten nach einer Füllung viele Zähne nach kurzer Zeit wieder therapiert werden, fast jeder dritte Zahn müsse nach einer Füllung innerhalb von vier Jahren erneut behandelt werden.

Die Barmer GEK fordert daher von den Zahnärzten mehr Transparenz in der Datenlage, um diese für die Versorgungsforschung nutzbar zu machen, sowie Angaben zum Füllmaterial und zur Füllungsart. Der Ruf nach belastbaren Zahlen und Daten wird laut, auch aus dem Bereich der Mehrkostenvereinbarung. Das Ansinnen der Barmer GEK gehört auf den Prüfstand. Denn aus zahnärztlicher Sicht stellt sich die Sachlage völlig anders dar: Die Kariesbehandlung in Deutschland ist vorbildlich und hat ein auch im internationalen Vergleich hohes Niveau. Die Zahl der Füllungen ist seit Jahren rückläufig und wird auch künftig weiter zurückgehen. Der Grund dafür ist nicht zuletzt die vorbildliche Individual- und Gruppenprophylaxe, wie sie die Zahnärzteschaft zusammen mit den Krankenkassen etabliert hat.

Was aber die im Report aufgegriffene angebliche Notwendigkeit betrifft, jeden dritten Zahn mit Füllung erneut zu therapieren, lassen sich hier nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf die Behandlungsqualität insgesamt ziehen. Zur Nachhaltigkeit von Füllungstherapien sprechen jedoch zahlreiche Einzelstudien eine völlig andere Sprache, etwa die Untersuchungen von Thomas Kerschbaum zur Langzeithaltbarkeit von Amalgamfüllungen. Wir sollten also weitere Anstrengungen bei der Prophylaxe und bei der Verbesserung der Mundhygiene der Patienten unternehmen, bevor aus einer fragwürdigen Datenlage öffentlichkeitswirksam falsche Schlüsse gezogen werden. Grundsätzlich ist zu begrüßen, wenn sich auch die Krankenkassen auf einer soliden methodischen Basis vermehrt mit Fragen der Versorgungsforschung befassen – die zahnärztlichen Standesorganisationen tun dies schon lange, etwa mit den Forschungsarbeiten des IDZ und/oder in Kooperation mit anderen unabhängigen Forschungseinrichtungen.

Wir werden die Ergebnisse des Zahnreports eingehend analysieren, etwa inwieweit sich daraus Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Versorgung ableiten lassen. Dazu wollen wir nicht nur die Barmer GEK, sondern alle gesetzlichen Krankenkassen einladen, gemeinsam Lösungen für künftige Herausforderungen in der Versorgung zu erarbeiten. Energisch abzulehnen ist allerdings die Forderung der Barmer GEK nach zusätzlichen Daten bei den Privatleistungen. Das geht die Kassen schlichtweg nichts an! Denn bei den Mehrkostenregelungen werden Leistungen ermöglicht, die privat vom Patienten gezahlt werden und damit neben der von den Krankenkassen finanzierten Regelversorgung erfolgen. Big brother is watching you! Der Datenhunger der Kassen kennt offensichtlich keine Grenzen und macht auch vor der freien Entscheidung der Patienten nicht halt. Das Argument, man wolle mit den zusätzlichen Daten die Versorgungsforschung verbessern, gleicht vielmehr einem trojanischen Pferd. Es ist aus Sicht der Zahnärzteschaft nur vorgeschoben – letztlich werden hier doch nur bewährte Wahlmöglichkeiten bei Füllungen infrage gestellt. Auch über die Haltbarkeit von Füllungen wissen die Kassen schon heute ganz genau Bescheid, da sie bereits entsprechende Daten patientenbezogen speichern. Karies lässt sich jedoch nicht durch eine weitere Datenflut, sondern nur mit umfassenden Präventionsangeboten bekämpfen. Ein reines Mehr an Daten ist für die Kassen kein Garant dafür, dass der Patient davon auch einen Mehrwert hat. Vergrößert wird damit nur die erheblich wachsende Bürokratielast für die Praxen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Wolfgang Eßer

Vorsitzender des Vorstands der KZBV

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