Deutscher Pflegerat

Warnung vor dem Kollaps

Der Deutsche Pflegerat schlägt Alarm – auf dem Deutschen Pflegetag warnte der Verband angesichts der demografischen Entwicklung vor einem drohenden Pflegenotstand. Denn aktuellen Prognosen zufolge steigt die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren sprunghaft an, während bereits heute Fachkräftemangel herrsche. Rund 4500 Experten und Entscheider aus Pflege, Politik und Wirtschaft diskutierten über die Zukunft der Pflege als eines der wichtigsten gesundheitspolitischen und gesellschaftlichen Themen der Zeit.

Nach Ansicht des Deutschen Pflegerats e.V. gehört die Versorgung pflegebedürftiger Menschen zu den zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. „Die Strukturen, unter denen die Pflege in den kommenden Jahrzehnten zu erbringen ist, werden sich gravierend verändern. Darauf müssen wir uns heute einstellen, bevor es zu spät ist“, betonte Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerats e.V., auf dem Deutschen Pflegetag in Berlin. „Es muss uns gelingen, die professionell Pflegenden endlich in den Mittelpunkt unserer Entscheidungen zu rücken. Denn wer, wenn nicht sie, erbringt heute und zukünftig die Leistungen der Pflege und Betreuung?“ Vehement forderte Westerfellhaus, dass die Berufsgruppe der professionell Pflegenden – mehr als 1,1 Millionen Menschen – in der Öffentlichkeit und in der Politik mehr Gehör und Achtung erhalte. Er kritisierte, dass zwischen 1995 und 2005 fast 50 000 Vollzeitstellen im Pflegedienst der Krankenhäuser abgebaut wurden. „Wir sind es leid, dass die Pflegekräfte zum Kostenfaktor degradiert und nur die Ärzte als diejenigen angesehen werden, die die Erlöse erwirtschaften.“

Verdopplung der Pflegebedürftigkeit

Aktuellen Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums zufolge liegt die Anzahl der Pflegebedürftigen mit Pflegestufe heute bei mehr als 2,5 Millionen. Prognosen gehen davon aus, dass diese Zahl bis zum Jahr 2030 um etwa die Hälfte steigen wird. Bis zum Jahr 2050 rechnen Experten gar mit einer Verdopplung der Pflegebedürftigen in Deutschland. Laut dem Themenreport „Pflege 2030“ der Bertelsmann Stiftung werden bis zum Jahr 2030 aber bereits 500 000 Pflegekräfte fehlen. Grund für die Versorgungslücke seien nicht nur die fehlenden Vollzeitstellen, sondern auch die steigende Zahl älterer Menschen und der Rückgang an Fachkräften aufgrund sinkender Geburtenraten. Vor diesem Hintergrund monierte Westerfellhaus, der Personalmangel in der Pflege wirke sich nicht nur auf die Qualität und auf die Patientensicherheit aus, sondern mache auch das Pflegepersonal krank. Doch die Zahl der Pflegebedürftigen werde in den kommenden Jahrzehnten weiter ansteigen. Daraus resultiere ein enormer Pflegebedarf, bei einer gleichzeitig sinkenden Anzahl an Fachpflegekräften. Der Präsident des Pflegerats forderte die Pflegekräfte auf, selbstbewusster für ihren Berufsstand einzutreten: „Alle Pflegekräfte sind aufgerufen, für sich und ihre Interessen einzustehen. Deutschland braucht die Pflegekammer. Deutschland braucht ein Sprachrohr der professionell Pflegenden, das stark genug ist, die berechtigten Interessen der größten Berufsgruppe in Deutschland umzusetzen. Wir brauchen diesen wichtigen Meilenstein Pflegekammer, um den Kollaps in der Pflege zu verhindern.“

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Für den Pflegesektor stark gemacht

Unterstützung erhielt der Pflegerat auch aus der Politik. „Die Pflege muss laut für ihre Rechte eintreten, denn sie ist unverzichtbar. Sie muss in die Gremien im Gesundheitswesen und braucht große, starke Berufsverbände“, betonte auch Karl-Josef Laumann, der seit gut einem Jahr Bevollmächtigter der Bundesregierung für Patienten und Pflege ist. Seit seinem Amtsantritt hat sich Laumann bereits mehrfach für die Entwicklung des Pflegesektors stark gemacht. Es sei an der Zeit, so Laumann, den Pflegeberuf nachhaltig aufzuwerten, das Einkommen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern und mehr öffentliche Wertschätzung einzufordern. Dies lasse sich aber nur mit den richtigen Rahmenbedingungen gewährleisten, betonte der Pflegebeauftragte in Berlin. „Ohne flächendeckende Tarifverträge wird die Pflege keine angemessene Bezahlung erreichen. Der Gesetzgeber kann hier flankieren. Aber eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen werden vor allem über Tarifverträge erreicht“, so Laumann weiter. Für die professionell Pflegenden forderte der Pflegebeauftragte der Bundesregierung zudem „eine Pflegeausbildung, die es zulässt, dass Pflegekräfte sowohl im Krankenhaus als auch in der Altenpflege arbeiten können.“ Wer umfassende Aufgaben habe, brauche auch eine umfassende und generalistische Ausbildung. „Mit einer neuen Pflegeausbildung, mit einem einheitlichen Berufsbild und mit einer gemeinsamen Ausbildung werden wir die Pflege stärken“, so Laumann. Die Jahre des Stillstands seien vorbei.

Öffentliche Wertschätzung eingefordert

Auch der Arzt und Kabarettist Dr. med. Eckart von Hirschhausen, verdeutlichte auf dem Pflegetag den Stellenwert der Pflege: „Wenn Lokführer oder Piloten streiken, kommen wir nicht von A nach B. Wenn die Pflege streikt, kommen Kranke nicht mehr vom Bett zur Toilette. Was ist schlimmer?“ Von Hirschhausen erinnerte sich an seine Zeit als junger Arzt: „Wenn man seine ersten Nachtdienste hatte, war die wichtigste Frage: Welche Schwester hat mit dir Dienst? Die Kompetenz der Pflege und die gesammelte Erfahrung in den Teams auf einer Station werden in ihrem Wert oft nicht erkannt. Dann kommen irgendwelche Verwaltungsoptimierer und Effizienzsteigerer, die in Planstellen und nicht vom Patienten aus denken und würfeln alle durcheinander, bis keiner mehr Freude hat an seiner Arbeit. Ich möchte deshalb ein Zeichen der öffentlichen Wertschätzung setzen und allen Pflegenden in Deutschland Mut machen, sichtbarer zu werden, sich für die Gegenwart und die Zukunft ihres Berufs zu engagieren und sich bewusst zu werden, wie wichtig auch Selbstfürsorge ist für alle, die für andere sorgen“, so von Hirschhausen.

Otmar MüllerGesundheitspolitischer Fachjournalist, Kölnmail@otmar-mueller.de

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